Zum Friedhof

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klimperer

Beitragvon Klimperer » 28.08.2014, 20:32

Ich wollte Antonio auf dem Waldfriedhof besuchen, wartete am Höfchen auf die Linie 61, der Bus sollte jeden Moment einfahren, da sah ich von rechts kommend Rita, die todkranke Frau. Sie zündete sich eine Zigarette an und setzte sich auf die Bank. Es waren viele Menschen da, mich konnte sie nicht sehen. Sie hat nicht aufgehört zu rauchen, wahrscheinlich raucht sie jetzt mehr als früher. Der Krebs sitzt ihr im Hals. Sie hatte kaum an der Zigarette gezogen, da erschien schon mein Bus. Nein, sie wollte auch in diesen Bus einsteigen, denn sie machte die Zigarette aus indem sie sie gegen die Bank presste. Ich stieg ganz hinten ein, setzte mich hin und sah, dass sie sich ganz vorne hingesetzt hatte, ich konnte ihren blonden Kopf sehen. Ob sie auch zum Friedhof fahren wollte?
Irgendwie wünschte ich es mir, ich wäre ihr heimlich gefolgt, aber sie ist nicht der Typ, der freiwillig zum Friedhof geht, und in der Tat, am Münsterplatz stieg sie aus. Sie ist wahrscheinlich schwarz gefahren.
Der Bus fuhr durch Mombach, eine Gegend, die ich kaum kenne, alles fremd und trotzdem irgendwie vertraut. Dann schien der Bus durch die Pampa zu fahren, eine Haltestelle hieß Lemmchen, eine andere „Hasenquelle“. Der Waldfriedhof konnte nicht mehr weit sein. Das ist auch die Endstation.
Dort angekommen, schaute ich auf dem Fahrplan, der nächste Bus zurück fuhr um 6 Minuten nach 12, ich hatte also etwa eine halbe Stunde Zeit, ich musste schnell machen.
Ich betrat den Friedhof und richtete meine Schritte zu der Kapelle, vorher ging ich auf die Toilette, ich war irgendwie nervös.
Die Kapelle war geschlossen, ich betrachtete den Jesus auf der Fassade, er trägt ein Kreuz in der linken Hand und mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger der Rechten macht er so etwas wie ein Siegeszeichen.
Ich lief dann den breiten Weg runter, bis ich an einer Kreuzung das Schiff fand, von dem Adela, Antonios Witwe, mir erzählt hatte. Jesus steht da mit einem Ruder in der Hand, hat die Rolle des Charon übernommen.
Ich bog nach links ab und suchte das Holzkreuz, fand zwei oder drei, nicht aber das von Antonio. Ich schaute auf die Uhr, ich hatte nicht mehr viel Zeit und ich wollte den Bus nicht verpassen, kehrte also schnell zurück.
Der Bus war noch nicht da, ich rief Adela an und sagte ihr auf Spanisch „Ich habe ihn nicht gefunden!“
Es ist meistens so, wenn man sich nach genauen Anweisungen richtet.
Sie bot mir an, am nächsten Montag mit mir zum Friedhof zu gehen.

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