Marmelade im Glas (Ausriss)

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Klara
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Beitragvon Klara » 04.10.2007, 13:11

zweite:

Marmelade im Glas

Ich habe die Sache nicht fertiggemacht. (Es ist keine Sache, sondern ein Unding: das Warten im Gehen, das Lauern auf Zeit, die nicht kommt, sondern immer lauter vergeht, das Fiebern nach Unsagbarkeiten, das Leben auf Rezept.) Wir haben gewusst, was es zu denken gilt, beide, wie man genauer kaum wissen kann, auch dass es nichts hilft.

Du hast mich vermisst, als ich bei dir war, und sobald ich gegangen bin, warst du schon da, noch vor der Frage. Wohin das führen soll. (Die Gleise sind nicht rostig, nicht alt genug, nur stumpf, also bücke ich mich und reibe wie besessen, mit dem Ärmel, wie besessen, bis der Ärmel reißt, bis sie glänzen, mitten in der Nacht. Der Feinstaub senkt sich in die Ritzen, bevor er fliegen kann, es schlimmer machen kann, wie jedes Fliegen, wie jedes Lachen pulverig wird, ich möchte, ich hätte, ich riefe – rief ich, oder hörtest du nur? Hast du etwas gesagt?)

Am andern Tag sahen die Äste aus wie gerupft, und es war noch weniger gut. Wenn alles gut würde, wäre ich ein anderes Leben, mit einer anderen Vergeblichkeit. Ich habe die Sache nicht fertiggemacht, und du hast nicht angefangen. Doch ich liebte dich, noch bevor ich davon wissen mochte. (Ich nehme dieses Wort in den Mund, spreche es leise vor mich hin, ängstlich überdeutlich, als säße ich beim Zahnarzt, während mir der Mund sperrangelweit aufsteht und die weißen Leute mit ihren Instrumenten und Spiegeln ohnehin bis in meinen Magen gucken könnten – theoretisch. Ich nehme es in den Mund, vorsichtshalber in der Vergangenheit, und weiß gar nicht, was ich rede.)

Manchmal steht die Nacht dick wie rote Marmelade unterm Deckel, ein ungeöffnetes Glas, und man wartet, dass es plopp macht, wenigstens am Morgen, wartet bis zum Abend, und hört keinen Ton.


erste:
Ausriss

Ich habe die Sache nicht fertiggemacht. (Es ist keine Sache, sondern ein Unding: das Warten im Gehen, das Lauern auf Zeit, die nicht kommt, die vergeht, die vergeht, das Fiebern nach Unsagbarkeiten, das Leben auf Rezept.) Wir haben gewusst, was es zu denken gilt, beide, wie man genauer kaum wissen kann, auch dass es nichts hilft.

Du hast mich vermisst, als ich bei dir war, und sobald ich gegangen bin, warst du schon da, noch vor der Frage. Wohin das führen soll. (Die Gleise sind nicht rostig, nicht alt genug, nur stumpf, also bücke ich mich und reibe wie besessen, mit dem Ärmel, wie besessen, bis der Ärmel reißt, bis sie glänzen, mitten in der Nacht. Der Feinstaub senkt sich in die Ritzen

und fliegt, und fliegt

wie jedes Fliegen

es nur schlimmer macht,
wie jedes Lachen klingt
wie Magerquark. Ich möchte, ich hätte, ich riefe –
Rief ich, oder hörtest du nur?
Hast du etwas gesagt?)

Am andern Tag sahen die Äste aus wie gerupft, und es war noch weniger gut. Wenn alles gut würde, wäre ich ein anderes Leben. Am schwierigsten ist die Vergeblichkeit, die ist wirklich schwer zu ertragen. (Dies muss unbedingt mit einem ironischen Lächeln gelesen werden: „Vergeblichkeit“, „schwer zu ertragen“, vor allem das „wirklich“!) Nichts machen zu können. Ich habe die Sache nicht fertiggemacht, und du hast nicht angefangen. Doch ich liebte dich noch bevor jemand wusste wofür. (Ich nehme dieses Wort in den Mund, spreche es leise vor mich hin, ängstlich überdeutlich, als säße ich beim Zahnarzt, während mir der Mund sperrangelweit aufsteht und die weißen Leute mit ihren Instrumenten und Spiegeln ohnehin bis in meinen Magen gucken könnten – theoretisch. Ich nehme es in den Mund, vorsichtshalber in der Vergangenheit, und weiß gar nicht, was ich rede.) Manchmal steht die Nacht dick wie rote Marmelade unterm Deckel, ein ungeöffnetes Glas, und man wartet, dass es plopp macht, wenigstens am Morgen, wartet bis zum Abend, und hört keinen Ton.
Zuletzt geändert von Klara am 08.10.2007, 16:19, insgesamt 2-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 13.10.2007, 13:29

Hallo Klara,

das ist einfach gut! Als ich gestern ein Marmeladenglas geöffnet habe und es geploppt hat, dachte ich, dass ich nicht vergessen darf, dir das noch zu schreiben.

liebe Grüße smile

edit: aber den Magerquark mag ich lieber, als das pulverige.

Klara
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Beitragvon Klara » 13.10.2007, 14:31

Freut mich, smile .-)

Samstagsherbstsonnengrüße
Klara

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 08.11.2007, 16:53

Marmelade im glas


Liebe Klara,

keine Kommentare gelesen und nur Version 2 gelesen.

Bei diesem Ausriss merke ich einmal mehr, dass ich deinen Texten stundenlang zuhören könnte und dass es – verzeih, aber das ist auf gute Weise gemeint, eigentlich auch nicht darauf ankommt, ob sie lang oder kurz sind oder ob es sich um einen Ausschnitt handelt oder um etwas Ganzes.
Das liegt zum einen daran, dass in – ist natürlich zugespitzt und somit immer widerlegbar, trotzdem stimmt es für mich in einem tiefer unangreifbarem Sinne – dass also in nahezu jedem Satz „alles“ schon gesagt ist – es wird sofort mein Gefühl angegriffen und die Illusion, dass ich meine, genau zu wissen, wovon du sprichst, ist ausgemacht und ich kann mich da nicht entziehen. Dass ist dann wie ein Kinobesuch, indem man nicht hinabtaucht, um hinterher so schnell zu vergessen, wie man sich aufgeregt hat mit dem Herz (um zu konsumieren), sondern um

Das war jetzt sehr allgemein, aber ich kann in diesem guten Sinne deine Texte auch gar nicht scheiden. An den Kurzprosastücken, Fragmenten oder Auszügen gefällt mir dann noch mal besonders die dichtere Sprache im Vergleich zu den auserzählten „Geschichten“ (das ist kein Qualitätsurteil, eher eine Vorliebe und immer trifft es auch nicht zu), aber wenn die Bilder so wie hier ein Gefühl wie ein Geschmack erzeugen, dann hilft das einfach das Thema in sich zu halten und es sich anzuschauen. Und derer finde ich viele in diesem Text, allen voran, das des Marmeladenglas. Das Süße im Glas, eingeweckt für wann? Und der Druck liegt am Rand, es ist ein ganz anderer Druck als zum Beispiel eine Bombe, er ist unauffällig.


Einzige kleine Auffälligkeiten:

- Statt „sagen aus wie gerupft“ würde ich schreiben: Am anderen Tage sahen die Bäume gerupft aus, der „doppelte“ Vergleich „sahen aus“ & „wie“ empfinde ich als sprachlich schwächend
- Nach „ängstlich“ würde ich ein Komma setzen, die Pause finde ich wichtig.

Klara, ich glaube, ich finde vor allem schön, dass du schreibst, weil du als Autorin die Wirklichkeit nicht nur wiederholst. Darin unterscheiden wir uns, glaube ich, dir zum Guten (und der Grund dafür, der ist sogar ein noch hoffnungsvollerer, wird aber hier nicht verraten).

Ich glaube ja, die Krux liegt daran, dass man gerade Marmelade will(es ist kein Zufall, dass man diese will und nicht etwa den Apfel am Baum). Die gibt es per (Menschen-)definitionem nur im Glas. (Und der Text weiß das).

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klara
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Beitragvon Klara » 10.11.2007, 00:52

Hi Lisa,

schön, dass du diesen "alten" Text noch mal hochholst und besprichst.

Dein Kommentar ist leider ein wenig kryptisch für mich, weil du Sätze plötzlich mittendrin enden lässt:

Dass ist dann wie ein Kinobesuch, indem man nicht hinabtaucht, um hinterher so schnell zu vergessen, wie man sich aufgeregt hat mit dem Herz (um zu konsumieren), sondern um

Schade! Nun wüsste ich natürlich gern, WORUM...
Das Süße im Glas, eingeweckt für wann? Und der Druck liegt am Rand, es ist ein ganz anderer Druck als zum Beispiel eine Bombe, er ist unauffällig.

Jaa!

- Statt „sagen aus wie gerupft“ würde ich schreiben: Am anderen Tage sahen die Bäume gerupft aus, der „doppelte“ Vergleich „sahen aus“ & „wie“ empfinde ich als sprachlich schwächend

Hast Recht.
- Nach „ängstlich“ würde ich ein Komma setzen, die Pause finde ich wichtig.

Hier auch.

Klara, ich glaube, ich finde vor allem schön, dass du schreibst, weil du als Autorin die Wirklichkeit nicht nur wiederholst. Darin unterscheiden wir uns, glaube ich, dir zum Guten (und der Grund dafür, der ist sogar ein noch hoffnungsvollerer, wird aber hier nicht verraten).

Das verstehe ich nicht. Was für ein hoffnungsvollerER Grund denn?? Ist mir etwas Wichtiges entgangen? (Du machst es ja spannend...)
Ich glaube ja, die Krux liegt daran, dass man gerade Marmelade will(es ist kein Zufall, dass man diese will und nicht etwa den Apfel am Baum). Die gibt es per (Menschen-)definitionem nur im Glas. (Und der Text weiß das).

Natürlich will man die Marmelade! (Zumindest nachdem man den Apfel gegessen hat). Man will die Illusion des Wunsches und die Illusion des Plopps und die Illusion eines Löffels voll süffiger Süße, die nicht mit irgendwas bezahlt werden muss. Ohne das bräuchte man ja keine Marmeladenglastexte zu schreiben ,-)

Gute Nacht wünsch ich dir (du bist hoffentlich klüger als ich und schläfst längst, die Träume sind eine der wichtigsten Quellen der Erholung und der Genügsamkeit)
Klara

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.11.2007, 19:13

Liebe Klara,

der Grund ist ein uwissenschaftlicher und macht den dir verhassten Schritt in die Untrennung von lyr. Ich und Autorin: Ich bin einfahc überzeugt, dass du ein kluger Mensch ist = das ist das ganze Geheimnis!

Entschuldige, mit dem abrupt endenden Satz, ich habe den Kommentar am Laptop vorgeschrieben und ins Forum kopiert, da ich doch nur Netz im I-Cafe habe und da wohl übersehen, dass ich da gesprungen bin. ER sollten enden:

sondern um etwas halten zu können, über dieses Konsumieren hinaus, ich will nicht von "gebildet werden" sprechen, also einer wirklichen Bewegung...aber ein anderes Wort fällt mir auch nicht ein (Stifter sagt: Kunst adelt die Seele)...ich würd nicht sagen jede, aber manche schon, du darfst raten welche z.B. :pfeifen:

OK, demnächst find ich dann auch mal wieder was, wo ich kritisch sein kann, sonst knallst du mir noch die Nase vor der Tür zu (oh, nein, andersrum..aber das lass ich jetzt so stehen ,-))

LIebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klara
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Beitragvon Klara » 11.11.2007, 11:09

Zu viel der Ehre, Lisa.

Dennoch danke für die Ergänzung. (Wie du selbst im Loben bescheiden und schüchtern sein kannst...!)

Und natürlich knalle ich dir nicht die Tür vor der Nase zu .-)

Klara


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