Neulich im Wald

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 02.02.2007, 23:31

Also gut, herby und Lisa, Ihr wolltet es so: Hier kommt ein zweiter Versuch:

Nicht mal mehr im Wald hat man seine Ruhe.
Früher konnte man sich dort von den Mühen des Alltags bei einem gepflegten Spaziergang erholen. Man traf allenfalls den ein oder anderen Pilzsammler, bewaffnet mit Weidenkörbchen und Kartoffelschälmesser, den Kopf gesenkt und schnüffelnd wie ein Trüffelschwein.

Die Zeiten sind vorbei. Jetzt sind dort wie eigentlich überall die pseudoskilaufenden Frauenpulks unterwegs.

Zuerst begegnen mir heute die Sportlichen. Den Pulsmesser am Arm, schwingen sie ihre Stöcke. Ich bin sicher: Beim Anblick solch geballter femininer Entschlossenheit hätten selbst die Bankräuber, die kürzlich den Angestellten der hiesigen Sparkasse mit ihren Spielzeugpistolen einen gehörigen Schreck einjagten, schleunigst die Flucht ergriffen.

Die Sportlichen achten darauf, die Füße ordnungsgemäß von hinten nach vorn abzurollen und die Pobacken immer schön anzuspannen. Die brustmuskelzuckenden Männer, die kürzlich bei „Wetten dass“ die Gunst des Publikums erringen konnten, würden ob solcher Kontraktionen vermutlich vor Neid erblassen.
Und außerdem schnattern sie, weil das Lehrbuch verlangt, dass man sich beim Langlaufen ohne Ski noch unterhalten können muss. Das tun sie so gewissenhaft, dass die Geräuschkulisse südwärts ziehender Gänse dagegen klingt wie das Liebesgeschnulze von Roland Kaiser.
Gesichter leuchten, denn schließlich müssen sie aussehen, als ob ihnen das Ganze auch noch Spaß mache.

Siehst Du, sagt mein Gewissen, von dem ich meinte, es sei zuhause geblieben. Das solltest Du auch mal versuchen. Würde Deinem Rücken gut tun. Von Deinem Hintern will ich hier gar nicht reden. Aber Du lässt Dich ja lieber auf Kosten Deiner Privatkasse massieren. Wellness hilft aber nicht gegen Fett.
Halts Maul, gifte ich zurück, kann man denn nicht mal im Wald seine Ruhe haben?

Nein, kann man nicht. Denn jetzt naht personifizierte und potenzierte Verstärkung für mein Gewissen: Die Schönen kommen.
Ich unterdrücke den Impuls, mich hinter dem dicksten Baum in der Nähe zu verbergen. Denn ich weiß: Wenn sie erst einmal in meinem Blickfeld erscheinen, fühle ich mich richtig schlecht. Aber gerade denen möchte ich nicht das Gefühl geben, sie hätten mich beim Pinkeln erwischt. Also schlendere ich tapfer weiter.

In aktuellen Winterfarben mit passenden Adidas an den Füßen sehen die Damen aus, als seien sie soeben dem neuesten Katalog eines führenden Versandhauses entstiegen, der sich kürzlich unangefordert in meinem Briefkasten fand.

Mein Gott, wie können die beim Sportmachen so gut aussehen. Die blond gesträhnten Haare sitzen, der Lippenstift bleibt, wo er hingehört und das Goldkettchen am Hals ist dekorativ entblößt, trotz drei Grad minus. So sehe ich nie aus, nicht einmal, wenn ich vom Friseur komme und gut gefönt bin.
Und: Die schwitzen auch nie. Wie machen die das bloß? Drücken die jeden Tropfen, der sich unbefugt durch die Poren den Weg ins Freie bahnen will, erbarmungslos zurück in die Harnblase? Oder nehmen sie bis zu drei Tagen vor der geselligen Ertüchtigung keinerlei Flüssigkeiten zu sich, Sperma ausgeschlossen, versteht sich bei soviel blond.

Mein Gewissen triumphiert. Siehst Du, geht doch! Du solltest auch ein wenig mehr auf Dich achten. Und denk nicht so schlecht über sie, bist ja nur neidisch.
Ertappt senke ich den Kopf und nehme mir vor, den Wald von der Liste meiner bevorzugten Naherholungsgebiete zu streichen, entspannen kann man das hier ja wohl nicht mehr nennen.

Doch ich habe zu früh klein beigegeben.

Denn schon biegt ein weiterer Schwung um die Ecke. Naja, Schwung ist ein bisschen zuviel gesagt, denn diesmal rollen die Dicken an. Erkennbar nicht nur an der Doppelsilhouette, sondern auch an den unvorteilhaften, wenngleich bequemen Leggins. Man muss eben Prioritäten setzen.
Die Dicken schnattern nicht. Sie schwitzen. Und nebenbei keuchen sie. Warum sie Stöcke dabei haben, erschließt sich mir nicht, denn eigentlich haben sie an sich selbst schon genug zu schleppen. Mutlos schleifen sie die Dinger hinter sich her. Fast möchte ich fragen, ob ich ihnen was abnehmen kann.
Ich lächle sie so dankbar an, dass sie glauben müssen, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank

Ha, sage ich zu meinem Gewissen, wenn ich so dick bin wie die, dann kannste dich wieder melden. Da endlich kehrt Ruhe ein.

Es lohnt sich eben doch, ab und zu in den Wald zu gehen. Auch ohne Stöcke: Man fühlt sich hinterher einfach besser.


Erstfassung:

Nicht mal mehr im Wald hat man seine Ruhe.
Früher konnte man sich dort von den Mühen des Alltags bei einem gepflegten Spaziergang erholen. Man traf allenfalls den ein oder anderen mit Weidenkörbchen und Kartoffelschälmesser bewaffneten Pilzsammler, schnüffelnd wie ein Trüffelschwein und mit gesenktem Kopf, der eh keine Notiz von einem nahm.

Die Zeiten sind vorbei. Jetzt sind dort wie eigentlich überall die pseudoskilaufenden Frauenpulks unterwegs.

Zuerst begegnen mir heute die Sportlichen, schon von weitem kann ich sie schnattern hören, die Geräuschkulisse südwärts ziehender Gänse ist dagegen ein Minnegesang.
Den Pulsmesser am Arm, schwingen sie ihre Stöcke. Ich bin sicher: die Bankräuber, die kürzlich den Angestellten der hiesiegen Sparkasse mit ihren Spielzeugpistolen einen gehörigen Schreck einjagten, hätten beim Anblick dieser geballten weiblichen Entschlossenheit schleunigst die Flucht ergrifffen.

Nebenbei achten die Sportlichen darauf, die Füße ordnungsgemäß von hinten nach vorn abzurollen und die Pobacken immer schön anzuspannen. Die brustmuskelzuckenden Männer, die kürzlich von sich reden machten, würden ob solcher Kontraktionen vor Neid erblassen.
Und außerdem quatschen sie, so wie es das Lehrbuch verlangt, und ihre Gesichter leuchten, denn schließlich müssen sie aussehen, als ob ihnen das Ganze auch noch Spaß mache.

Siehst Du, sagt mein Gewissen, von dem ich meinte, es sei zuhause geblieben. Das solltest Du auch mal versuchen. Würde Deinem Rücken gut tun. Vom Deinem Hintern will ich hier gar nicht reden. Aber Du lässt Dich ja lieber auf Kosten Deiner Privatkasse per Wellnessrezept massieren. Das hilft aber nicht gegen Fett.
Halts Maul, gifte ich zurück, kann man denn nichtmal im Wald seine Ruhe haben?

Nein, kann man nicht. Denn jetzt naht personifizierte und potenzierte Verstärkung für mein Gewissen: Die Schönen kommen.
Ich unterdrücke den Impuls, mich hinter dem dicksten Baum in der Nähe zu verbergen. Denn ich weiß: Wenn sie ersteinmal an in meinem Blickfeld erscheinen, fühle ich mich richtig schlecht. Aber gerade denen möchte ich nicht das Gefühl geben, sie hätten mich beim Pinkeln erwischt. Also gehe ich tapfer weiter.

In aktuellen Winterfarben mit passenden Adidas an den Füßen sehen sie aus, als seien sie soeben dem neuesten Katalog eines führenden Versandhauses entstiegen, der sich kürzlich unangefordert in meinem Briefkasten fand.

Mein Gott, wie können die beim Sportmachen so gut aussehen. Die blondgesträhnten Haare sitzen, der Lippenstift bleibt, wo er hingehört und das Goldkettchen am Hals ist dekorativ entblößt, trotz drei Grad minus. So sehe ich nie aus, nicht einmal, wenn ich vom Friseur komme und gut geföhnt bin.
Und: Die schwitzen auch nie. Wie machen die das bloß? Drücken die jeden Tropfen, der sich unbefugt durch die Poren den Weg ins Freie bahnen will, erbarmungslos zurück in die Harnblase? Oder nehmen sie bis zu drei Tagen vor der geselligen Ertüchtigung keinerlei Flüssigkeiten zu sich, Sperma ausgeschlossen, versteht sich bei soviel blond.

Mein Gewissen triumphiert. Siehst Du, geht doch! Du solltest auch ein wenig mehr auf Dich achten. Und denk nicht so schlecht über sie, bist ja nur neidisch.
Ertappt senke ich den Kopf und nehme ich mir vor, den Wald von der Liste meiner bevorzugten Naherholungsgebiete zu streichen, entspannen kann man das hier ja wohl nicht mehr nennen.

Doch ich habe zu früh klein beigegeben.

Denn schon biegt ein weiterer Schwung um die Ecke. Naja, Schwung ist ein bisschen zuviel gesagt, denn diesmal nahen die Dicken. Erkennbar nicht nur an der Doppelsilhouette, sondern auch an den unvorteilhaften, wenngleich bequemen Leggins. Man muss eben Prioritäten setzen.
Die Dicken schnattern nicht. Sie schwitzen. Und nebenbei keuchen sie. Warum sie Stöcke dabei haben, erschließt sich mir nicht, denn eigentlich haben sie an sich selbst schon genug zu schleppen. Mutlos schleifen sie die Dinger hinter sich her. Fast möchte ich fragen, ob ich ihnen was abnehmen kann.
Ich lächle sie so dankbar an, dass sie glauben müssen, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank

Ha, sage ich zu meinem Gewissen, wenn ich so dick bin wie die, dann kannste dich wieder melden. Da endlich kehrt Ruhe ein.

Es lohnt sich eben doch, ab und zu in den Wald zu gehen. Auch ohne Stöcke: Man fühlt sich hinterher einfach besser.
Zuletzt geändert von leonie am 08.02.2007, 10:15, insgesamt 5-mal geändert.

Benutzeravatar
Thomas Milser
Beiträge: 6069
Registriert: 14.05.2006
Geschlecht:

Beitragvon Thomas Milser » 15.02.2007, 15:57

Hi Lisa,
also das mit dem 'Kolumnenmeister' behagt mir so gar nicht.
Ich stelle nur meine subjektive Ansicht dar. Die reißerische Kolumne ist sicherlich auch einfacher sprachlich zu verfassen (deswegen schreibe ich ja lieber sowas), als zum Beispiel die sanften, vor Hintergrundschalk nur so schimmernden Texte eines Herrn Max Goldt. Aber zu solch feinsinniger und hintergründiger Sprachgewalt muss man erstmal gelangen. Wie nannte er sein letztes Buch? "Die Kunst des Seitlich-dran-Vorbeigehens". Da ist mit einem Satz alles gesagt. Das trifft es m.E. genau, wie man auch an einen satirischen Text herangehen kann.

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste