Hallo Carl,
Das bedeutet umgekehrt: die von dir vermisste Tiefe ist eine bloße Behauptung (von Autoren in ihren Texten).
Nein, die vermisste Tiefe entsteht, wenn der Text so geschrieben ist, dass man Menschen, Landschaft, Geschichte etc. wahrnimmt und vergisst, dass es sich um einen Text handelt.
Meine Frage war jetzt: wenn ich nur beschreibe, was einer tut und nicht warum, entsteht dann ein Bild?
Wie erzeugt man Tiefe, ohne sie irgendwo, z.B. durch Introspektion, zu behaupten?
Ich staune, weil ich das überhaupt nicht in deinem Text finde, er strotzt doch vor Introspektion/ seinen Gedanken?
(Ich überspitze mal ein wenig, ich hoffe, du nimmst mir das nicht krumm.)
Der Blick in den Spiegel erschüttert. Ein Einstieg, der mich schon fast wieder aussteigen lässt. Introspektion auf Kitschromanniveau. Nimm das "erschüttert" raus und ich werde neugierig.
Sucht einen Grund in dem wirbelnden Chaos, auf dem er wieder stehen kann. Introspektion und Metapher, aber keine neue, oder neugierigmachende.
Gut sieht er aus. Viel jünger. Ein Fremder. Introspektion. Oberflächlich. Klischee. Was sieht er?
Die Babyhaut auf seiner Brust bezeugt, dass 'drei Monate bewusstlos' eine vorsichtige Untertreibung ist um ihn zu schonen. Drei Monate tot scheint es besser zu treffen. Jetzt sehe ich einen Körper vor der Pubertät. Finde ich schwierig in Bezug auf die Softpornogeschichte
Dann bricht ein Sturm von Erinnerungen an seinen letzten Einsatz und die Kanzan'chi-Mission über ihn herein.Hach weh, ein Sturm der Erinnerungen bricht an. Und das mitten im wirbelnden Chaos.
Als er sich etwas erholt hat, macht er ein paar Körper-Übungen. Nach einer Stunde Training hat sich alles auf ein harmonisch menschliches Maß eingependelt. Sein Körper? Er kann also in der realen Welt seinen neuen Kinderkörper durch ein paar Körper-Übungen an seine Vorstellung anpassen? Durch diesen zusätzlichen Dreh, gleichst du die körperliche Seite so sehr der virtuellen Realität an, dass da überhaupt kein Kontrastfeld mehr entsteht. Sieht er jetzt wieder alt, brustbehaart und gut aus?
Er ist angenehm erhitzt. Introspektion.
Stellt sich ans Fenster und schaut in den Park. Die Sonne geht grade unter. Die Autoscheinwerfer auf der angrenzenden Verkehrsader leuchten durch die kahlen Büsche. Freiburg also. Lebendig sein. Alles in allem nicht schlecht. Wieder seine Gedanken. Aber oh wie cool, da hat er einen neuen Körper, kommt gerade aus dem Sturm der Erinnerungen und denkt sich: Alles in allem nicht schlecht.
Wenn die Geschichte für sich wirken soll, brauche ich das Freiburg nicht, das hat mich völlig irritiert und ist ja auch nicht mehr wichtig im weiteren Verlauf?
Die nächsten Tage sind die schwierigsten seines Lebens. Introspektion. Platt, benannt, behauptet. Ich seh nichts. Lässt mich völlig kalt.
Er hat bisher gedacht, die Front sei der Härtetest gewesen. War sie auch, zumindest was das physische Überleben angeht. Was er aber jetzt durchmacht, stellt seine Identität mehr auf die Probe als alles, was er bisher im Krieg erlebt hat. So, hat er das gedacht? .-) Was macht er denn durch, der Arme, was hat er denn im Krieg erlebt?
Am liebsten hätte er sich gleich allen Herausforderungen der Zukunft auf einmal gestellt, hätte eine Konferenz nach der andern einberufen, Aufgaben verteilt, aber die Ärztin - inzwischen weiß er ihren Namen wieder: Marcella de Brivio! - Marcella also hat es ihm verboten. Wieder Introspektion. Und wow, was für ein Held und Macher, und das in den schwierigsten Tagen seines Lebens und gleich alle Herausforderungen der Zukunft.
Mit gutem Grund: Er soll erst mit seinem neuen Körper üben.
Kein Problem. Marcella ist völlig verblüfft von seiner Fitness. War ja klar, bei so einem tollen Hecht. Kein Problem. Frau ist beeindruckt, völlig verblüfft. Was übt er denn so?
Keine Herausforderungen sind audio-visuelle Dateien oder Streams in Echtzeit. So hat er trotz des Verbots der behandelnden Ärztin - aber seit wann hat er sich was von seinen Ärzten verbieten lassen? - mit Thorsten Friederich konferiert und sich in das System des Geheimdienstes einweisen lassen. Thorsten ist sichtlich begeistert ihn zu sehen, gratuliert ihm überschwänglich zum Erfolg der Kanzan'chi-Mission. Und zu seiner Genesung. Tolltolltoll, alles seine Sichtweise, und verbieten lässt er sich auch nichts, machen Helden immer so.
"Schon gut, Friedrich, bleiben Sie auf dem Teppich! Das ist unser aller Erfolg. Bisher hatten wir Glück, aber es ist noch nicht zu Ende!" Wie generös von ihm, klingt nach der ganzen Eigenlobhudelei sehr unglaubwürdig.
Dann sprechen sie über die politische Lage und die Kompetenz-Verteilung. Berkenstein als Außenminister ist die Kröte, die er schlucken muss. Aber sie haben keinen andern und er macht seine Sache gut. Von Thorsten ausgewählte Bilder und Daten rauschen vor seinem inneren Auge vorbei, Leute bei der Arbeit, die ihm höflich zuwinken und dann konzentriert weitermachen, Absprachen, Protokolle und Verlautbarungen werden referiert: alles fühlt sich so an, als wäre er unmittelbar dabei. Ich habe keine Ahnung, um was es geht. Muss ich das? Ist das wichtig?
Er muss sich setzen, sich an seinen Atemübungen festhalten um nicht aus dem Körper katapultiert zu werden. Schließlich fühlt er sich trotz rasender Kopfschmerzen einigermaßen im Bilde. Welch dramatische Metapher, erschütternd! Und wieder der Held, der keine Schmerzen scheut.
"Täuschen Sie sich nicht Herr Major! Das klappt nur, weil alle wissen, dass Sie da sind. Sie sind der Nagel, der alles zusammenhält! Die Leute arbeiten letztlich auf Ihr Zu- oder Abraten hin, auf Ihre Entscheidung. Sie hoffen, dass Sie zum Schluss den Stein der Weisen aus der Tasche ziehen und alle Konflikte damit auflösen..."
Bei diesen Worten bricht die ganze Last der Verantwortung über ihn herein. Bisher hat er sich von Augenblick zu Augenblick gehangelt, immer im Bestreben, nicht vom Zug der Ereignisse überrollt zu werden. Er hat öfter in Kampfhandlungen Entscheidungen über Leben und Tod für sich und andere treffen müssen, aber in diesen Dimensionen? Für Millionen Menschen? Er lässt sich nichts anmerken. Hier habe ich mich schon gefragt, ob das vielleicht eine Parodie werden sollte?
Die ganze Last der Verantwortung. Nicht nur die halbe! Vom Zug der Ereignisse überrollt werden ... ja welche denn? Diese Dimensionen. Millionen Menschen. Entscheidungen über Leben und Tod! Ich weiß zwar immer noch nicht, um was es geht, aber das ist natürlich mächtig beeindruckend. Und nein, so ein Held lässt sich natürlich nichts anmerken.
Hmmm... ich höre mal hier auf, aber das zieht sich durch den ganzen Text. Ich kann das leider nicht unter deinem "formalen" Gesichtspunkt für den Text nutzen. Und natürlich provoziert das Reaktionen, aber mir scheint nicht wie von dir intendiert?
1. inhaltlich: eine erotische oder auch nur sexuelle Begegnung zwischen älterem Mann (äh, Freud lässt grüßen) und jüngerer Frau in ihren Motiven und ihrer inneren Entwicklung "realistisch" zu beschreiben, aber auch "anmachend".
Dir ging es inhaltlich ausschließlich oder vorwiegend um die Bernadette-Geschichte??? Du findest das wirklich "realistisch"?? Und älterer Mann/jüngere Frau, ist doch hier völlig ausgehebelt?
2. formal: die beiden Glaubenssätze "alles ist Oberfläche" und "wenn die Simulation von der Realität nicht unterscheidbar ist, dann ist sie die Realität" durchzuspielen.
Das finde ich wirklich interessant und ärgere mich dann, dass die Geschichte das für mich überhaupt nicht aufgreifen oder thematisieren kann. Ich verstehe scheinbar aber auch nicht so ganz, was du unter "Oberfläche" verstehst.
Sam hat geschrieben:Und wie im wirklichen Leben, muss der Mensch sich in der geschaffenen, virtuellen Realität auch erst einmal neu (er)finden. Da kommt man um "Kitsch" fast nicht herum, da der ganze Prozess ein "back to bascis" erfordert.
...
Da wird das rein Menschliche, weil es immer schwerer zu erfassen ist, beinahe automatisch auf Kitschniveau reduziert, wenn man Kitsch mit emotionaler Hilflosigkeit, Vordergründigkeit oder der einfachen Sehnsucht nach einer feststehenden Wahrheit (Realität) gleichsetzen möchte.
Wer ist "man"? Der Autor oder seine Protags? Kitsch und Oberfläche in beiden Realitäten? Und wo finde ich denn in der Geschichte emotionale Hilflosigkeit und eine Sehnsucht nach einer feststehenden Wahrheit, oder soll das beim Leser hervorgerufen werden? Und wie kommst du darauf, dass das "Kitsch" ist? Ich kann dir mal wieder nicht folgen.
Liebe Grüße
Flora
edit: *lach* Ich fürchte gerade auch das Wort Introspektion, so schön es ist, habe ich vermutlich anders aufgefasst, als du es gemeint hast.