Vor langer Zeit unterrichtete ich bei einem hohen Tier eine romanische Sprache. Ich kam zu ihm nach Hause, wo seine Frau uns bewirtete. Er war ein großer Anhänger der römischen Kultur, zu Hause trug er eine Toga.
Seine Frau hieß Claudia, hielt sich immer auf Distanz, immer höflich, sachlich, gut gelaunt. Früher hatte sie einen Antiquitätenladen gehabt, wo sie ihren Mann kennenlernte. Viele von diesen Sachen hatte sie immer noch zu Hause, auch wenn es nicht so aussah, das müsste die Alarmanlage erklären.
Sie war blond, etwas füllig, sicherlich eine Schönheit in ihrer Jugend.
Ihren Mann werde ich Antonius nennen, denn ich habe Angst vor möglichen Repressalien.
Antonius hatte in seiner Jugend einmal einem Vortrag von Heidegger beigewohnt.
Antonius war ein Experte im römischen Recht.
Er vertrat amerikanische und deutsche Firmen im Ausland, wozu er fremde Sprachen brauchte. In diesem Kontext erlebte ich eine seltsame Geschichte.
Bekannte von mir, eine Winzerfamilie, hatten sich ein Landgut in den Anden gekauft. Sie fingen dort an, genau wie hier, Bacchus Früchte zu züchten. Sie hatten dieses Landgut von einer weltbekannten Firma abgekauft. Sie waren glücklich, weil sie, anders als hier, dort quasi das ganze Jahr über ernten konnten. Das Problem war das Wasser, aber sie hatten es durch harte Arbeit (sie arbeiteten Hand in Hand mit den Eingeborenen) in den Griff bekommen.
Nun, als sie, Vater, Sohn und Tochter restlos glücklich waren geschah es, dass andere Menschen dieses Landgut auf einmal für sich beanspruchten. Meine Bekannte machten sich zuerst keine Sorgen, sie hatten das Landgut ja nach allen Regeln des Gesetzes käuflich erworben.
Die Sache aber war weitaus komplizierter, als man sich hier in Europa denken kann. Die weltbekannte Firma hatte das Landgut von einer Witwe abgekauft; damals waren ihre Söhne minderjährig gewesen, jetzt, wo sie volljährig waren behaupteten sie, ihre Mutter hätte nicht das Recht gehabt, das Landgut zu verkaufen und beanspruchten es für sich zurück.
Es kam zu einem langen, langwierigen, juristischen Streit, den meine Bekannten letztendlich verloren. Nur, was unglaublich klingt, sie mussten im Nachhinein der weltweit bekannten Firma eine Million Mark zahlen. Fünf Jahre lang hatten sie gebraucht, um dieses Land zum blühen zu bringen, fünf Jahre lang harter, persönlicher Arbeit, und jetzt verloren sie alles und mussten darüber hinaus dazu zahlen.
Per Zufall erfuhr ich, dass Antonius der Anwalt dieser Firma gewesen war. Er kannte meine Bekannte nicht persönlich und das menschliche Schicksal dahinter interessierte ihn nicht, er hatte einen Prozess zu gewinnen und er gewann ihn. Er hatte auch nicht die geringsten Gewissensbisse, denn Recht hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.
Damals war ich naiver als heute, ich konnte aber trotzdem ihm keine Vorwürfe machen. Ich fragte ihn nur, ob diese Winzerfamilie den finanziellen Verlust verkraften könnte. "Ja, das können sie" -versicherte er mir.
Nun, was Antonius eigentlich wollte war, Schriftsteller zu werden. Er hatte auch wirklich Talent dafür. Einige seiner Sachen gab er mir zu lesen, ich wurde grün vor Neid. Aber er hatte keine Zeit, um das ernsthaft zu betreiben, so lief ich nicht Gefahr, einen ernsthaften Konkurrenten in ihm zu haben. Trotzdem lobte ich in höchsten Tönen, was er geschrieben hatte.
Eines Morgens waren wir auf der sonnigen Terrasse seiner zweistöckigen Villa. Ich rezitierte ihm die berühmteste Rima von Bécquer, die mit den Schwalben:
VOLVERAN LAS OSCURAS GOLONDRINAS
EN TU BALCON SUS NIDOS A COLGAR
Y OTRA VEZ CON EL ALA A SUS CRISTALES
JUGANDO LLAMARAN…
Ich kann nicht gut Gedichte vortragen, ich kann nicht gut vorlesen, zu lange habe ich still und nur für mich gelesen.
Antonius Frau bringt uns Kaffee, sie ist nur in einem weißen Bademantel gehüllt. Ich weiß nicht, ob Antonius dass weiß, denn er befindet sich in demselben Zustand wie Appius Gaius Caecus, der Erbauer der Via Appia.
Es ist ein Frühlingstag. Ich verabschiede mich.
Antonius ist auf der Terrasse geblieben. Ich betrete das Innere des Hauses. Da sehe ich, auf einem Stuhl, den weißen Bademantel ...
Eine erfundene Geschichte
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