E = mc²

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Rala

Beitragvon Rala » 18.06.2007, 22:44

E = mc²
Die kühle Sonne lässt träge einen Lichtfinger über die Fahrradspeichen gleiten. Die Welt liegt noch ordentlich zusammengefaltet in den Regalen, der Asphalt flüstert leise mit den Reifen, ansonsten herrscht Vogelstille. Das Kind radelt schnell, in gleichmäßiger Geschwindigkeit, durch die morgenleeren Sonntagsstraßen. Es fröstelt in seiner dünnen Sweatjacke, aber das ist ihm egal, es ist nicht wichtig, keiner sieht es, also kann es ebenso gut sein, dass es gar nicht so ist.
Die Luft bietet keinen Widerstand, so wie der Rest der Welt, man muss sich einfach nur selbst zu einem Teil von ihr machen. Sie lässt das zu, im Grunde ist es ihr vollkommen einerlei, sie nimmt ohnehin kritiklos alles in sich auf, was ihr angeboten oder aufgezwungen wird, und so früh am Morgen ist sie noch beinahe leer. Ihre Moleküle mischen sich unter die des sonst so starr erscheinenden Körpers, der durchlässig wird, hier und jetzt muss er keine Form wahren, wozu auch, keiner sieht es. Es ist niemand da, der dem Kind hinterherrufen könnte, es solle gefälligst vernünftig sein und sich wärmer anziehen und außerdem seine Nase putzen; niemand, der ihm sagte, wie doof es sei, dass es ein hässliches Gesicht habe und abstehende Ohren und zu dumm sei, um eins und eins zusammenzuzählen, dass es ja nicht einmal einen Ball fangen könne; und niemand, der ihm mit spöttischer Miene klarmachte, dass es Unsinn sei zu glauben, man könne seine Körpermoleküle mit denen der Luft oder anderen vermischen, oder gar mit jenen fester Gegenstände. Und weil niemand da ist, der das sagt, fährt das Kind auf den nächsten Laternenpfahl zu und durch ihn hindurch, Moleküle streifen Moleküle, es kitzelt ein wenig, aber sie tun sich gegenseitig nichts, sie betasten sich, erkennen ferne Verwandtschaften, alte Bekannte, irgendwann waren wir doch einmal gemeinsam ..., leider geht es zu schnell, noch eine kurze Liebkosung zum Abschied, kleine elektrische Blitze, dann ist es schon wieder vorbei, keiner hat es gesehen, also kann es ebenso gut sein, dass es gar nicht passiert ist. Aber das ist egal, es hat Spaß gemacht.
Keiner sieht mich, also kann es ebenso gut sein, dass ich gar nicht existiere, denkt das Kind. Möglicherweise ist es nichts weiter als seine eigene Einbildung, sein eigener Traum oder der Traum von irgendjemand anderem, der jetzt, am Sonntagmorgen, noch im Bett liegt und ausschläft und sich beim Aufwachen nicht einmal mehr daran erinnern wird. Nur, was wird aus ihm, dem Kind, wenn der, der es träumt, aufwacht und sich nicht an es erinnert? Wird es weg sein, als habe es nie existiert? Wird es auf ewig in diesem Traum des anderen weiterradeln, bis er vielleicht irgendwann einmal wieder zu ihm zurückkehrt, möglicherweise auch erst in einem anderen Leben? Wenn es jetzt meint, aus eigenem Wunsch die Richtung zu ändern, ist das dann tatsächlich sein eigener Wunsch oder ein Einfall des anderen? So überlegt das Kind, während es durch ein Auto fährt, was sich kalt anfühlt, besonders der Motor, der kratzt auch ein wenig. Und wenn der Träumer keine anderen Menschen mit hineinträumt, dann wird es seine Ruhe haben, niemand wird es belästigen, und selbst seine Erinnerungen an andere Menschen wären nur geträumt, all die Alpträume, die es schon tatsächlich erlebt zu haben meint, wären gar nicht wahr gewesen. Und die schönen Erinnerungen ... was würde es ändern, ob die schönen Erinnerungen echt wären oder nur geträumt, es hätte sie weiterhin. Im Grunde brauchte es sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen, eigentlich kann jetzt gar nichts mehr passieren, in diesem Moment ist das Leben perfekt, keine bösen Überraschungen mehr möglich, aber auf die Dauer ist das vielleicht doch ein bisschen langweilig ... irgendetwas fehlt noch, um die gegebene Perfektion weiter zu perfektionieren. Ein endgültiges Perfekt daraus zu machen. Der perfekte Abschluss.
Es ist sicherer, das Ganze jetzt abzuschließen, so lange es noch eine Möglichkeit dazu gibt, zumindest versuchen muss es das Kind, denn was ist, wenn der Träumer tatsächlich aufwacht und es einfach so im Nichts verschwinden lässt? Oder, noch schlimmer, wenn es ihm einfallen sollte, den Sonntag bis zum Ende und dann in einen hässlichen, alltäglichen Montag mit all den gewohnten kleinen Grausamkeiten hinüberzuträumen, an dem dann doch alles ist wie immer? Wenn das Leben dann plötzlich doch in die alten Bahnen zurückkehrt, sein altes Gesicht quälender Unendlichkeit zurückerhält? Noch zeigt sich die Welt neu und vielversprechend, noch ist sie am schönsten und somit ideal zum Aufhören. Bereit für das krönende Feuerwerk. Mit der Energie von dreißig Wasserstoffbomben, die jeder Mensch mit sich herumträgt, das Grandioseste, was diese Welt je gesehen hat. Das Einzige, was noch fehlt, ist ein Weg, diese Energie freizusetzen. Eine Initialzündung, die in der Lage ist, sämtliche Körpermoleküle auf einmal auseinanderzureißen.
Kein Problem, denkt das Kind, es ist Sonntagmorgen. Und radelt weiter durch die stillen Straßen, durch Häuser hindurch, in denen die Menschen – es sind also doch andere Menschen in dem Traum, aber sie sind blind für alles, von dem sie zu wissen glauben, dass es nicht sein kann – gerade das Frühstücksgeschirr zusammenräumen und sich fertig machen für die Kirche. Jetzt braucht es doch Menschen, noch nicht gleich, nicht jetzt, niemanden, der ihm jetzt erklärt, dass das nicht geht, was es da vorhat, der ihm wieder sagt, wie dumm es sei. Aber später braucht es sie. Damit sie alle sehen, dass es doch geht. Damit es jemanden gibt, der sein Lachen hört. Es fährt durch die Menschen hindurch, ihre Seelen – feinste Energiegespinste, kaum sichtbar, aber unzweifelhaft da –, einige davon bereits in stiller Vorbereitung auf den Gottesdienst, viele jedoch meilenweit davon entfernt. Der Träumer, sollte es ihn geben, lässt all dies geschehen, beobachtet gespannt, was geschieht. Das Kind kommt früher als die meisten bei der Kirche an. Direkt unter dem riesigen Glockenturm hält es an und bleibt auf seinem Fahrrad sitzen, abwartend, konzentriert. Während sich nach und nach die ersten Menschen auf dem Vorplatz sammeln, läuten schließlich die Glocken das Finale ein.
Es ist wie immer, doch diesmal lässt das Kind es zu. Hält sich nicht die Ohren zu, versucht nicht, so weit wie möglich davonzulaufen, sich irgendwie den Schlägen zu entziehen. Diesmal genießt es jede einzelne der heftigen Erschütterungen, sammelt sie, dass sich die Schwingungen im Körper addieren, spürt, wie sich jede einzelne Zelle mit Energie auflädt, bis schließlich mit dem letzten harten Schlag sämtliche Moleküle auf einmal auseinanderfliegen in einer Explosion, so mächtig, wie sie die Welt noch nie erlebt hat. Minuten, Stunden vergehen, auch wenn keine Uhr mehr da ist, die sie messen könnte, und noch immer bebt die Erde, zerfällt vorher felsenfest Geglaubtes in seine winzigsten Bestandteile. Und immer noch schießen neue scharfe Blitze fröhlich in endloses Schwarz.
Das ist jetzt nicht egal, das müssten alle gesehen haben, kann also sein, dass es tatsächlich passiert ist.

Sam

Beitragvon Sam » 21.06.2007, 06:53

Hallo Rala,

mir gefällt dein Text ausnehmend gut. Er ist wunderbar melodisch geschrieben, mit der Leichtigkeit einer Brise aber dennoch nicht Leichtgewichtig.
Stellenweise musste ich an J.L. Borges "Die kreisförmigen Ruinen" denken. Da geht es ja auch um geträumte Welten.
Bestimmt muss ich den Text noch einige Male lesen, um ein für mich schlüssiges Bild dessen zu haben, was du schilderst. Aber die Bilder und Assoziationen, die in meinen Kopf beim Lesen entstehen sind anregend und angenehm, so dass ich mit viel Vergnügen lese.
Sehr schön, wie du zwei Gedankenstränge im Ende zum Höhepunkt führst. Einmal das Entladen der Energie der einzelnen Moleküle, aus denen man besteht und dann das daraus resultierende Sichtbar- und damit Wirklichkeitwerden.

Absolut lesenswert deine Geschichte!!

Liebe Grüße

Sam

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.06.2007, 13:19

Hallo Rala,

ich habe mir, gleich beim 1. Lesen deiner faszinierenden Story, ein Lesezeichen gesetzt, um dir Feedback zu geben. Ich muss sie aber noch ein paar Mal lesen. Zumindest weiß ich bereits, was
E = mc² bedeutet,-) Ich melde mich wieder, um mich dann ausführlich zu äußern.
Saludos
Mucki

Klara
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Beitragvon Klara » 21.06.2007, 15:58

Hallo Rala,
erstmal nur schnell dies (komme später nochmal bei deinem Text vorbei):

Du leistest ein mit einem Kind, "es", und gehst nach dem Absatz übergangslos auf "sie" über. Das kommt für mein Lesen komisch an.

Bis später
Klara

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.06.2007, 16:57

Hallo Rala,

ein bizarrer Text, typisch Rala,-) Ich habe ihn fasziniert mehrfach gelesen.

Vorab eine grundsätzliche Frage:
E = mc² bedeutet (ich musste natürlich gucken, bin ja kein Physiker):

Das Prinzip besagt, dass die Masse eines Körpers einer Energiemenge entspricht, dass also Masse und Energie in Wirklichkeit zwei Zustandsformen der selben Sache sind. Dies führt dazu, dass der Energieerhaltungssatz derart umformuliert werden kann, dass Masse und Energie in einem abgeschlossenen System erhalten sind; Masse und Energie bleiben nicht unabhängig voneinander erhalten, da sie ineinander umgewandelt werden können.

In deiner surrealen Story jedoch berühren sich die verschiedenen Energien (Körper des Kindes) und die anderen (Laternenpfal, Auto, Menschen, etc.), das Kind spürt Kribbeln, mal leichter, mal stärker. Es findet also keine Umwandlung statt. Dies nur als Gedanke.

So, bin mal konkret in deiner Story:

Es fröstelt in seiner dünnen Sweatjacke, aber das ist ihm egal, es ist nicht wichtig, keiner sieht es, also kann es ebenso gut sein, dass es gar nicht so ist.


Dies erinnert mich ein bisschen an die typische Kinderaussage: Ich schließe meine Augen, also kann mich auch keiner sehen.
Außerdem fröstelt es doch dem Kind. Was hat dies damit zu tun, ob andere es sehen oder nicht?

man muss sich einfach nur selbst zu einem Teil von ihr machen. Sie lässt das zu, im Grunde ist es ihr vollkommen einerlei, sie nimmt ohnehin kritiklos alles in sich auf, was ihr angeboten oder aufgezwungen wird, und so früh am Morgen ist sie noch beinahe leer.


Das "sie" und "ihr" beziehst du hier auf die Welt, nicht?

Mir gefällt, wie du die Welt hier personifizierst.

Ihre Moleküle mischen sich unter die des sonst so starr erscheinenden Körpers, der durchlässig wird, hier und jetzt muss er keine Form wahren, wozu auch, keiner sieht es.


Besser: ...unter die sonst so starr erscheinenden Körper (das "die des" wirkt holprig)
Im Text kommt zu oft "keiner sieht es" vor.

Es ist niemand da, der dem Kind hinterherrufen könnte, es solle gefälligst vernünftig sein und sich wärmer anziehen und außerdem seine Nase putzen; niemand, der ihm sagte, wie doof es sei, dass es ein hässliches Gesicht habe und abstehende Ohren und zu dumm sei, um eins und eins zusammenzuzählen, dass es ja nicht einmal einen Ball fangen könne; und niemand, der ihm mit spöttischer Miene klarmachte, dass es Unsinn sei zu glauben, man könne seine Körpermoleküle mit denen der Luft oder anderen vermischen, oder gar mit jenen fester Gegenstände. Und weil niemand da ist


sehr oft "niemand"
Ist es für die Story voranbringend, diese Details mit Nase putzen, Gesicht, Ohren, etc.? Kann m.E. weg. Eigentlich reicht doch die Aussage, dass niemand dem Kind klarmachen könnte, dass es Unsinn sei.......

der Luft oder anderen vermischen, oder gar mit jenen fester Gegenstände


Komma vor "oder" weg

Und weil niemand da ist, der das sagt, fährt das Kind auf den nächsten Laternenpfahl zu und durch ihn hindurch, Moleküle streifen Moleküle, es kitzelt ein wenig, aber sie tun sich gegenseitig nichts, sie betasten sich, erkennen ferne Verwandtschaften, alte Bekannte, irgendwann waren wir doch einmal gemeinsam ..., leider geht es zu schnell, noch eine kurze Liebkosung zum Abschied, kleine elektrische Blitze, dann ist es schon wieder vorbei, keiner hat es gesehen, also kann es ebenso gut sein, dass es gar nicht passiert ist. Aber das ist egal, es hat Spaß gemacht.
Keiner sieht mich, also kann es ebenso gut sein, dass ich gar nicht existiere, denkt das Kind.


Siehe hierzu meine Eingangsfrage.
Außerdem weitest du hier aus, Verwandtschaft, alte Bekannte, etc.

"noch eine kurze Liebkosung zum Abschied" würde ich streichen.
Du wiederholst dich hier. Niemand..., keiner hat es gesehen, also kann es ebenso gut sein... Diese Wiederholungen reduzieren.

Nur, was wird aus ihm, dem Kind, wenn der, der es träumt, aufwacht und sich nicht an es erinnert?


der, der

"nicht an es erinnert" zu holprig

Und die schönen Erinnerungen ... was würde es ändern, ob die schönen Erinnerungen echt wären oder nur geträumt, es hätte sie weiterhin.


Fehlt hier nicht etwas? Oder, wer ist hier "es" und "sie". Ist ein bisschen verwirrend, da das Kind ja glaubt, dass es sein könne, dass es nicht die Träume hat, sondern von einem anderen geträumt wird.

Im Grunde brauchte es sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen, eigentlich kann jetzt gar nichts mehr passieren, in diesem Moment ist das Leben perfekt, keine bösen Überraschungen mehr möglich, aber auf die Dauer ist das vielleicht doch ein bisschen langweilig ... irgendetwas fehlt noch, um die gegebene Perfektion weiter zu perfektionieren. Ein endgültiges Perfekt daraus zu machen. Der perfekte Abschluss.


Hier denkt doch das Kind. Du wechselt hier und auch darauffolgend auf eine andere Perspektive.

Es ist sicherer, das Ganze jetzt abzuschließen, so lange es noch eine Möglichkeit dazu gibt, zumindest versuchen muss es das Kind, denn was ist, wenn der Träumer tatsächlich aufwacht und es einfach so im Nichts verschwinden lässt?


Dito --> Perspektive
und auch Wiederholung (wenn der Träumer aufwacht), hast du schon weiter oben.

noch ist sie am schönsten und somit ideal zum Aufhören. Bereit für das krönende Feuerwerk.


am Schönsten

Jetzt braucht es doch Menschen, noch nicht gleich, nicht jetzt, niemanden, der ihm jetzt erklärt, dass das nicht geht, was es da vorhat, der ihm wieder sagt, wie dumm es sei.


Wiederholung. Steht schon weiter oben. Nur: Jetzt braucht es doch Menschen, noch nicht gleich. Rest streichen, da Wiederholung.

Damit es jemanden gibt, der sein Lachen hört.


Dieses Lachen kann aber niemand hören, wenn am Schluss alles zerfallen ist. (s. meine Assoziation unten)

Es fährt durch die Menschen hindurch, ihre Seelen – feinste Energiegespinste, kaum sichtbar, aber unzweifelhaft da –, einige davon bereits in stiller Vorbereitung auf den Gottesdienst, viele jedoch meilenweit davon entfernt.


Hier führst du eine weitere Ebene ein. Seelen, die sich auf den Gottesdienst vorbereiten? Das passt nicht.
Gedankenstrich und Komma geht nicht.

Der Träumer, sollte es ihn geben, lässt all dies geschehen, beobachtet gespannt, was geschieht.


Wieso wird jetzt der Träumer plötzlich zur aktiven Person, beobachtet gespannt, was geschieht? Das wird zu verwirrend. Ihn passiv lassen.

bis schließlich mit dem letzten harten Schlag sämtliche Moleküle auf einmal auseinanderfliegen in einer Explosion, so mächtig, wie sie die Welt noch nie erlebt hat.


Wiederholung von "wie sie die Welt noch nie erlebt hat"
Außerdem fällt es schwer, sich vorzustellen, wie das mit der Glocke funktionieren soll (das Ganze ist ja surreal), aber bisher war das Surreale noch "konkret", z.B. indem das Kind durch einen Laternenpfahl fährt oder durch Menschen. Wie soll man sich das mit der Glocke vorstellen. Das Kind hat ja keinen direkten Kontakt zur Glocke, sondern nimmt die starke Schwingung der Glocke auf, aber ohne Kontakt.

Und immer noch schießen neue scharfe Blitze fröhlich in endloses Schwarz.


Hier würde ich "fröhlich" streichen

Das ist jetzt nicht egal, das müssten alle gesehen haben, kann also sein, dass es tatsächlich passiert ist.


Hier hatte ich die Assoziation, dass ALLES zerfallen ist und somit auch die Menschen nichts mehr sehen können, weil sie gar nicht mehr existieren.

Mir ist schon klar, dass du viele Metaphern verwendest. (Glockenschläge als Schläge, die das Kind erlebt hat z.B.)

Du siehst, ich habe eine Menge Fragen zu deiner skurillen Story,-)
Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.06.2007, 11:36

Liebe Rala,

ich finde deine Geschichte überhaupt nicht bizarr - und bin stolz, dass ich das diesmal (hihi) wieder so klar empfinde, denn wenn ein Ralatext so ankommt, wie dieser hier, dann ist seine Zwischenstellung einfach nur ein Genuss - weil man es durch ihn dann so schön an diese Grenze schafft, die eigentlich nur jeder für sich alleine empfinden kann: allein unter anderen zu sein.
Da bei jemanden dabei zu sein ist auch für den Leser, als käme die Kraft für die Energiefreisetzung von 30 Wasserstoffbomben zusammen.

ich finde Sam hat das auch schön beschrieben:

Er ist wunderbar melodisch geschrieben, mit der Leichtigkeit einer Brise aber dennoch nicht Leichtgewichtig.


ja.

Den ersten Teil habe ich noch etwas lieber als den zweiten (ich setze den zweiten an, wo es um die Durchführung der Wasserstoffbomben geht), weil er etwas weniger will, er ist zwar genauso eigen wie der Rest, aber die Negierung im ersten Teil ist weniger Trotz (sie ist zwar auch Trotz, aber sie ist frei in sich, das Kind ist frei, leicht, obwohl es schmerz ist). Im zweiten Teil wechselt das etwas, die Zuspitzung nimmt zu, die Gewichtung, das Abwenden, das draufzusteuern, aber das muss auch so sein, es geht schließlich auch um Zerstörung.

Der Titel E= mc² ist auf jeden Fall anziehend (zwar auch ein bisschen totbehandelt wie Mirobettwäsche, aber ich mag es trotzdem noch!) und hat auf jeden fall eine Schnittmenge mit der Geschichte, besagt sie doch blablahalbwissenmäßig, dass Masse und Energie im Wesentlichen das Gleiche sind - ein Mensch als Masse in der Welt ("unter den anderen in der Welt"), der zugleich alles bleibt, was er ist an Energie (dass er seine ganze Energie halten kann, gegenwärtig, unter den anderen/freisetzen kann, was er hat) scheint hier nicht aufzugehen oder eben doch, aber nur in einer Explosion, die, zwar grausam auch (in aller Schönheit), aber vor allem grausam, weil sie real nie stattfindet (um mit dem Behauptungsmund der anderen zu sprechen, aber auf reflektierte Weise = Im Sinne, dass diese Fiktion (die Geschichte) nötig ist, um zu zeigen, dass es nicht möglich ist, anderen zu zeigen, dass man deben doch durch einen Laternenpfahl fahren kann).

Ich finde, das Kind ist greifbar. War ein Genuss, was der Text sichtbar gemacht hat.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Rala

Beitragvon Rala » 24.06.2007, 21:27

Hallo zusammen!

Erst mal wieder herzlichen Dank fürs Lesen! Ich weiß, dass der Text nicht leicht zu verstehen ist, weil da mal wieder meine ganz eigenen Vorstellungen über die Vermischung von Gedanken, Träumen und Realität drin sind. Freut mich, dass er trotzdem so gut angekommen ist.

Sam: Danke für Dein Lob, und ich muss endlich mal was von Borges lesen (peinliche Bildungslücke)

Klara: Das "sie" im zweiten Absatz bezieht sich auf die Welt, aber beim nochmalige Lesen wird Dir das bestimmt ohnehin klar geworden sein.

Mucki: Vielen lieben Dank für Deine mal wieder sehr ausführliche Beschäftigung mit dem Text. Ich glaube, Deine Verständnisprobleme sind auf folgende Dinge zurückzuführen:
Erstens die Physik, wobei ich gleich sagen muss, dass ich in der Schule in Physik nie was kapiert habe und immer grottenschlecht war, sie mich aber dennoch fasziniert und interessiert, sofern sie mir jemand verständlich erklären kann. Sollte jemand, der was davon versteht, Fehler in dem Ganzen entdecken - sorry, lasse mich gerne aufklären; aber andererseits ist das nur ein Gedankenexperiment. Worauf die ganze Story beruht, ist die Berechnung von Albert Einstein, nachdem er eben die berühmte Formel e=mc² - also die Feststellung, dass Masse nur verlangsamte Energie ist - aufgestellt hatte, dass ein Durchschnittsmensch in seinen Körpermolekülen insgesamt die Energie von 30 Wasserstoffbomben gespeichert hat. Der Titel des Ganzen bezieht sich also auf den Schluss, wo eine Umwandlung der Masse in Energie stattfindet, nicht auf die "Molekülbegegnungen" davor und Ähnliches, das ist alles nur Gedankenspielerei. Ebenso ist es natürlich reine Phantasie, dass man, in dem man die Schwingungsenergie von Glockenschlägen "sammelt", die im Körper gebundene Energie freisetzen könnte (sonst würden ja öfter mal Menschen in die Luft fliegen). Aber wie das Kind schon die ganze Zeit sagt, es ist ja niemand da, der ihm sagen könnte, dass das gar nicht geht ...
Zweitens die Perspektive: für mich ist das die ganze Zeit ein personaler Erzähler, denn alles, was sich "außerhalb" des Kindes abspielt, ist ja auch nur in seiner Wahrnehmung so, denn, wie ich ja so oft sage, da keiner das Kind sieht, kann es ja auch sein, dass es in Wirklichkeit gar nicht so ist (hab ich mich jetzt verständlich ausgedrückt? Weiß leider nicht, wie ich es sonst sagen soll ...). Deshalb ist auch alles, was vielleicht auktorial wirkt, personal ...
Drittens glaube ich, dass Du zu sehr versuchst, das alles nach den Regeln einer "normalen" Welt zu verstehen. Natürlich kann es dann nicht funktionieren. Die Welt des Kindes hat ihre eigene Logik, die hauptsächlich darin besteht, dass es davon überzeugt ist, wenn keiner es sieht, gelten auch sämtliche Regeln - einschließlich der Naturgesetze! -, auf die die anderen Menschen sich geeinigt haben, nicht.
Das "keiner sieht es" u. Ä. ist absichtlich so oft drin, soll ein Refrain sein; die Ausdrucksweise holpert manchmal, weil sie sich ja an die Gedanken des Kindes anpassen soll (ich weiß, sowas ist immer problematisch).
Ich weiß nicht, ob Deine Fragen damit jetzt wirklich beantwortet sind, ich hoffe, es ist zumindest ein bisschen klarer.

Lisa, freut mich sehr, dass Dir der Text so gut gefallen hat, vor allem, dass Du ihn offenbar genau so verstanden hast, wie ich ihn gemeint habe (passiert mir bei meinen Texten ja eher selten, dass man mich so versteht, meistens staune ich ja eher, was ich da produziert habe, ohne es zu wissen).

Liebe Grüße an Euch alle,
Rala

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.06.2007, 22:18

Hallo Rala,

Der Titel des Ganzen bezieht sich also auf den Schluss, wo eine Umwandlung der Masse in Energie stattfindet, nicht auf die "Molekülbegegnungen" davor und Ähnliches, das ist alles nur Gedankenspielerei. Ebenso ist es natürlich reine Phantasie, dass man, in dem man die Schwingungsenergie von Glockenschlägen "sammelt", die im Körper gebundene Energie freisetzen könnte (sonst würden ja öfter mal Menschen in die Luft fliegen). Aber wie das Kind schon die ganze Zeit sagt, es ist ja niemand da, der ihm sagen könnte, dass das gar nicht geht ...
Zweitens die Perspektive: für mich ist das die ganze Zeit ein personaler Erzähler, denn alles, was sich "außerhalb" des Kindes abspielt, ist ja auch nur in seiner Wahrnehmung so, denn, wie ich ja so oft sage, da keiner das Kind sieht, kann es ja auch sein, dass es in Wirklichkeit gar nicht so ist (hab ich mich jetzt verständlich ausgedrückt?


Dann sind diese Wiederholungen von dir bewusst als Stilmittel eingesetzt, ok.
Und der Phantasie des Kindes sind ja keine Grenzen gesetzt,-)

Drittens glaube ich, dass Du zu sehr versuchst, das alles nach den Regeln einer "normalen" Welt zu verstehen. Natürlich kann es dann nicht funktionieren. Die Welt des Kindes hat ihre eigene Logik, die hauptsächlich darin besteht, dass es davon überzeugt ist, wenn keiner es sieht, gelten auch sämtliche Regeln - einschließlich der Naturgesetze! -, auf die die anderen Menschen sich geeinigt haben, nicht.


Nein, ich habe versucht, in der Phantasiewelt des Kindes eine Gesetzmäßigkeit zu finden *lach*
Aber es ist schon klar, dass man diese gar nicht finden kann,-)
Saludos
Mucki

Max Dernet

Beitragvon Max Dernet » 25.06.2007, 12:24

feine träumerei!

max

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Beitragvon Elsa » 25.06.2007, 12:31

Liebe Rala,


mit Genuss gelesen. Ich finde keine Unreinheiten.

Und immer noch schießen neue scharfe Blitze fröhlich in endloses Schwarz.
Das ist jetzt nicht egal, das müssten alle gesehen haben, kann also sein, dass es tatsächlich passiert ist.
Wunderbar!

Lieben Gruß
ELsa
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Beitragvon Mnemosyne » 10.01.2008, 17:16

Hallo Rala,

da nehme ich mir gerade mal etwas von der dringend benötigten Zeit, die Beiträge des letzten Jahres aufzuarbeiten - und stoße gleich auf so eine Perle! Diese verträumte Leichtigkeit habe ich, wenn ich mich richtig erinnere, das letzte Mal als Kind bei der Lektüre von "Alice im Wunderland" gespürt. Sehr eindrucksvoll.

Viele Grüße

Merlin

Rala

Beitragvon Rala » 10.01.2008, 21:16

Oh, Merlin,

das freut einen, wenn jemand was schon vergessen Geglaubtes wieder rauftaucht und es dann noch mit solchem Lob versieht ...
Vielen Dank!

Liebe Grüße,
Rala

Hoedur

Beitragvon Hoedur » 11.01.2008, 14:59

Hallo Rala,

Merlin zum Dank habe ich den Text jetzt auch gelesen... :-)
Ich kann der Allgemeinheit nur zustimmen und hab den Text sehr
gerne gelesen, heute bei dem schönen Wetter bin ich auf Deinem Lichtstrahl
in die Vergangenheit gereist.
Man bekommt deutliche Bilder vor Augen,... schön.

Lg
Hoedur


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