Melancholie der Bahnhöfe (vorher: Auf Bahnhöfen)
scarlett hat geschrieben:Nun, da kein statement mehr zu der angesprochenen Stelle bzgl. einer Änderung, der gegenüber ich ja durchaus aufgeschlossen wäre, kommt, werde ich den Text jetzt einfach so belassen, wie er ist.
Gute Idee!
Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen
Liebe scarlett,
ich finde es gut, wenn du den Text so lässt, wie er ist - nicht dass der Kommentar jetzt falsch rüberkommt und von der Rückmeldung her ist das Meinungsbild ja auch mehr als geschlossen! Trotzdem wollte ich schreiben, dass es mir mit dem Text anders ergangen ist, als den bisherigen Lesern. Was ich wirklich mag (vor allem, weil ich mir die Blickrichtung, das Schauen so genau/treffend) anschauen kann) ist das Bild der Geschichten im "stählernen Korsett der Gleise". Ich mag auch die zweigeteilte Erzählstimme des Texten, die für mich zeigt, dass hier ein zartes Annähern, ein Zurücknehmen gegenüber dem Erzählgegenstand, versucht wird.
Das konkrete Erzählen dann aber finde ich zu nachahmend romantisch, gerade, weil der "Topos" Bahnhof doch schon sehr ausgeschöpft ist: der Text kann meines Erachtens hier auf diese Art nicht anreißen (was er ja versucht), weil es die benötigten Erzähllücken nicht mehr gibt (durch große Romane etc,). Zudem finde ich, dass der erste Teil mit dem Satz "Man müsste sie bergen, denke ich mir oft, ihnen eine Stimme geben, und sei es die eigene. " ins Kokette verfällt ("wer ist man? warum müsste man es? und wenn nicht die eigene, welche dann? besonders die spannung von "man" und "und sei es die eigene" bewirkt das für mich"), das finde ich tendentiell "unverzeihlich" )(das ist nicht moralisch gemeint, sondern so, dass ich dieses Gefühl mit in den zweiten Teil nehme und es auf ihn abfärbt).
Den zweiten Teil finde ich dann einfach zu dick aufgetragen - es gibt so viele superlativartige Attribute, Beschreibungen - dass das ganze für mich keine Szene mehr evoziert, sondern die Worte als Worte auseinanderfallen.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass der Text gerade an dem krankt, was er möchte: dem Geschehen die eigene Stimme verleihen, er verliert sich in den Augen, die wir gemacht bekommen, es sind gelernte Bildern von Bildern von Dingen* und bleibt daher gerade in der Spur der Gleise, dem vorgegeben - was allerdings auch allerhöchster Anspruch ist.
Wenn der Text nicht versuchen müsste, die Geschichten, die schon längst Geschichten sind, zu Geschichten zu erheben, dann könnte die Stimme erscheinen. Oder um es mit dem Text zu sagen: für mich sind die Geschichten nicht das vielfädig Schillernde im steinigen Bett, für mich sind die Geschichten die Steine: getrennt voneinander und doch miteinander, festgehalten im stählernen Korsett der Gleise. Das Hinzugefügte ist für mich eine Entfernung.
liebe Grüße,
Lisa
*ich meine damit: (viele Gefühle oder Zustände wie etwa Angst, Mitgefühl oder Traurigkeit können Menschen meines Erachtens heute nur noch mittelbar über Prothesen spüren und sie wissen gar nicht, dass es Ersatzkontexte sind, weil die eigentlichen Gefühle so grundsätzlich kultiviert/gezäunt wurden, dass es ein zu großes Wagnis wäre, sie zu spüren)
ich finde es gut, wenn du den Text so lässt, wie er ist - nicht dass der Kommentar jetzt falsch rüberkommt und von der Rückmeldung her ist das Meinungsbild ja auch mehr als geschlossen! Trotzdem wollte ich schreiben, dass es mir mit dem Text anders ergangen ist, als den bisherigen Lesern. Was ich wirklich mag (vor allem, weil ich mir die Blickrichtung, das Schauen so genau/treffend) anschauen kann) ist das Bild der Geschichten im "stählernen Korsett der Gleise". Ich mag auch die zweigeteilte Erzählstimme des Texten, die für mich zeigt, dass hier ein zartes Annähern, ein Zurücknehmen gegenüber dem Erzählgegenstand, versucht wird.
Das konkrete Erzählen dann aber finde ich zu nachahmend romantisch, gerade, weil der "Topos" Bahnhof doch schon sehr ausgeschöpft ist: der Text kann meines Erachtens hier auf diese Art nicht anreißen (was er ja versucht), weil es die benötigten Erzähllücken nicht mehr gibt (durch große Romane etc,). Zudem finde ich, dass der erste Teil mit dem Satz "Man müsste sie bergen, denke ich mir oft, ihnen eine Stimme geben, und sei es die eigene. " ins Kokette verfällt ("wer ist man? warum müsste man es? und wenn nicht die eigene, welche dann? besonders die spannung von "man" und "und sei es die eigene" bewirkt das für mich"), das finde ich tendentiell "unverzeihlich" )(das ist nicht moralisch gemeint, sondern so, dass ich dieses Gefühl mit in den zweiten Teil nehme und es auf ihn abfärbt).
Den zweiten Teil finde ich dann einfach zu dick aufgetragen - es gibt so viele superlativartige Attribute, Beschreibungen - dass das ganze für mich keine Szene mehr evoziert, sondern die Worte als Worte auseinanderfallen.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass der Text gerade an dem krankt, was er möchte: dem Geschehen die eigene Stimme verleihen, er verliert sich in den Augen, die wir gemacht bekommen, es sind gelernte Bildern von Bildern von Dingen* und bleibt daher gerade in der Spur der Gleise, dem vorgegeben - was allerdings auch allerhöchster Anspruch ist.
Wenn der Text nicht versuchen müsste, die Geschichten, die schon längst Geschichten sind, zu Geschichten zu erheben, dann könnte die Stimme erscheinen. Oder um es mit dem Text zu sagen: für mich sind die Geschichten nicht das vielfädig Schillernde im steinigen Bett, für mich sind die Geschichten die Steine: getrennt voneinander und doch miteinander, festgehalten im stählernen Korsett der Gleise. Das Hinzugefügte ist für mich eine Entfernung.
liebe Grüße,
Lisa
*ich meine damit: (viele Gefühle oder Zustände wie etwa Angst, Mitgefühl oder Traurigkeit können Menschen meines Erachtens heute nur noch mittelbar über Prothesen spüren und sie wissen gar nicht, dass es Ersatzkontexte sind, weil die eigentlichen Gefühle so grundsätzlich kultiviert/gezäunt wurden, dass es ein zu großes Wagnis wäre, sie zu spüren)
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Liebe Lisa,
es ist schwierig für mich, adäquat auf deinen Kommentar zu antworten, ohne dass es nach Rechtfertigung ausschaut. Andrerseits hast du dir Mühe gemacht und deshalb kann und will ich das jetzt auch nicht in zwei Sätzen abhaken, verstehst du, was ich meine?
Schade, dass der Text für dich nicht funktioniert, du ihn als "nachahmend romantisch" empfindest.
Natürlich ist der Bahnhof als Topos ausgeschöpft, aber welches Thema ist es nicht? Somit erscheint mir das nicht-mehr-schreiben-Können an sich - weil ja alles schon mal ge- und beschrieben wurde - selbst als Topos.
Was du als "kokett" bezeichnest in dem Satz "man müsste sie (die Geschichten) bergen, denke ich, ihnen eine Stimme geben, und sei es die eigene" erscheint mir wiederum nun logisch für die Geschichte an sich zu sein, weil erst danach etabliert sich ein erzählendes Ich mit "seiner" Geschichte, seiner Sicht auf das, was Bahnhöfe so bieten und webt daraus seine Stimme. Das ist nicht DIE Geschichte oder es sind nicht DIE Geschichten, sondern eine ganz eigene, mit einer eigenen Stimme. Erst durch den Akt des Schreibens wird aus der namenlosen Fülle Spezielles. Davor sind sie unpersönliches "man". Zumindest ist das meine Sicht.
Ich finde schon, dass es durchaus Formulierungen in diesem Text gibt, die so, in der Form noch nicht tausendmal geschrieben wurden ... aber das mag jeder anders sehen.
Und nein, ich hätte diesen Text nicht anders schreiben können, es ist eine Geschichte unter vielen möglichen.
"Eigentlich ist alles schon geschrieben in der Welt. (...) Macht nichts, ob das schon da ist oder nicht, du drückst aus, was du fühlst, was du siehst und denkst, gleich, wie gut es ist oder wie schlecht es ist" - Eva Strittmatter, Poesie und andere Nebendinge.
Dem kann ich wahrlich nichts hinzufügen.
Hab Dank für deine Meinung, die du mir ausführlich und begründet dargelegt hast, die ich zwar einerseits nachvollziehen kann, andererseits bleibt sie mir dennoch fremd.
Herzlichst,
scarlett
es ist schwierig für mich, adäquat auf deinen Kommentar zu antworten, ohne dass es nach Rechtfertigung ausschaut. Andrerseits hast du dir Mühe gemacht und deshalb kann und will ich das jetzt auch nicht in zwei Sätzen abhaken, verstehst du, was ich meine?
Schade, dass der Text für dich nicht funktioniert, du ihn als "nachahmend romantisch" empfindest.
Natürlich ist der Bahnhof als Topos ausgeschöpft, aber welches Thema ist es nicht? Somit erscheint mir das nicht-mehr-schreiben-Können an sich - weil ja alles schon mal ge- und beschrieben wurde - selbst als Topos.
Was du als "kokett" bezeichnest in dem Satz "man müsste sie (die Geschichten) bergen, denke ich, ihnen eine Stimme geben, und sei es die eigene" erscheint mir wiederum nun logisch für die Geschichte an sich zu sein, weil erst danach etabliert sich ein erzählendes Ich mit "seiner" Geschichte, seiner Sicht auf das, was Bahnhöfe so bieten und webt daraus seine Stimme. Das ist nicht DIE Geschichte oder es sind nicht DIE Geschichten, sondern eine ganz eigene, mit einer eigenen Stimme. Erst durch den Akt des Schreibens wird aus der namenlosen Fülle Spezielles. Davor sind sie unpersönliches "man". Zumindest ist das meine Sicht.
Ich finde schon, dass es durchaus Formulierungen in diesem Text gibt, die so, in der Form noch nicht tausendmal geschrieben wurden ... aber das mag jeder anders sehen.
Und nein, ich hätte diesen Text nicht anders schreiben können, es ist eine Geschichte unter vielen möglichen.
"Eigentlich ist alles schon geschrieben in der Welt. (...) Macht nichts, ob das schon da ist oder nicht, du drückst aus, was du fühlst, was du siehst und denkst, gleich, wie gut es ist oder wie schlecht es ist" - Eva Strittmatter, Poesie und andere Nebendinge.
Dem kann ich wahrlich nichts hinzufügen.
Hab Dank für deine Meinung, die du mir ausführlich und begründet dargelegt hast, die ich zwar einerseits nachvollziehen kann, andererseits bleibt sie mir dennoch fremd.
Herzlichst,
scarlett
scarlett hat geschrieben:Ich finde schon, dass es durchaus Formulierungen in diesem Text gibt, die so, in der Form noch nicht tausendmal geschrieben wurden ... aber das mag jeder anders sehen.
Das sehe ich genauso. Monika, durch deine Art, die Bahnhofsszenerie in dieser lyrischen Prosa zu schreiben mit Sätzen wie
In zwielichtiger Ecke friert ein abgestandenes Lächeln, grell ausgeleuchtet schmiert sich eine Träne über gepudertes Gesicht.
oder
Darüber tanzt hysterisch Lachen, im Zischen einer Cola Dose. und und und
gibst du dem Topos Bahnhof deine ganz eigene Sprache und das finde ich sehr fein.
Saludos
Mucki
Liebe scarlett,
natürlich kann ich verstehen, dass eine Antwort auf meinen Kommentar schwierig ist - ich finde, deine ist sehr fein geworden und ich danke dir für die Auseinandersetzung!
Natürlich ist auch deine eigene Note dabei, der Text ist ja nicht von Grund auf falsch (sonst hätte ich ihn gar nicht so kommentieren können)! Wie gesagt finde ich etwa das Bild mit den Steinen und den Gleisen schon sehr wirkstark.
Aber interessanterweise zeigen gerade die von Gabriella zitierten Passagen für mich die Verhaftung der Augen im "Gruppensehen" (alle sehen das gleiche und sehen deshalb nichts): nehmen wir die eine Beschreibung etwa:
Was beschreibt das eigentlich? Was für eine Szene? Ich frage mich: Wie oft habe ich am Bahnhof tatsächlich in einer Ecke jemand frierend weinen sehen? Ist das ein Vorkommen? Und kommt anderes, was auch Bahnhofsmelancholie ist, nicht viel öfter vor, aber wir sehen es nicht, weil es nicht auf der Liste der Bahnhofserlebnisse steht?
Ich habe das jetzt nochmals ausgeführt, weil ich das Hinterfragen solcher Mechanismen unglaublich wichtig finde und mich das einfach bei diesem Text angesprungen und nicht mehr losgelassen hat, ich schreib das nicht als Aufforderung, dass du dich nochmals "verteidigen" sollst.
Auch herzlichst
Lisa
natürlich kann ich verstehen, dass eine Antwort auf meinen Kommentar schwierig ist - ich finde, deine ist sehr fein geworden und ich danke dir für die Auseinandersetzung!
Ich finde schon, dass es durchaus Formulierungen in diesem Text gibt, die so, in der Form noch nicht tausendmal geschrieben wurden ... aber das mag jeder anders sehen.
Natürlich ist auch deine eigene Note dabei, der Text ist ja nicht von Grund auf falsch (sonst hätte ich ihn gar nicht so kommentieren können)! Wie gesagt finde ich etwa das Bild mit den Steinen und den Gleisen schon sehr wirkstark.
Aber interessanterweise zeigen gerade die von Gabriella zitierten Passagen für mich die Verhaftung der Augen im "Gruppensehen" (alle sehen das gleiche und sehen deshalb nichts): nehmen wir die eine Beschreibung etwa:
In zwielichtiger Ecke friert ein abgestandenes Lächeln, grell ausgeleuchtet schmiert sich eine Träne über gepudertes Gesicht.
Was beschreibt das eigentlich? Was für eine Szene? Ich frage mich: Wie oft habe ich am Bahnhof tatsächlich in einer Ecke jemand frierend weinen sehen? Ist das ein Vorkommen? Und kommt anderes, was auch Bahnhofsmelancholie ist, nicht viel öfter vor, aber wir sehen es nicht, weil es nicht auf der Liste der Bahnhofserlebnisse steht?
Ich habe das jetzt nochmals ausgeführt, weil ich das Hinterfragen solcher Mechanismen unglaublich wichtig finde und mich das einfach bei diesem Text angesprungen und nicht mehr losgelassen hat, ich schreib das nicht als Aufforderung, dass du dich nochmals "verteidigen" sollst.
Auch herzlichst

Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Hallo Scarlett,
ich kann mich Lisas letztem Beitrag nur anschließen. Gerade die zitierte Passage erreicht mich nicht.
Den folgenden Satz hingegen finde ich sehr spannend (etwas verschlankt), wei er ganz einfach etwas in Frage stellt, auf eine doppelte Art und Weise ein Denkmuster hinterfragt und dabei ganz dicht am Thema Bahnhof ist:
Im Rahmen eines Fensters [...] die Hoffnung, [...], dass man niemals mehr derselbe ist, wenn man den Zug dann irgendwann verlässt.
Grüße,
Yorick.
ich kann mich Lisas letztem Beitrag nur anschließen. Gerade die zitierte Passage erreicht mich nicht.
Den folgenden Satz hingegen finde ich sehr spannend (etwas verschlankt), wei er ganz einfach etwas in Frage stellt, auf eine doppelte Art und Weise ein Denkmuster hinterfragt und dabei ganz dicht am Thema Bahnhof ist:
Im Rahmen eines Fensters [...] die Hoffnung, [...], dass man niemals mehr derselbe ist, wenn man den Zug dann irgendwann verlässt.
Grüße,
Yorick.
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