Kein Zimmer in Aussicht

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Max

Beitragvon Max » 16.03.2008, 12:04

Kein Zimmer in Aussicht oder: Keines der von Ihnen ausgewählten Merkmale ist einer Kategorie zugeordnet


Gute Freunde haben mir gesagt: Juist ist schön! Juist hat den weißesten Sand aller Inseln, das gemütlichste Dorf und auch dort noch Strand, wo man auf anderen Inseln schon bis zum Bauchnabel im Wasser steht. Das muss ich einfach ausprobieren!

Ich habe im Mai noch ein paar Tage frei, also schwinge ich mich an den Computer, gebe flink http://www.juist.de ein und harre der Dinge, die da kommen mögen. Juist – Töwerland, Juist – Zauberland, strahlt mir die Homepage der Insel entgegen. Im Hintergrund erklingt verführerisch das Rauschen der See.

Auf der Leiste links sehe ich „wohnen“. Ja, wohnen, ich will wohnen! Und ich suche eine Unterkunft. Danach fällt die Wahl schon schwerer. Will ich ein Zimmer oder eine Wohnung, offenbar kann man sogar ein ganzes Feriendorf mieten, cool. Ich lasse die Option offen, darauf soll es mir nicht ankommen. Auch in welchem Ort ich wohne, ist mir egal. Bei den sanitären Einrichtungen sollte ich allerdings besser vorsichtig sein. Da auch fließend Kaltwasser bzw. Etagendusche im Angebot stehen, gehe ich auf Nummer sicher und entscheide mich für Bad oder Dusche/WC. Verwirrend: Auch die Entscheidung, ob ich Balkon oder Dusche bevorzuge, findet sich unter der Rubrik „Sanitär“ wieder. Vielleicht, so mutmaße ich, haben sich ja bei den Eingeborenen noch seltsame Gebräuche gehalten.

Nachdem ich rasch noch meine Reisedaten eingegeben habe (und ja, natürlich will ich nur freie Unterkünfte sehen, warum soll ich mir Angebote angucken, die ich sowieso nicht beziehen kann?), scheine ich bei der nächsten Kategorie das große Los gezogen zu haben. Nun kann ich wählen. Und was ich alles wählen kann! Will ich ein Einzel- , Doppel- oder Babybett (Etagen- und Schrankbetten stünden auch noch zur Wahl)? Bin ich Allergiker oder behindert? Wünsche ich eine Unterkunft im Erdgeschoss oder doch lieber unter dem Dach? Mit Telefon, DSL oder WLAN? Sauna, Waschmaschine oder Trockner? Mich schwindelt. So ähnlich muss es sein, wenn einen die gute Fee besucht. Nach reiflicher Überlegung – ich will ja auch nicht unbescheiden wirken – entschließe ich mich, Kabel-TV anzukreuzen, Radio und WLAN, alles optional natürlich. Ach ja, und da meine Hunde mitfahren sollen, kreuze ich schnell noch an „Haustiere auf Anfrage“ – das mache ich zum Pflichtfeld, die beiden könne ja schlecht draußen schlafen.

Glücklich drücke ich auf „Merkmale übernehmen“ und warte. Es dauert keine drei Sekunden und das schlaue Programm hat eine Antwort gefunden: „Keines der von Ihnen ausgewählten Merkmale ist einer Kategorie zugeordnet!“. „Soso “, murmele ich. Ich weiß zwar nicht, was falsch gelaufen ist, aber ich vermute gleich, dass ich zu unverschämt war. Gesenkten Hauptes korrigiere ich meine Ansprüche nach unten: Aus dem Kabelempfang wird ein einfacher Fernseher, aus dem WLAN ein Telefon, nur das Radio lasse ich. Dann sende ich die Angaben wieder ab.

Das Programm bleibt stur: „Keines der von Ihnen ausgewählten Merkmale ist einer Kategorie zugeordnet!“. Ich grübele. Was will mir mein Gegenüber sagen? Schließlich fordert es ja unmissverständlich zur Eingabe auf: „Wählen Sie Selektionsmerkmale (Kategorie)“ - wobei mir hier auch das Deutsch verbesserungsfähig scheint.

Entnervt lösche ich meine Wünsche – nur die Haustiererlaubnis muss bleiben – und drücke erneut „Return“. Aber das Programm ist nicht zu erweichen: „Keines der von Ihnen ausgewählten Merkmale ist einer Kategorie zugeordnet!“. Ich verfluche den Programmierer, der bestimmt früher als Berater des Orakels von Delphi oder als Autor von Glückskekssprüchen tätig war, da sehe ich einen kleinen Hinweis: „Empfehlung: Ändern Sie diese Merkmale zumindest in Wunschmerkmale ab.“

Also lasse ich die Erlaubnis zur Tierhaltung von einem Pflichtfeld zu einem mickrigen Wunsch schrumpfen – meinem letzten. Eine Chance gebe ich dem Programm noch. Ich schicke die Eingabe ab – warte – und tatsächlich! Das Programm wirft über 30 Treffer aus. Leider teilt es mir mittels einer gelben Ampel mit, dass die Hälfte dieser Unterkünfte im angegebenen Zeitraum belegt ist (vermutlich bedeutet eine rote Ampel: „Die Unterkunft ist abgebrannt!“). Die andere Hälfte, so zeigt ein zweiter Blick, nimmt keine Haustiere. Im Hintergrund höre ich wieder das Rauschen der Wellen – es erinnert mich an eine Klospülung.

Ich gebe auf, klappe mein Laptop zu. Ich werde mir im Mai eine Tonne Sand kommen und im Garten verstreuen lassen. Dann setze ich mich mit meinem Liegestuhl hinein, schließe die Augen und stelle mir vor, ich sei auf Juist – bei Ebbe, aber mit WLAN und Kabelfernsehen und gegen meine Haustiere habe ich auch nichts.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 19.04.2008, 17:37

Lieber Max,

die dem Text innewohnende Ironie gefällt mir sehr!

Auf ihre Tür schreib ich: Frei!

Hab ich gern gelesen.

stefan

Max

Beitragvon Max » 20.04.2008, 12:37

Lieber Jondoy,

hab herzlichen Dank für die Lektüre und den Kommentar.

Bei Gelegenheit werde ich mir den Text wphl noch einmal vornehmen, um mir alles Kommentare hier durch den Kopf gehen zu lassen.

Liebe Grüße
Max


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