plaza mayor

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 19.04.2014, 15:53

Ein verkrüppelter Baum, sein Äste, wenige, dicke, enden in Knubbeln, ein Leprakranker, dem die Finger abgesäbelt wurden, als sie nur noch trockene Zweiglein an den verdickten, sinnlos gewordenen Gelenken waren, wer tut sowas. Er sitzt mit einem großen, fast schon leeren Silberzwiebelglas darunter, ein alter Mann, verschwitzt, eine Dusche hätte er zuhause in seiner Küche, aber er mag nicht sauber in die alte Kleidung steigen. Er fingert nach den letzten Zwiebeln, kommt schlecht ran, gelegentlich nimmt er einen Schluck von dem bitteren Essigwasser, er ist nicht Jesus, der konnte sich Verzicht auf Erfrischung leisten, oder glaubte es wenigstens einen Augenblick lang, vielleicht fehlte ihm Erfahrung. Silberzwiebeln haben eine geheime Süße, die die Kenner zu schätzen wissen, so einer ist er, jemand, der sich morgens beim Kaffee über einen satt dröhnenden Furz noch freuen kann, und was geht schon über Essigwasser, wenn es draußen, wie heute, heiß ist.



Version 1
Ein verkrüppelter Baum, sein Äste, wenige, dicke, enden in Knubbeln, ein Leprakranker, dem die Finger abgesäbelt wurden, als sie nur noch starre Zweiglein an den verdickten, sinnlos gewordenen Gelenken waren, wer tut sowas. Drunter sitzt mit einem großen, fast schon leeren Silberzwiebelglas ein alter Mann, es ist heiß, man könnte über Duschen nachdenken, aber wer mag sauber in die alte Kleidung steigen, er fingert, kommt schlecht ran, gelegentlich nimmt er einen Schluck von dem bitteren Essigwasser, er ist nicht Jesus, der konnte sich Verzicht auf Erfrischung vielleicht leisten, oder glaubte es mal einen Augenblick lang. Silberzwiebeln haben eine geheime Süße, die die Kenner zu schätzen wissen, so einer ist er, jemand, der sich morgens in seiner Küche über einen satt dröhnenden Furz noch freuen kann, und was geht schon über Essigwasser, wenn es draußen, so wie heute, heiß ist.
Zuletzt geändert von RäuberKneißl am 29.05.2014, 14:31, insgesamt 1-mal geändert.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 26.05.2014, 15:15

Hallo Franz,

ich bekomme den ersten Satz (vor allem das Wertende, die Frage "wer tut sowas" und den Lepragedanken) irgendwie nicht in einen für mich schlüssigen Bezug zum Rest, der mir aber gut gefällt. Durch ihn schaue ich mir weniger die Szene an und kann sie auf mich wirken lassen, als dass ich mir Gedanken über den Erzähler und seine Assoziationswelt mache.
Und der Titel ... die Fotos, die mir google dazu ausspuckt, passen nicht zur Szene, dem Hintergrundbild, das ich durch den Text vor Augen hatte, aber vielleicht ist auch kein realer Platz gemeint. Hm, aber auch dann passt das "mayor" für mich nicht.
Vielleicht schreibt noch jemand etwas Erhellendes dazu.

Hier ein Bild, das mir dazu eingefallen ist.
IMG_5639.JPG


Liebe Grüße
Flora
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.05.2014, 19:39

Hallo Franz,

hier schreibt noch eine, die hier die beiden Szenen nicht zusammenbekommt. Die Platanen hab ich gut vor Augen. Doch der Grund für das Wertende entzieht sich mir.
"plaza mayor" heißt einfach nur Hauptplatz. Ist das Ganze eine Beobachtung? Mich verwirrt hier auch ein wenig die Perspektive, bzw. ist mir nicht ganz klar, aus wessen Perspektive hier eigentlich geschrieben wird (mal Er, mal man)?

Liebe Grüße
Gabi

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 27.05.2014, 23:15

Hallo Gabi und Flora,
zwei Szenen sind es eigentlich nicht, ein alter Mann der draußen auf dem Hauptplatz sitzt, außerhalb jeder Gesellschaft, also quasi aussätzig und es sich nicht mehr leisten kann, auf etwas von dem zu verzichten, was seinem Ego übrig blieb, einer, um den sich keiner schert, der sich selbst nicht mehr anpasst. Das war so ungefähr die Idee, das mit dem Duschen war nachträglich in die Notiz geraten und scheint mir auch ein Fremdkörper.
Danke schon mal,
Räuber

Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.05.2014, 01:45

Hallo Franz,

ja, das Duschen wirkt tatsächlich wie ein Fremdkörper.
Aber warum die Wertung zu Beginn?

Gute-Nacht-Grüße
Gabi

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 29.05.2014, 14:37

Hallo,
ich habe eine leichte Umformulierung versucht. Ich seh die 'Wertung', wenn es denn eine ist, nicht so störend - wer stutzt Bäume so radikal? - ist das nicht eine naheliegende Frage, wenn man unter solchen Bäumen sitzt (und man sich wegen Hitze eigentlich Schatten wünschen würde).
Grüße
RäuberKneißl

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 03.06.2014, 08:48

Hallo Franz,

ich denke für mich ist es tatsächlich eine Frage der Perspektive. In der ersten Version sehe ich einen beobachtenden Erzähler, wenn ich es aber aus der Sicht des Mannes selbst lese, als "Selbstbetrachtung" sozusagen, was der neue "Duschsatz" nahelegt, geht es für mich auf, auch der Anfang. Für mich hat es durch die Änderungen gewonnen.

Liebe Grüße
Flora
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