einszweidreivier

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 17.02.2008, 11:25

 

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Rosalie war Händewaschen.
In der Küche ist die Zeit fettig. Aus dem Oberschränkchen tropft zäher Sirup, sie versucht alles aufzufangen. Ihre Hände: eine Schale, eine Wiege, eine Sicherheit. Klebrig und kühl steigt ein See und der rote Faden nimmt kein Ende. Fieber steigt ihr in die Augen, sie zittert. Die Spannung hält die Oberfläche gebogen, bis sich ihre Finger öffnen. Sinnlos. Sie schaut gebannt den Tropfen zu, dem Lachen, dem Weinen, der Müdigkeit. Ein aufgerissener Mund. Eine Zunge. Und ihr Finger malt ein Bild aus Kindertagen. Ein Haus ohne Fenster, Hügel, Steine auf dem Dach. Ein Weg geschlängelt, perspektivisch mittelkorrekt.
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Sie geht aus der Küche, hat Blut geleckt.
Im Schlafzimmer liegen noch die Hemden, die sie nicht mehr bügeln muss. Sie sucht ihre Schere. Die Bilder sind verstreut über Wände und Schränke, das Fenster ist beklebt. Die Glühbirne schwankt, wahrscheinlich war der Vogel wieder dagegengeflogen.
Hans, der seine Flügel nicht stutzen ließ. Er sitzt auf dem Stuhl vor dem Computer, als sie ihr Netz über ihn wirft. Feinausgesponnen. Und es ist so leicht, ganz anders, als in ihrer Vorstellung. Scharf riecht die Luft nach Desinfektionsmittel und Sauberkeit. (Dass man da Zeit hat, so etwas zu bemerken.) Sie spannt ihren Willen auf, beißt die Zähne zusammen, spürt, wie sie sich verdoppelt. „Das tut man nicht.“
Eins: für das Kind.
Zwei: für die Lüge.
Drei: für die Jahre.
Die Vier ist zu gefährlich, die erledigt sie schweigend. Ein roter See.
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Rosalie geht Händewaschen.

 
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

aram
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Beitragvon aram » 02.03.2008, 01:06

das ist ein spontaner Schnellversuch


liebe smile, meine spontane antwort darauf:

gefällt mir, keine abwehrbewegung bei mir festzustellen, spannend, lässt mich mehr wissen, auf den text zutreten wollen.

also ganz anders und im ersteindruck für meinen geschmack viel besser als der prosatext.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 03.03.2008, 14:01

danke aram für deine rückmeldung, das ist sehr interessant für mich. hat mich gefreut.

liebe Grüße smile
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Gast

Beitragvon Gast » 03.03.2008, 18:39

Liebe smile,

ich gestehe, wenngleich spät, dass ich mit dem Prosatext nichts anzufangen wusste.
Er erregte ambivalente Gefühle bei mir mit der Tendenz zum Widerwillen. Deswegen habe ich die Kurve nicht bekommen, dir dazu etwas zu schreiben.

Nun sehe ich per Zufall, dass du ihn im Faden lyrisch "verwurstet" ;-) hast ....

Viel besser so, jetzt kann ich meine Gedanken darin wiederfinden und werde nicht durch die Vorgaben irritiert, die den Prosatext für mich völlig unrund machen.

Der Prosatext erzählt ja nicht wirklich eine Geschichte, er deutet an und bleibt meiner Meinung nach irgenwo stecken zwischen dem Wollen einen surrealen Erzählton anzuschlagen und jenem, lyrische Prosa zu schreiben.

Mir liegt die Verdichtung entschieden mehr.

Liebe Grüße
Gerda

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 03.03.2008, 21:03

Liebe smile,

nur zur Info. Ich habe den Text in der Prosaform gewählt. Die Lyrikvariante finde ich zwar auch ansprechend, aber für die Prosaausgabe hatte ich gestimmt. Ich fand sie überzeugend. Wenn Du es ändern möchtest, ist das völlig okay, wie gesagt, als Gedicht ist der Text durchaus ansprechend.

Schönen Abend

Jürgen

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 03.03.2008, 21:34

Hallo Gerda,

wenn schon, dann habe ich gebastelt, nicht verwurstet. :pfeifen:
Freut mich, dass dir das Gedicht mehr zusagt.
Er erregte ambivalente Gefühle bei mir mit der Tendenz zum Widerwillen.

Die Prosafassung scheint sehr unterschiedlich auf die Leser zu wirken, aber sie wirkt. ;-) Danke, dass du die Kurve noch gekriegt hast, die Kritik ist abgespeichert fürs nächste Mal. Siehe meine Antwort an Jürgen.

liebe Grüße smile


Hallo Jürgen,

nein, nein, die Prosafassung bleibt, ich mag sie ja auch. Ich nehme die Kritik ernst und versuche damit zu arbeiten, daraus ist das Gedicht entstanden. Der Text kann aber für mich so stehen bleiben. :-) Danke fürs wählen, das freut mich.

liebe Grüße smile
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