(Geändertes)
Edgar
Tinnitus
du, Edgar, hör zu, ich weiß es jetzt. ich werd lautmaler. doch, das kann ich, glaub mir. ich werde die töne beleben wie kein anderer. ja, ich werde melodien erschaffen, meine engelschoräle werden die singen. du antwortest ganz souverän, wie immer mit nüchterner stimme, gefragt sind zielbewusste mit durchhaltevermögen. ja doch, so kann ich sein, wärst du mal hier und würdest mir zuschaun; ich sitz an meinem platz, sauge das leben auf und in mir wird es zur musik. ich seh dich, Edgar. du fährst dir zwischen haut und kragen, neuschneeweiß, sagst, arschbacken zusammengedrückt, der erste eindruck ist entscheidend. auf ein gepflegtes äußeres ist stets zu achten. ja wenns dir darauf ankommt. aber gerne! dann gib mir doch bitte deine badewanne und eine klinge. mein bart, siehst ja selbst. und dein anzug ist dir doch zu eng, meiner riecht schon etwas sauer. klar doch, ganz ruhig, ich verstehe ja, was du sagst, Edgar, beamtliche befugnisse beinhalten keine dienstleistungen dieser art.
hier! ja genau, meines. na, das glas is ja nicht mal ganz voll! ja, sie könnens daneben hinstellen. und ach, holen sie mir bitte gleich noch eins, danke. meine lieben hier sind so gut; sie fliegen herbei und bringen mir das, auf was ich deute. sie singen in leisen hohen tönen, begleitet von harfen. ich bleibe im dunkeln, dass ich sie nicht erschreck mit meinem bart. an dem reiben sie sich die haut auf. wenn ich ihnen lange zuschaue, manchmal beugt sich dann eine runter, dann treffen sich blicke, dann milde nacht
kannst du mich hören, Edgar? gerade ist die musik etwas leiser, schüchtern schmeichelt sie mir. das ist immer so, wenn die lieben sich umziehen. heut hattste ja n' ganz schön aufregenden tag; ich war bei dir, hab extra die bahn genommen. und du, Edgar, sitzt hinter mahagoni und putzt deine gläser, linke augenbraue zuckt, sagst, wenn man einen termin hat, wartet man im foyer, bis man aufgerufen wird. ja, nur was, wenn keiner ruft. dann bleib ich da hocken oder was, da zieht es, konnte das fenster nicht schließen. also zieht es mich zu dir, Edgar. hatte mich so hingesetzt, dass mein mund luftlinie dein ohr. erzählte dir von mir, zählte die fähigkeiten auf, die ich habe und zählte das rauschen in meinem ohr. sagte, du, Edgar, ich weiß es jetzt. ich bin tonträger. ja doch, dazu bin ich geboren. wenn nicht ich, wer denn dann. und du, Edgar, kannst doch nicht wieder sagen, mit gewichtiger stimme, die chance, einen arbeitsplatz zu erhalten, ist angesichts der bewerberanzahl gering. sie verbessert sich bei vorliegenden leistungsnachweisen. ach gott, das habe ich ja fast vergessen, die leistungsnachweise. ja wenn du mir sagst, wo ich die jetzt her bekomme. wer schreibt mir denn heute noch so'n wisch. und überhaupt, das weiß ich doch am besten, das, was ich kann, was ich bin. und wenn halt gerade nicht so, dafür bist du doch da, oder, Edgar. was, was sagst du, etwas lauter bitte, ich, ach, es fängt wieder an. die töne verfärben sich, schwellen an zu einem einzigen lautmeer. ein betäubendes rauschen und die lieben engel baden darin. sie zeichnen mit ihren zehenspitzen kreise in die luft und halten sich an weißen bändern, die fallen leise vom himmel. warm muss es dort sein, warm ists auch hier und meine gedanken wie schlieren, tauchen träge. kirschmarmelade möchte ich
was würdest du mir jetzt sagen, Edgar, wärst du hier und würdest mir zuschaun, wie ich mich über das runde beuge, nicht mal eiche, vor mir die leeren gläser, die sich verdoppeln und das sanfte licht brechen. mich hat das meer gefunden, es rauscht dunkel und der horizont hängt schief. der tisch schwimmt gleich weg und trotzdem liegen noch keine scherben auf dem boden. was meinst du, spricht doch für mein können. Edgar, ich weiß es jetzt. ich war schon immer wellenreiter. ja, das ist mein talent. das mach ich, reite die wellen bis ich ersaufe. hey, Edgar, glaub mir, noch ein wenig und es ist soweit. bis dann lass mich bei meinen lieben schönen engeln. ihnen tropft das wasser von den lippen auf die haut, dort perlt es und fängt licht. die schönen, funkeln wie sterne. und wenn sie anfangen sich zu drehen, immer schneller, werden sie zu kometen
das wasser hat sich in meiner muschel einen neuen ozean gebaut. jetzt sind deine wörter verschluckt, Edgar, vom rauschen. ein schräger ton ist mir geblieben, mein armes ohr, so schräg, dass es weinen muss
Edgar
Hallo Thea,
ein Text, bei dem m.E. alles passt. Ein Text, in dem der ernste Inhalt durch seine sprachliche Gestaltung einen gewissen Trost erfährt
Und was mir besonders gefällt: Ein Text, der ein Individuum zeigt, dass nicht auf der Suche nach sich selbst ist (wie leider so furchtbar oft zu lesen), sondern jemanden, auf der Suche nach seiner Stellung im sozialen Geflecht unserer Gesellschaft. Und das jenseits jeglicher Sozialromantik.
Gelungen!
Liebe Grüße
Sam
ein Text, bei dem m.E. alles passt. Ein Text, in dem der ernste Inhalt durch seine sprachliche Gestaltung einen gewissen Trost erfährt
Und was mir besonders gefällt: Ein Text, der ein Individuum zeigt, dass nicht auf der Suche nach sich selbst ist (wie leider so furchtbar oft zu lesen), sondern jemanden, auf der Suche nach seiner Stellung im sozialen Geflecht unserer Gesellschaft. Und das jenseits jeglicher Sozialromantik.
Gelungen!
Liebe Grüße
Sam
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