V. Vielleicht wird es ein Tag wie morgen

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Trixie

Beitragvon Trixie » 12.11.2008, 22:08

Vielleicht wird es ein Tag wie morgen

Es war ein Donnerstag, glaube ich. Morgen, ja, da war Donnerstag. Ich fuhr in einem Kastenbrot die Straße entlang. Das war äußerst bequem, denn es war frischgebacken und roch nach Zuhause. Ich wollte gerade über die Perlenschiene fahren, also setzte ich den Blinker und sah in den Rückspiegel. Was ich sah, erfreute mich sehr: Der Schwarzbär aus dem neuen Waldwohngebiet lief mit einem schwarzen, langen Sack über den Schultern andächtig über die vielbefahrene Straße. Ich wunderte mich, was sich wohl in dem Sack befinden könnte, als der Spiegel seine Lippen spitze und vornehm erklärte, dass der Bär eine brandneue Leiche darin aufbewahrte, die er zum Frisör brachte. Ich war entzückt und achtete, abgelenkt durch die Ereignisse, nicht mehr auf die Perlenschiene, die mich zu meinem Ziel bringen würde. Nun musste ich einen Umweg von dreieinhalb Metern fahren. Das verdarb mir die Laune sofort wieder. Ich gab dem Spiegel die Schuld, doch sofort hämmerte der Buntspecht die Kopfstütze gegen meinen Nacken. Ich würde nun mindestens zwei Stunden zu spät kommen. Ich hoffte, es würde dir nichts ausmachen, und meine Hoffnung strahlte so sehr, dass die Straße in pastellgrüner Zuckerwatte versank. Die anderen Verkehrsteilnehmer blieben alle stecken, außer dem Schmetterling aus Stahlwolle, den ich sehr unrealistisch fand. Doch das fanden die anderen auch, daher war er nicht beleidigt.
Schnell rief ich ein Straßenreinigungsunternehmen an und ließ die gesamte Hoffnung wieder davon fegen. Es hatte auch etwas Gutes gehabt: Der Taxifahrer und der zartbittere Mann mit dem Aktenkoffer konnten einen Arbeitsvertrag abschließen.
Als ich schließlich an meinem Ziel angekommen war, wusste ich auch endlich, was es sein würde: Das Einkaufszentrum! Dort traf man so viele höfliche Menschen, vielleicht auch dich, außerdem waren die Kassiererinnen alle geduldig und die Wände waren aus Mineralwasser. Einen schöneren Ort gab es kaum im Sommerwald des Traumlandes.
Ich teilte mir den Parkplatz mit dem fliegenden Teppich des stummen Mönchs und dafür geleitete er mich in die Abteilung für kleine Menschen. Dort war die Auswahl heute besonders interessant. Sogar Mütter mit Kindern waren da – alle hervorragend klein! Ich suchte nämlich eine Haushaltshilfe für den Kobold, der zwischen den Schachbrett-Grashalmen wohnte. Er meckerte den ganzen Tag so rosa vor sich, dass ich es nicht mehr ertrug. Anstatt umzuziehen in eine durchsichtigere Gegend, war er nur am Jammern über die Situation der Elefanten im Nationalpark und vor allem beschwerte er sich über den Himmel, der so türkis war, dass man lachen musste, ob man wollte oder nicht. Ich suchte eine Frau aus, die blaue Wangen hatte, wenn sie sich anstrengte. Eine solche würde gewiss keinen Ärger machen.
Ich sah auf die verkehrte Uhr, die auf dem Boden umher kroch, und bemerkte, dass ich keine Schuhe anhatte. Vermutlich hatte ich sie im Kastenbrot vergessen, doch inzwischen würde es mitsamt meiner Schuhe aufgegessen worden sein. Nun ja, dann konnte ich mir gleich Neue kaufen. Ich spazierte also in die Fußbekleidungsabteilung und ließ mir Wollstrümpfe maßstricken. Ich überlegte, ob ich dir welche mitstricken lassen sollte, doch ich wusste ja gar nicht, ob du lieber karierte oder linierte Schuhe mochtest, also ließ ich die Idee in den Papierkorb nebenan fallen. Bis meine Strümpfe fertig waren, waren zum Glück nur 4 Stunden und 13 Sekunden vergangen, sodass ich noch vor Mitternacht wieder daheim sein konnte. Es war so ein anstrengender Tag gewesen und nun wollte ich nur noch in meinen Schlafsack, den ich heute extra mit frischen Blütenhonig bestrichen habe. Ich war mir sicher, dass dieser Tag genau wie morgen war! Zufrieden glucksend schlief ich schließlich an der Kasse ein. Zum Glück waren die Kassiererinnen geduldig und würden auch ein paar Stunden später noch auf ihren Wolken sitzen und darauf warten, dass ich die Wollstrümpfe bezahlte.

Einen Augenblick später dann, im Wartezimmer beim Hausarzt, wurde mir dann klar, dass alles nur ein Traum gewesen war. Die aufgeschlagene Zeitschrift noch auf dem Schoß, sah ich mich erleichtert um und nickte freundlich dem Nashorn mit den Ohrenschmerzen zu, dass sich angeregt mit einer älteren Bananenschale unterhielt. Ich war also nicht falsch abgebogen und hatte gute Chancen, dich noch rechtzeitig zu treffen.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.11.2008, 23:02

Liebe Trixie,

wenn du das möchtest, mache ich dir gerne Vorschläge, aber ich glaube, es ist so etwas ähnliches wie eine Geschmacksfrage (~) - und wir sehen ja hier, dass der Text durchaus als Traum ankommt. Ich habe auch nur in erster Linie Schwierigkeiten damit, ihn eben als Traumtext zu lesen - wollte er diese Klassifizierung nicht beanspruchen, so würde ich vielleicht immer noch sagen, dass er mir zu dicht ist, um mich schlussendlich und vollständig zu packen, aber ich würde ihm seine "Gattung" nicht absprechen. Letzeres tue ich, weil ich (ich) den Text nicht als gelungene Nachahmung eines Traumtextes empfinden kann. Da nützt es mir auch nichts, dass du sagst, dass du tatsächlich so träumst (was für mich tatsächlich auch schwer vorstellbar ist aufgrund meiner eigenen Traumart bzw. -erinnerung, ich dir aber glauben kann, weil du es sagts, diese Beziehungsebene haben der text und ich nicht), denn für einen fiktiven text gilt ja nicht das Gesetz: Nur weil es sich tatsächlich so verhält in der Wirklichkeit, ist es eine gelungene fiktive Nachahmung/Suggestion, wenn ich es nur genau so auffschreibe, wie es sich eben in der Wirklichkeit verhält. Viele Texte (siehe lustigerweise gerade die Diskussion bei "Tante Klara" von Elsa in der Prosa-Satirerubrik zwischen Sethe und Elsa) wirken gerade dadurch echt, dass ihre handlung ausgedacht oder abgeschwächt oder übertrieben ist etc., andere arbeiten mit Bildern, die völlig unwirklich sind und doch schaffen es diese Bilder, etwas Wirkliches zu evozieren, was keine realistische Beschreibung hätte schaffen können.
Fazit: Mein Verlangen, wie der Text sein sollte, um zu erfüllen, was ich ihm unterstelle, das er erfüllen möchte, ist wohl genauso subjektiv wie deiner, auch wenn ich das Gefühl habe, damit Recht zu haben und denke, dass wenn man etwas in der Traumtextliteraturgeschichte recherchierte, viele Texte fände, die eher die Struktur aufwiesen, die ich so erwartete (aber auch das ist dann ja Lesegewohnheit). Aber du bist die Autorin und ich glaube, dein Zweifel, ob der Text so sein muss oder nicht, hat sich doch schon größtenteils gelegt - also sollte er so bleiben!

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Trixie

Beitragvon Trixie » 16.11.2008, 17:47

Hallöchen!

Ich antworte mal pauschal an alle:

Ja, klar, jeder hat eine andere Wahrnehmung und ich als Autor sowieso noch einmal eine andere, die von einer ganz anderen Richtung kommt, deshalb möchte ich ja das Feedback haben, um heraus zu finden, aber meine Wahrnemung geteilt wird, bzw. ob ich das, was ich sagen möchte, tatsächlich geschafft habe, in geschriebenen Worten, Sätzen, Texten zu vermitteln und sei es auch nur zum reinen Entertainment.

Deshalb finde ich es umso schöner, wenn sich auch jemand dazu äußert, der diese meine Wahrnehmung nicht teilt, sich also die Mühe macht, trotz nicht-unbedingt-so-sehr-Gefallens seine Meinung zu äußern. Da gibt es ja dann auch gar nichts weiter zu diskutieren ;-). Ich kann nur versuchen, es in meinen Erfahrungsschatz aufzunehmen und beim nächsten Mal mit einzubinden.

Klar, ich freue mich natürlich, wenn andere den Text so als fertig anerkennen und genießen können :-).

Jedenfalls nochmal danke für eure Einschätzung. Das hilft mir beim nächsten Text sicherlich weiter!

Liebste Grüße
Trixie


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