Lotto Toto Liebesbrief

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Kird

Beitragvon Kird » 04.07.2007, 02:20

Lotto Toto Liebesbrief

Es war Mark´s erstes selbst geschriebenes und unter seiner Regie aufgeführtes Theaterstück. Margit meinte, das Stück hätte Schwächen. Ich nahm es in Schutz und sprach davon, wie überzeugend ich die Choreographie gefunden hatte. Nach ein paar Bier an der Bar des Kulturzentrums, nach drei vier Zigaretten, die wir auf dem blanken Betonboden austraten, beschlossen wir weiterzuziehen. Wir, das waren Margit, ihr Ex-Freund Thomas, ihr guter Freund Max und ich. Meistens fühlte ich mich ein wenig seltsam in dieser Viererkonstellation. Ich war mir nie sicher, ob Margit etwas von mir wollte. Sicher war ich mir allerdings, dass ihr guter Freund, Max, etwas von ihr wollte. Und noch sicherer war ich mir, dass Margit sich ihrem Ex-Freund, Thomas, gegenüber verpflichtet fühlte. Thomas war psychisch krank geworden, als sie sich gerade von ihm getrennt hatte. Dafür fühlte sie sich schuldig und kümmerte sich seither um ihn. Nunmehr drei Jahre. Auch wenn es Thomas mittlerweile sehr viel besser ging, was sich an diesem Abend gut daran ablesen ließ, dass er mit auf die Party kam.
Die Haus-WG sah aus, wie eine große Musiktruhe mit bunt ausgeleuchteten Fenstern. Wir klingelten. Zwecklos. Die Musik übertönte alles. Wir hämmerten an die Tür. Niemand reagierte. Schließlich öffnete sie sich doch, da jemand herauskam. Drinnen war es voll. Im ersten Zimmer, der Tanzfläche, tobten an die 20 Leute zu basslastiger Rockmusik. Auf der Suche nach Freunden tingelten wir von einem Zimmer zum nächsten. In einem der Räume fanden wir ein paar bekannte Gesichter und richteten uns dort ein. Ich trank ein weiteres Bier und meine Stimmung wurde gelöster. Thomas stand derweil etwas verloren im Raum, also versuchte ich ihn in irgendwelche Gespräche mit anderen Partygästen zu verwickeln. Das klappte. Nur schlief das Gespräch schnell ein. Die Nebenwirkungen der Psychopharmaka machten Thomas langsam und seine Gesprächspartner wussten nichts damit anzufangen. Man sah Margit an, dass sie das sorgte. Irgendwann redete sie mit ihm und Thomas ging heim.
Wir tranken weiter, plauderten mit den Umstehenden über Künstlerhäuser im Osten, Schafszucht und darüber, dass man sich doch bestimmt schon einmal irgendwo gesehen hatte. Nach einer Weile bemerkte ich, dass eine kleinwüchsige Frau mit einer leicht schiefen Nase rechts hinter mir auf der Fensterbank saß. Sie war ein bißchen verhuscht. Das gefiel mir und ich sprach sie an. Ich erfuhr, dass sie Fotografin war, und einmal, so wie ich, für längere Zeit Asien bereist hatte. Sie erzählte davon, dass sie dort Damo Szuzuki, den ehemaligen Sänger von CAN, kennengelernt und dieser sich in sie verleibt hatte. Sie meinte: „Das war zwar irgendwie irre, aber der war ja schon über 50!“
Mein Interesse an den restlichen Leuten im Raum begann beachtlich zu schwinden. Wir hatten uns auf die Kante des Bettes gesetzt, was außer zwei Regalen das einzige Möbelstück im Raum war. Ich fand, sie habe etwas Kesses gehüllt in einen Mantel aus Schüchternheit. Und als ich begann ihr schöne Worte zuzuordnen, kam plötzlich alles anders. Erst setzte sich Margit rechts neben meine Gesprächspartnerin. Sie sah dabei betont gelangweilt aus. Später stand sie auf und stellte sich links neben mich an die Fensterbank. Wann immer ich zu ihr herüber schaute, hatte sie ihre Augen auf mich gerichtet, egal, ob sie gerade mit Max sprach oder nicht. Man kann es nicht direkt ein schlechtes Gewissen nennen, was in mir entstand, doch es fühlte sich sehr ähnlich an. Es könnte am Alkohol liegen – könnte eine Verzerrung der Wahrnehmung sein, redete ich mir ein. Einen klaren Kopf, wollte ich wieder bekommen, entschuldigte mich und ging zum Klo. Auf dem Weg könnte ich meine Gedanken ordnen, dann ein wenig Wasser ins Gesicht und schon würde die Welt wieder anders ausschauen. Das tat sie danach auch: Als ich zurückkam, traf ich Margit und Max im Gang. Sie hatten ihre Rucksäcke und Jacken dabei. Klare Signale. Natürlich wollte ich noch einmal zurück, mich von der Frau auf der Bettkante zumindest verabschieden. Doch wir drei diskutierten eine ganz Weile über das Für und Wider eines sofortigen Aufbruchs. Endlich fiel die Entscheidung: Die beiden würden in einer Kneipe noch etwas trinken und ich auf der Party bleiben. An der Tür, als ich mich von Margit verabschiedete, umarmte sie mich sehr fest. Sie schaute mich aus gehetzten Augen an und sagte: „Entschuldigung!“ Dann drückte sie mich noch einmal kurz an sich und lief raus. Wie blöd stand ich da, wusste nicht recht hin noch her. Mehr aus Ratlosigkeit, als aus wirklichem Interesse, ging ich zurück zum Zimmer. Die Fotografin war von der Bettkante verschwunden und auch sonst war keiner meiner Bekannten mehr dort. Also verließ auch ich die Party, zückte mein Mobiltelefon und wählte Margits Nummer. Nach einer Weile ging sie ran und wir vereinbarten, uns doch noch vor der Spelunke zu treffen, in der Margit und Max so dringen einen Absacker hatten trinken wollen.
Vor dem Laden stand ein seltsamer Türsteher. Er war dafür zuständig, alle zu tadeln, die auf der Straße nicht ruhig genug waren, redete aber selbst ziemlich viel und verkündete immer wieder voller Stolz, und ohne, dass ihn jemand danach gefragt hätte, dass er aus Dortmund sei. Wir lächelten uns an ihm vorüber und setzten uns an die Theke. Dort saß auch Franz und schaute verschwommen durch die rechteckigen Gläser seiner Brille. Franz ist hauptberuflicher Erbe, studiert seit 27 Semestern Niederlandistik und ist jeden Abend volltrunken in irgendeiner Kneipe aufzufinden. Ich gab ihm die Hand und tat so, als würde ich mich freuen, ihn wieder zu sehen. Franz sprang darauf intensiver an, als mir lieb war. Doch dann prüfte er, wer mit mir zusammen gekommen war und sah Margit. Das veränderte Franz. Er beugte sich zu mir herüber und flüstete: „Kennst´e die?“. Ich bejahte und er begann leicht lallend davon zu berichten, dass er sie einmal irgendwo getroffen habe und versucht hatte ihr mit einem Gespräch über Philosophie zu imponieren. Margit hat Philosophie studiert. Franz hatte das wohl erst recht spät festgestellt und schämte sich nun mächtig. Seine nächste Frage kam für mich überraschend: „Deine Freundin?“ Für eine Augenblick stockte ich und sagte dann lächelnd: „Nein.“
In solchen Momenten hasste ich es, in diesem seltsamen Verhältnis zu Margit zu stehen. Ich wusste genau, was nun auf mich zukommen würde. Franz lehnte sich wieder zu mir herüber und lallte: „Tolle Frau!“ Und ich dachte, „Ja, TOLLE FRAU!“. Wie oft hatte ich schon dieses blöde Spiel mitgespielt, den scheinbar Unbeteiligten gemimt, brav auf alle Fragen geantwortet und den Bewerbern vielleicht sogar Mut gemacht. Erstaunlich in was man sich hineinsteigern kann, wenn man glaubt, dass es das Beste für alle Beteiligten ist.
Aber an diesem Abend war etwas anders. Ich merkte, wie ich wütend wurde, ungehalten auf meinem Barhocker rumrutschte und irgend etwas suchte, worüber ich auch offiziell das Recht hatte sauer zu sein. Doch ich fand nichts.
Nach ca. einer dreiviertel Stunde waren wir wieder draußen. Max’ Nachhauseweg führte in die entgegengesetzte Richtung. Also waren wir nur noch zu zweit. Meine Wut hatte ich noch bei mir und angetrunken wie ich war, konnte ich mich nicht entblöden, mir Luft zu machen. Klartext wollte ich endlich reden, doch redete ich nur um den heißen Brei herum, wollte nichts konkret beim Namen nennen, denn das tat sie ja schließlich auch nie. Dann, mit einem Mal, riss ich mich doch noch zusammen: Ich gestand ihr, dass ich es auf der Party so empfunden hatte, dass sie in irgendeiner Art eifersüchtig geworden sei. Ihre Reaktion war schal: Sie tat so, als würde sie nicht verstehen, wovon ich rede. Also zog ich die Handbremse: „Du und ich, wir sind gute Freunde, oder?“ Sie schaute mich an, als wäre es hundsgemein von mir, sie das zu fragen und antwortete kurz mit: „Ja“, so dass ich gleich nachlegen konnte: „Und – Du und ich, wir werden auch immer NUR gute Freunde bleiben, oder?“ Margit wendete sich ab. In die Enge getrieben, so sah sie aus. Aber das war ja auch meine Absicht. Daher zeigte ich kein Verständnis: „Ja oder Nein?“ Ich wiederholte die Frage. Wiederholte sie noch einmal. In einem vorwurfsvollen Ton warf sie mir ihre Antwort vor die Füße: „Ich weiß es nicht!“
Zugegeben, das fühlte sich besser an, als ein „Nein“. Dennoch hatte ich im Stillen auf ein solches „Nein“ gehofft. Ein sauberer Schnitt und es wäre vorbei gewesen mit all diesen Ungewissheiten. Margit sagte: „Ich habe das Gefühl gerade in einem delikaten Gleichgewicht zu existieren. Seit Jahren, ist die Krankheit von Thomas das Zentrum meines Lebens. Er ist mittlerweile wie ein kleines Baby für mich. Das ist der Mann, mit dem ich einmal zusammen war, den ich einmal geliebt habe. Ich kann jetzt nicht einfach alles ändern!“ Was sollte ich darauf erwidern? Sie opferte sich auf. Es wäre idiotisch gewesen das abzuwerten. Noch wollte ich mich dagegen stellen. Aber immer noch ein wenig von meiner Wut angefeuert, entgegnete ich: „Wer sagt denn, dass du etwas ändern sollst. Vielleicht wäre es nur ganz nett, wenn wir endlich ehrlicher mit einander wären!“ Wir wurden ruhig, gingen Seite an Seite, bis wir vor ihrem Haus ankamen. Es war jetzt Morgen. Sie fragte mich, ob ich eigentlich schon einmal auf ihrem Schornstein gesessen hätte und ich schüttelte den Kopf, als sei die Frage völlig selbstverständlich. „Dann wird es ja mal Zeit!“, meinte sie und lief zur Haustür hinüber, um sie aufzuschließen. Eigentlich hatten wir im Verlauf der Nacht einiges getrunken, doch wir schafften es, uns mucksmäuschenstill durch das Treppenhaus bis hinauf in den Dachboden zu schleichen und uns durch das kleine Klappfenster ans Freie zu zwängen. Draußen versuchte ich einigermaßen geschickt über die Dachziegeln zu balancieren, doch auf meinem Weg zum Schornstein zerbarsten unter meinem Gewicht gleich zwei von ihnen und klagten mich mit ihren hellroten Bruchkanten an. Ich lachte verlegen und erklärte, dass das an den Ziegeln liegen müsse, weil früher, als ich noch über das Dach meines Elternhauses gekraxelt war, sei mir nie so etwas passiert... Margit schaute auf den Schlamassel und gab nur mir ein „Komm!“ zurück. Der rechteckige Schornstein hob sich etwa hüfthoch vom Dachfirst ab und war mit einem hellbraunen Mörtel verputzt. Sein breiter Mauerrand war wie gemacht, um darauf zu sitzen. Margit hatte in ihrem Rucksack eine Flasche Bier mit heraufgebracht, die wir uns brüderlich teilten. Durch die Klettertour hatten wir noch einen Spritzer Adrenalin in den Adern, der sich nun mit altem wie neuem Alkohol mischte. Wir waren aufgekratzt von dem Gefühl der Höhe und gleichzeitig beeindruckt und beruhigt vom wolkenlos blauen Himmel über uns. Dort auf dem Hochsitz im Blau nahmen wir uns endlich in den Arm.
Und wir begannen wieder mit einander zu reden. Margit baumelte mit den Beinen und schaute dabei auf ihre Füße, als sie sagte: „Ich fände es gut, wenn Du nicht weggehen würdest.“ Das traf mich. Das war der Grund, warum ich eigentlich mit niemandem eine Beziehung hatte eingehen wollen. Ich wollte so bald wie möglich wieder nach Asien, am Besten an einer chinesischen Uni als Dozent für Deutsch arbeiten. Zwei Jahre hatte ich mich schon darauf vorbereitet. Meine Chinesischkenntnisse vertieft, Geld gespart und vor allem, mich mit niemandem mehr eingelassen.
Letzteres hatte ich mit Margit gemeinsam. Sie war nun schon seit gut vier Jahren solo. Das trug wohl auch dazu bei, dass wir nicht so recht wussten, was wir jetzt miteinander tun sollten. Sie legte ihren Kopf in ihren Schoß und ich legte ihr meine Hand auf den Rücken. Langsam begann ich sie zu streicheln. Aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund fühlte ich mich dabei wie ein Dieb. Trotzdem machte ich weiter.
Auf dem Balkon eines der gegenüberliegenden Häuser tauchte plötzlich eine Oma im Nachthemd auf, die etwas, vielleicht einen Vogel, in ihrem Garten photographierte. Margit richtete sich auf. Mit einem Mal war die Spannung verflogen. Wir lachten über die Alte und rätselten darüber, was sie da wohl machte, kamen aber zu keinem Ergebnis. Jedenfalls schien uns die Dame nicht wahrzunehmen, was uns sehr recht war.
Margit meinte, dass ihr der Magen knurre. Aus einem neckischen Reflex heraus wollte ich ihr meine Hand auf den Bauch legen. Sie zuckte zusammen. „Entschuldigung“, sagte ich ironisch. Aber sie blieb ernst: „Ich fühle mich mit meinem Bauch nicht wohl.“ Eine Äußerung, die eitel klingen könnte. Jedoch wusste ich, dass sie einmal eine Essstörung gehabt hatte. Wie immer versuchte ich, sie davon zu überzeugen, dass sie wunderbar aussehe, doch sie antwortete wie gewohnt: „Ich kann nicht glauben, dass mich jemand schön findet.“ „Verbohrt?“, war das Wort, was mir durch den Kopf ging und ich fragte: „Aber du warst doch auch schon für längere Zeit mit jemandem zusammen – das ist doch quasi ein Beweis dafür, dass es Menschen gibt, die dich schön finden, die dich geliebt haben.“ Sie lächelte, als hätte ich etwas Dummes gesagt: „Das habe ich ihnen nie geglaubt, dass sie mich lieben.“ Ich konnte das nicht verstehen, sie war fest davon überzeugt, dass man sie nicht lieben kann. Das stand so karss im Gegensatz zu dem, was um sie herum passierte. All diese Männer, die ihr nachstellten, all die Komplimente, die man ihr machte. Aber es war zwecklos weiter darüber zu reden, also erzählte ich ihr ein paar meiner Anekdoten. So redeten wir noch eine Weile, bis schließlich die Müdigkeit überhand nahm und wir uns mit letzten Kräften zurück zum Fenster begaben. Unten im Dachboden umarmten wir uns noch einmal fest. Wieder ein wenig aufgekratzt schlichen wir durch das Treppenhaus. Vor ihrer Wohnungstür brannten uns plötzlich die Sicherungen durch: Wir kicherten, lachten viel zu laut, alberten mit einander rum. Es war großartig. Eine seltsame Übersprungshandlung, die wir lange Minuten auskosteten. Dann ging ich.
Als ich zu Hause angekommen war, ließ ich mich quer auf mein Bett fallen, wo ich darüber nachdachte, wie ich ihr klar machen könnte, dass man sie lieben kann. Am nächsten Abend schrieb ich folgenden Brief:

Wer ist verliebt in Margit Schulz?
Ich möchte hier ein Bild von ihr malen, ein möglichst genaues Bild. Anfangen werde ich mit ihrem Gesicht, dessen Oval sich auch schon auf unserer Leinwand abzeichnet. Wir sehen die vollen Lippen, die Mundwinkel, die im Ruhezustand immer ein wenig nach unten zeigen und gemeinsam mit der leicht vorwitzigen Nase schnell hochmütig erscheinen wollen. Die grünen Augen, um deren Iris herum sich ein kleiner gelber Sonnenwind zerzaust, die beiden Schneidezähne, zwischen denen ein ganz ganz winzig kleiner Spalt bleibt. Schlanke schwarze Augenbrauen, Wangen, die leicht rot werden, wenn sie tanzt und das rabenschwarze Haar, was all das umrahmt.
Ein sehr schönes Bild. Aber die Frage, die ich stellen will, ist: Kann ich irgend etwas finden, was mir nicht gefällt? Ist vielleicht ihr Hals zu kurz oder hat sie einen dunklen kratzigen Damenbart? Nein, ich kann nichts dergleichen entdecken! Aber vielleicht muss ich mir ja auch nur ihren Körper einmal genau genug ansehen, um zu verstehen, warum sie angeblich nicht anziehend ist? Wir sehen, wie ihre Figur sich auf der Leinwand abbildet: Lange, schlanke Beine, nicht zu breite Schultern, gut proportionierte Brüste, die schön und nicht etwa aufdringlich sind und darunter der leichte Schwung, den mein Freund Mark immer das Beste an einer Frau nannte: der hauchzarte Ansatz zum Frauenbauch. Man hört, ihr sei er ganz gräßlich. Doch mir gefällt er. Stelle ich mir den Bauch einer Frau doch gar nicht so, wie meinen eigenen vor, sondern zarter und weicher. Ja, ich denke sogar, dass die meisten Männer dies als schön empfinden.
Dass man oft sieht, wie tolle Männer in ihrer Umgebung herumgockeln, und sie erwartungsvoll ankrähen. Dass sich um sie herum die Verehrer scharen, das dürfte auch stark mit ihrem Charakter zusammenhängen. Aber wie kriegt man einen Charakter auf die Leinwand? Vielleicht findet er sich in ihren Gesichtsausdrücken? Ich will einmal ein paar von ihnen nachzeichnen: Da hätten wir z.B. ihr lustiges Gesicht. Sie kann herrliche Fratzen schneiden und dabei lachen, wie eine Bärenjunges nach einem Joint. Egal, wie es mir gerade geht - mich bringt sie damit immer zum Lächeln.
Aber ihr Gesicht kann auch anders: Die Augenbrauen rücken einander näher, die Mundwinkel ziehen sich nach unten und der Kopf wird ein wenig in den Nacken gelegt: die perfekte Denkerpose. Die nicht nur äußerer Schein ist. Denn sie folgt mit Leichtigkeit dargebotenen Gedanken, legt sie auseinander, wieder zusammen und findet für alles ein klar klingendes Wort.
Da ist auch noch das, was ich Straussgesicht nennen könnte. Wenn sie ihren Kopf in ihrem Schoß versteckt, wie ein kleines Kind die Augen schließt und zu sagen scheint: „Ich bin nicht mehr hier, und auch nicht verantwortlich dafür, dass deine Hand auf meinen Rücken liegt...“ Am wenigsten weiß wohl ich, was ich von diesem Gesicht zu halten habe. Und doch kann ich nicht anders, als es zu mögen.
Sie kann irre süß sein, wenn sie nur selbstvergessen genug ist. Wenn man mit ihr nach einer durchzechten Nacht im kühlgrauen Morgenlicht auf einem Balkon hockt und sie neckt, dann kann man das Glück haben, dass über ihr Gesicht kurz ein Ausdruck flackert, der auf dem schmalen Grat zwischen scheinbarer Wehr und amüsierter Entzückung liegt. Ihre Oberlippe schiebt sich etwas nach oben, entblößt einen kleinen Spalt durch den genau je zur Hälfte das rosa Zahnfleisch und die weißen Zähne zu sehen sind, ihre Nase wirkt dabei ein wenig aufgeruckelt und dann lacht sie. Das ist eines der Bilder, die ich einfach nicht vergessen kann.
Natürlich ist da auch noch ihr Alltagsgesicht: leicht abgekämpft aber freundlich. Es ist deutlich zu sehen, wie sie sich zusammenreißt, wie sie kämpft, ganz ohne sich bis ins Kantige oder Spitze hinein recken zu müssen.
Eigentlich ist das die größte Quelle des Respekts vor ihr.

Ein paar Stunden, nachdem ich ihr diesen Brief überbracht hatte, klingelte mein Telefon. Als ich den Hörer abnahm, hörte ich sie weinen. Ich fragte, was denn nur sei. Sie sagte: „Warum tust Du so was? Du kannst mir doch nicht so einen ernsten Brief schicken, der an mein Selbstverständnis rührt! Können wir nicht einfach nur Spaß haben, anstatt ständig darüber zu reden, wie furchtbar ich bin?“
Zuletzt geändert von Kird am 06.07.2007, 15:25, insgesamt 2-mal geändert.

Sam

Beitragvon Sam » 04.07.2007, 07:25

Hallo Kird,

gefällt mir überhaupt nicht! Schon der Einstieg in diesen "Brief" ist so steif und bemüht, dass ich überhaupt kein Interesse habe diesen Bief zu lesen. Ausserdem ist das, was im Einstieg beschrieben wird, doch recht unwahrscheinlich. Zwei "VOLLTRUNKENE", die muksmäusschenstill irgenwo hinaufschleichen und übers Dach auf einen Schornstein kraxeln. Dort dann unversehrt angekommen gehts gleich ins tiefsinnige Gespräch. Und was ihre Zunge löst, ist nicht etwa der Alkohol sondern das Himmelblau aus dem sie auf die kleine Welt hinabschauen.

Der Brief selber ist auch nicht besser. Gerade der Einstieg gibt sprachlich noch eins drauf, wenn vom Gefühlsharnisch, Gevatter Verstand etc. geredet wird. Zwischen drin aber Formulierungen wie "ganz schnuckelige Lauscher" etc.

Hie und da auch noch scheinbar Gewichtiges wie:
Wenn der kalt operierende Verstand Regler auf den Kontrollpulten rauf und runter schiebt und der Effekt ausbleibt, wenn also die Widerstände nicht reichen, dann treffen wir die Maske aller Unzufriedenheit: die kleine Wut.


Ne, das ist ein Mix, der an mir als Leser völlig vorbeigeht, weil ich in dem ganzen stilistischen und sprachlichen Durcheinander keinen Sinn erkennen kann und es auch überhaupt kein Spaß macht, das zu lesen. Dabei ist die Grundidee durchaus witzig. Was aber daraus wurde, ist mir nicht nur zu lang (Umfrage) sondern vor allem auch zu langweilig.

LG

Sam

Mucki
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Beitragvon Mucki » 05.07.2007, 14:33

Hallo Kird,

erst einmal willkommen im Blauen Salon!
Es wäre nett, wenn du dich in der Rubrik "Blaues Cafe" kurz vorstellen würdest, damit wir dich ein bisschen besser kennenlernen,-)

Zu deiner Geschichte:
Ich bekomme keinen Zugang zu ihr. Im ersten Passus (allein der Schlangensatz müsste in einzelne Sätze zerlegt werden) wirkt für mich zusammengefriemelt. Es entsteht kein richtiges Bild für mich. Auch das Besoffene sich still verhalten, ist unglaubwürdig. Die gröhlen rum, nehmen keine Rücksicht, weil sie eben betrunken sind.

Der Übergang zum Brief, also das Motiv, ist mir nicht klar. Der "Brief" passt nicht zum Ganzen, bzw. : es ist kein Ganzes in deiner Geschichte vorhanden, meiner Meinung nach.

Dann zum Brief: Es ist kein Brief, da ist nichts Persönliches drin, kein "Du". Und einen "Liebesbrief" kann ich auch nicht darin finden. Er ist zu abstrakt und konstruiert, wiederholt sich auch in vielen Sätzen und ist zudem viel zu lang.

Also, für mich stellt sich die Frage: Was möchtest du mit dieser Geschichte ausdrücken? Was ist deine Intention? Und warum dieser Titel? Dieses: Lotto Toto...
Du siehst, ich sitze ziemlich ratlos hier und versteh nicht, möchte aber gerne verstehen,-)
Saludos
Mucki

Kird

Beitragvon Kird » 06.07.2007, 00:12

Hallo,
ja - der Text ist schlecht.
Alles was ihr sagt, trifft zu.
Hab ihn noch in der Mache.
Und melde mich, wenn er sich verändert hat.
LG
Kird
Zuletzt geändert von Kird am 06.07.2007, 18:51, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Mucki » 06.07.2007, 00:29

Hallo Kird,

Hab ihn noch in der Mache.
Und melde mich, wenn er sich verändert hat.


ok, ich bin gespannt,-)
Saludos
Mucki

Kird

Beitragvon Kird » 06.07.2007, 15:16

Hallo!

Die Veränderung ist eingetreten.

LG
Kird

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Beitragvon Mucki » 06.07.2007, 17:06

Hallo Kird,

hast du die 1. Fassung noch?
Dann sei doch bitte so nett und stell sie unter die neue Fassung oben im Kopfposting, damit man den Überblick behält. Sams und mein Kommentar bezogen sich ja auf die erste Version.
Saludos
Mucki

Kird

Beitragvon Kird » 06.07.2007, 17:57

Sorry, daran hab ich nicht gedacht.
Werde in Zukunft so vorgehen.
LG
Kird

Sam

Beitragvon Sam » 16.07.2007, 08:09

Hallo Kird,

ich bin nicht unbedingt ein Freund von x- verschiednenen Fassungen eines Textes in einem Ordner. Da du aber soviel verändert hast zu der ersten Fassung, wäre eine Vergleichsmöglichkeit zwischen den beiden Versionen schon hilfreich.

Zur zweiten Version fallen mir zwei Dinge ein:

Erstens: Sie ist länger, aber nicht besser. Kam im der ersten Version (wenn ich mich recht erinnere) der Einstieg auf etwas wackeligen Beinen daher, so ist er hier elends lang und voller Dinge, die mich als Leser eigentlich nicht interessieren - weil du sie nicht interessant gestaltest. Da kommen ein paar Leute vor, die irgendetwas miteinander zu tun haben, Beziehungsgeflechte werden genannt, aber nicht gezeigt. Und alles, um schliesslich in dem zu münden, was eigentlich erzählt werden soll - die Beziehung zwischen dem Erzähler und Margit mit jenem Brief als Höhepunkt. Nur, bis ich als Leser dahin komme, habe ich irgendwie das Interesse schon verloren.
Dabei ist dieses langsame Herangehen an die Protagonisten nichts schlechtes. Ich muss an den Film "Die durch die Hölle gehen" von Michael Cimino denken. Es geht eigentlich um die Erfahrungen dreier Freunde im Vietnamkrieg. Die erste Stunde des Filmes aber ist eine Hochzeitsfeier, auf der man den Prots. und ihrem Umfeld langsam näher kommt.
Gleiche Wirkung könnte die von dir beschriebene Party auch haben. Wär sie nur einfach stringenter und bildhafter, sprich besser, erzählt.

Zweitens:
Ich kann nicht genau sagen, ob und wo du den Brief geändert hast. Der erscheint jetzt in der Geschichte aber als einziges Highlight. Da gibt es wirklich schöne, bildhafte Formulierungen, da gibt es Witz (außer das Bärenbaby nach dem Joint, das ist wirklich ein blödes Bild, sorry), Erotik und Hintergründigkeit. Um den Text als Ganzes zu retten, kommt das allerdings zu spät.

Liebe Grüße

Sam

Kird

Beitragvon Kird » 16.07.2007, 08:50

Hi Sam!
Danke für das Durchbeißen!
Hm!
Das ist interessant.
Ich hatte mir schon gedacht, was Mucki später auch angemerkt hatte: Der Brief war kein Brief, weil es kein "ich" darin gab. Das sollte es eigentlich nicht geben, weil das "ich" sich zurücknimmt, um eine scheinbare "Objektivität" zu schaffen, die sich dann aber gräßlich ausnimmt und den Liebesbrief zu einem schizoiden Pamphlet werden lässt, in dem der Schreiber sich selbst im Weg steht und sich dadurch der Brief auch anders verstehen lässt, was zu der unerwarteten Reaktion seitens Margit führt. Ich dachte mir dann, dass das zuviel des Guten ist und habe die Geschichte dahingehend verändert, dass der Brief diese Rolle nicht mehr einnimmt, sondern nur noch die Dame, an den er sich richtet, diejenige ist, welche im Schizoiden dümpelt. Schließlich habe ich aber alle Personen in dieses "Zerrissensein" und "Unentschlossene" eingebürgert. Dabei ist der lange Vorlauf erzeugt worden.
Aber wenn der Brief nun schon annehmbarer geworden ist, dann ist ja schon etwas erreicht.

Also, wenn ich Dich recht verstehe, ist es besser, wenn man den Text in der neuen Fassung auch in einem neuen Ordner postet...

Vielen Dank und
Liebe Grüße
Kird

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.07.2007, 11:28

Hallo Kird,

nein, eine neue Fassung bitte nicht in einem neuen Faden öffnen, das gäbe ein Chaos.
Stelle die alte Fassung unter die neue, aber in verkleinerter Schrift, wenn es längere Texte sind.

Zu deiner Neufassung: Du hast sie m.E. zu schnell erstellt. Sam hat eigentlich schon alles angesprochen. Die Einführung ist jetzt viel zu aufgebläht, der Leser steigt aus. Du packst mich, als Leser, nicht, die Geschichte ist zu langatmig und auch langweilig. Da passiert nichts Interessantes. Und ich frage mich immer noch: Warum dieser Titel?
Dieses "Lotto Toto"? Bekomme ich darauf eine Antwort von dir?

Ja, der "Brief" ist jetzt etwas besser, obwohl mir die persönliche Note nach wie vor fehlt, aber ich verstehe jetzt eher, warum du ihn in der dritten Person schreibst.

Was mich allerdings als Leser frustriert zurücklässt, ist der Schluss, im Sinne von: alles für die Katz.
Auch hier fehlt mir das gewisse Etwas, das Besondere, das "Aha-Erlebnis", verstehst, wie ich meine?
Saludos
Mucki

Kird

Beitragvon Kird » 16.07.2007, 12:42

Ja, alles für die Katz, und doch von vorn herein klar, weil es so unwahrscheinlich ist, wie der Gewinn bei Lotto Toto Rennquintett. Jemanden, der in seinem Selbstbild gefangen ist, vom Gegenteil zu überzeugen ist nahezu unmöglich und führt i.d.R. zu sehr befremdlichen Situationen.
Das war ja eigentlich die Idee, von dem der ganze Text ausging.
Aber ich mag ihn nicht weiter befummeln. Da ist, glaube ich, nix zu machen,
zu verschachtelt, zu verquer, als dass ich das rüberbringen könnte, was mir eigentlich vorschwebte.
Ich scheitere daran, die Komplexität so aufzulösen, dass sie als vereinfachte Struktur noch interessant ist. Belasse ich es bei dem komplexen Wurf, kommt keiner mehr mit. Es war ein Experiment. Es ist mißglückt. Das ist nicht schlimm, sondern lehrreich.
Danke an alle, die mir geholfen habe.

LG
K.


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