Berlin Tapes
29/XII/06
43. Geburtstag
Fing schon gut an. Hab im Garten vor das Haus gepisst. Ging nicht mehr anders. Wurde sofort von hinten angepfiffen. Hee, was machst'n da? Lass das mal sein, du. Ich blicke ungelenk über meine Schulter. Vier Leute laden fünf Meter hinter mir irgendwas aus einem Wagen und starren mich empört an, mit diesem irgendwas im Anschlag, jeder an einer Ecke. Issen Notfall, Schuldigung ...
Es hört gar nicht mehr auf, verdammt. Ich möchte aber so gerne aufhören, weil ich beim Angeranztwerden sowieso nie gut kann, aber es geht diesmal nicht. Ich war mir auch sicher, dass der erste Strahl in die Hose gegangen sein musste. War er aber nicht, gottlob. Gut abschütteln. Darauf kommts jetzt auch nicht mehr an. Zwei Tropfen landen auf der rechten Hand. Verreiben. Umdrehen.
Sorry, ich komme gerade aus Duisburg, hab das Klo nicht gefunden, es war nicht mehr aufzuhalten, und ich habe nur diese eine Hose dabei. Tut mir wirklich leid. Ich bin Tom.
Viel blöder als ich kann man nicht vergebens nett grinsen.
***
Ich möchte zu Bertram; ja ich weiß, der kommt später. Ist denn Jens-Peter da? Der soll mir aufsperren. Ja, da vorne, wo Licht brennt. Ich latsche die Treppe hoch. Neiiijn, das ist der falsche Aufgang, du musst hier links rum die Treppe hoch. Oh, haha, danke.
Hallo, ich bin Tom aus Duisburg, ist Jens-Peter da? Ahja, kommt mir Jens-Peter mit ausgestreckter Begrüßungshand entgegen. Ich muss ihm meine geben, kann ich jetzt nicht ändern. Wegziehen wäre noch unhöflicher.
Jens-Peter bekommt einen Anruf. Er lächelt in meine Richtung. Bertram ist anscheinend dran. Jens-Peter wird offensichtlich von Bertram instruiert. War Bertram, sagt er. Komm mal mit Tom, du bekommst den Seminarraum. Wir laufen durch den Korridor. Warte mal, ich muss mal eben pissen, sagt Jens-Peter. Ich höre die Spülung aus dem Klo. Kein Handwaschbecken. Boh, das war aber jetzt höchste Zeit, sagt Jens-Peter.
Kenn ich, das Gefühl.
***
So Tom, hier kannst du dich einrichten. Dahinten im Raum sind die Matratzen, da im Regal liegen Wolldecken und so'n Kram, da ist die Küche, und dahinten am Ende des Ganges ist das Klo. Ich gucke. Da steht aber privat dran. Seit wann ist der Indische Ozean privatisiert? Wie soll man das als Gast denn wissen ...? Man kommt ja ganz durcheinander hier. Da muss man ja förmlich draußen ...?! Neinnein, privat heißt: Bertram seins. Kannst du nehmen.
Guter Tipp. Bisschen früher wäre gut gewesen. Vor genau dieser Türe hatte ich vorhin schon mit eingekniffenem Schwanz gestanden, aber aufgrund meiner bürgerlichen Erziehung werde ich wohl bald mit Windeln rumlaufen müssen, weil ich eine anerzogene Phobie vor 'Privat'-Schildern habe. Es war zwar offensichtlich, dass dahinter die ehemaligen Schultoiletten lagen, aber die Erziehung, die Erziehung ... privat ist privat, da rüttelt man nicht an Türklinken, auch wenn's einem brühwarm die Beine runterläuft.
***
Der Seminarraum ist ein bisschen klein. Ich weiß gar nicht, wo ich mich hinlegen soll. Vor das rechte der zwölf Fenster erscheint mir richtig. Mit Blick zur Türe. Aber auch mit den Füßen? Das ist zwar lupenreines Sheng-Fui, aber egal. Werd' schon nicht sterben in den nächsten drei Nächten. Den kurzen Weg gönne ich denen nicht. Ist mir auch wichtiger, den Eingang im Blick zu haben. In fremden öffentlichen Gebäuden in Großstadtostmolochen erscheint mir das sehr angebracht. Man muss die Verkehrszonen kontrollieren können.
***
Und man muss sich mehr einrichten. Die Nachhallzeit des Saals gefällt mir noch nicht. Beim Bertram in der Kammer steht eine alte Berliner Tischleuchte, Messing in Reinform, mit Sparlampe drin. Sehr originell. Die leihe ich mir einfach aus. Warmes dunkles Licht ist Raum, und Leuchtstoffröhre ist Röntgen. Bin aber schon durchleuchtet, danke. Das Holzbrett da brauche ich noch, da kann man alles mögliche mit machen, ein gutes Möbel. Ein Abfallstück Alu-C-Profil, da biege ich mir nen Aschenbecher draus. Was steht da auf dem Plakat? Felden-Krais? Den Weg zum eigenen Ich finden. Ach herrje. Hier riechts so auffällig medizinball-fußschweißig-orangenölig, und so gar nicht nach Tabak oder anderen guten Dingen, dass ich mir erst mal eine Gedrehte rauchen mag, damit hier Atmo reinkommt. Wahrscheinlich bin ich der Erste seit Jahren, der hier raucht. Und wahrscheinlich auch der Letzte.
***
Lidl ist da und da, hatte Jens-Peter gesagt. Chemo-Geburtstagstorte für 1,99 der Quadratmeter, Bier im Plastikspender, Wasser, Saft, Sucuk und aufgeblasener Weißbrotersatz als Stange. Die Sucuk wird zum Lufttrocknen ans Fensterkreuz - das zweite von rechts von den zwölf möglichen - genagelt, der Chemokuchen bekommt ein halberloschenes Alu-Teelicht als Heiliges Häubchen.
Schön so ein Geburtstag, allein in Ost-Berlin. Bertram steckt irgendwo auf der Bahn im Nebel fest, und ich gucke aus dem kalten Fenster in einen Ostberliner Innenhof. Der Anblick von Baustellen ist genau das, vor dem ich weggelaufen war. Ich sollte jetzt hier raus. Da war doch vorhin diese Galaxy-Bar, oder wie das hieß. Direkt hier um die Ecke. Ein bisschen Gras vorher kann ja nicht schaden. Am kalten Fenster. Kiffgeruch würde diese Nichtraucher-Mischpoke an den Rand des Wahnsinns treiben, so weit will ich am Anfang nicht gehen. Ich nehme jetzt dieses kleine schwarze Buch hier, gehe da runter, und schreibe den ganzen Mist auf.
***
Geschlossene Gesellschaft. Hatte ich am Eingang gar nicht gelesen. Hat mich aber auch keiner rausgegrault. Trinke am Tresen artig meine Biere, mit durchaus gesellschaftsfähiger Schlagzahl, und schreibe in dieses kleine schwarze Buch lustige Sachen. Was soll man auch machen außer saufen und schreiben, wenn man keinen kennt, und aus den offensichtlich grungeundpunk-gepflegten Boxen deutscher Schlager quillt?
Wie immer in fremden Kneipen, in denen ich zu schreiben pflege, dauert es knapp acht Minuten, bis mich einer anspricht. Er wolle ja nicht neugierig sein, nein, aber was ich denn da schriebe? Na, so'n Scheiß halt. Haha. Ich blicke auf und frage, ist das Buffet für alle oder wie? Ne, hier ist privat, sagt er. Schade sag ich, ich hab Hunger wie Sau, muss ich gleich zum Türken nebenan. Ich bin nicht von hier, weißt du? Ah, erzähl mal. Von hinten nähert sich eine schicke Oma und sagt, Entschuldigung, das hier ist eine Geburtstagsfeier, das Buffet ist privat. Ich kann das Wort 'privat' heute nicht mehr so gut hören. Ich sage, wie schön, ich habe auch Geburtstag.
Jetzt flanscht sich eine wunderbar angeschickerte Mittvierzigerin an mich ran, was, du hast auch Geburtstag, ja, komm ans Buffet, greif zu. Da kommt aber schon der Türke von nebenan durch die Verbindungstüre und bringt verknorpeltes und versehntes Fleisch auf Reis und Trauersalat, worin ich lustlos herumstochere und mich dann doch für die hausgemachten Frikos und den Nudelsalat mit Gürkchen entscheide. Ich stopfe das Zeug in mich rein, und bringe mit vollem Mund den noch halbvollen Teller zum Türken zurück. Hat's nicht geschmeckt? Doff doff, lüge ich. Die Mittvierzigerin findet mich gut. Ich mich auch.
Gerade noch rechtzeitig schwappt die Kneipentür auf, Bertram kommt nebst weiblicher Begleitung in Form einer gewissen Marlene herein, es wird sich stürmisch begrüßt, und nur wenige Minuten später flackern die Teelichter auf der Plastiktorte, der 'Andachts-Jodler' – ganz leis' von den beiden gesungen – hallt endlos durch den dunklen Seminarraum, die Weingläser gratulieren mir mit einem zarten Ping, und alles ist gut.
***
berlin tapes
- Thomas Milser
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Zuletzt geändert von Thomas Milser am 09.12.2007, 15:05, insgesamt 11-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)
Moinsen,
(mir persönlich wäre es wurscht, wenn ich "Opa" genannt würde. Das Alter an sich ist für mich eher etwas hochwertiges.)
Die Reihenfolge, erst die Omma, dann die Mittelschnitte, war mir schon klar, nur war ich mir nicht sicher, ob diese Bezeichnungen die gleiche Person betreffen. Es heißt doch immer, man solle Wörter nicht wiederholen, stattdessen Synonyme benutzen ... von daher ...
Nimm mich als Beispiel für einen Leser, der oft schwer von Begriff ist. Synonymtechnisch habe ich auch bei anderen Texten gelegentlich meine Probleme. Beispiel: "Gestern ging Beckenbauer zu Netzer. Der Münchner war guter Laune." -- Ausnahmsweise weiß ich hier, dass hier "Münchner" ein Synonym für Beckenbauer ist. So etwas setzt jedoch spezifisches Wissen voraus. Hostme? In Deinem Fall das Wissen, ab welchem Alter Tom jemanden als Oma bezeichnet.
Ich laber viel, ich meine aber nur ein winziges Häärchen. Nicht der langen Rede wert.
Salve
Pjotr
(mir persönlich wäre es wurscht, wenn ich "Opa" genannt würde. Das Alter an sich ist für mich eher etwas hochwertiges.)
Die Reihenfolge, erst die Omma, dann die Mittelschnitte, war mir schon klar, nur war ich mir nicht sicher, ob diese Bezeichnungen die gleiche Person betreffen. Es heißt doch immer, man solle Wörter nicht wiederholen, stattdessen Synonyme benutzen ... von daher ...
Nimm mich als Beispiel für einen Leser, der oft schwer von Begriff ist. Synonymtechnisch habe ich auch bei anderen Texten gelegentlich meine Probleme. Beispiel: "Gestern ging Beckenbauer zu Netzer. Der Münchner war guter Laune." -- Ausnahmsweise weiß ich hier, dass hier "Münchner" ein Synonym für Beckenbauer ist. So etwas setzt jedoch spezifisches Wissen voraus. Hostme? In Deinem Fall das Wissen, ab welchem Alter Tom jemanden als Oma bezeichnet.
Ich laber viel, ich meine aber nur ein winziges Häärchen. Nicht der langen Rede wert.
Salve
Pjotr
Hi, Tom,
Im Zuge meiner neuerlichen Prosawahl bin ich hier gelandet.
Du hältst die Nicht-Schrift-Sprache fein durch, und bei dem Text geht mir das auch nicht auf die Nerven, weil es wohldosiert ist. Ein schon typischer Tom-Text, Switching zwischen außen/innen, Lachen und Mitgefühl für den Protag.
Gern gelesen und mitgelebt.
ELsa
Im Zuge meiner neuerlichen Prosawahl bin ich hier gelandet.
Du hältst die Nicht-Schrift-Sprache fein durch, und bei dem Text geht mir das auch nicht auf die Nerven, weil es wohldosiert ist. Ein schon typischer Tom-Text, Switching zwischen außen/innen, Lachen und Mitgefühl für den Protag.
Gern gelesen und mitgelebt.
ELsa
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