Schlendrian

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klimperer

Beitragvon Klimperer » 26.04.2014, 00:38

Ich kam fünf Minuten früher von meiner Mittagspause zurück und sagte Herrn Vater, der mich abgelöst hatte: "Jetzt können Sie in Ruhe zur nächsten Ablösung schlendern". Dieses letzte Wort erinnerte ihn an das Wort "Schlendrian". Offensichtlich hatte er keine Lust, Herrn Mohl zu früh abzulösen, denn er blieb da und erklärte mir in aller Ruhe, was dieses Wort bedeutet, erläuterte es sogar anhand eines Beispiels. Göring hätte gesagt, dass die Wiener zu nichts taugen. Dazu erzählte er mir eine Anekdote aus seinem Leben: Er war in Wien gewesen, zu Besuch bei einer Tante. Vom Fenster aus (es war Sommer) hätte er beobachtet, wie zwei Wiener eine ganze Woche gebraucht hätten, um einen Heizkörper von dem Bürgersteig in eine Wohnung zu tragen. "Hoo Ruck! Hoo Ruck!" hätten sie gerufen, den Heizkörper ein paar Zentimeter bewegt und dann eine Stunde lang gequatscht, bis es dunkel wurde ... "Das ist SCHLENDRIAN", sagte er.
Zuletzt geändert von Klimperer am 28.04.2014, 20:22, insgesamt 1-mal geändert.

ecb

Beitragvon ecb » 27.04.2014, 18:11

Und in Deutschland wird nicht geschlendert. :pfeifen:

LG Eva

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 28.04.2014, 01:36

Hallo Eva!

Ich habe noch nicht auf einen Kommentar von dir geantwortet, das heißt aber nicht, ich hätte es nicht wahrgenommen und mich sehr darüber gefreut. Ich tue es hiermit.

Was diese Geschichte angeht: "Ich bin außen vor", ich habe es nur Wortwörtlich vor etwa zwanzig Jahre in meinem Tagebuch festgehalten.

Wenn es wirklich so wäre, fände ich es toll, solange der Heizkörper nicht dringend benötigt wäre. Was wahrscheinlich der Fall war.

Mvh

Carlos

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 28.04.2014, 02:27

lieber klimperer,

ich glaube, wenn das setting deiner kurzen museums-texte dem leser bekannt ist - inzwischen ist es mir das - lesen sie sich viel angenehmer. dem einzeltext fehlt diese information.

dieser hier ist sehr anekdotisch und lautmalerisch und gruselig (@taugen), und die vorstellung dieser szene in einem deutschen museum mit diesem exotischen beispiel der wiener heizkörperträger läßt mich immer wieder schmunzeln.

die komposition dieser elemente ist ruhig und dicht, schöne mehrschichtige bewegung.

liebe grüße.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 28.04.2014, 10:15

Vielen Dank, Aram!

Das gib mie das Gefühl, nicht umsonst fast zwanzig Jahre meines Lebens (vollzeitig, sechs Tage in der Woche) in diesem Museum "gearbeitet" zu haben.

So gesehen ist es eher eine magere literarische Beute, ein paar kleine Anekdoten ...


Ich wünsche dir einen schönen Tag.


Carlos

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 28.04.2014, 10:43

Merkwürdig - ich habe Museumsinnenleben auch kennengelernt - und da gab es Intrigen, Fälschungen, Korruption - und Hausmeister, die bestimmten, wo das neue Meisterwerk gehängt wurde - und die Herren und Damen Direktoren und Kustoden sahen alt aus, zumal sie über den Hausmeister auch noch ihre erstaunlich preiswerten Luxuskarossen bezogen ... Du musst in einem wirklich idyllischen Haus tätig gewesen sein - oder verschweigst uns eine ganze Menge! :-)
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 28.04.2014, 14:04

Hallo Quoth: Idyllisch war jene Zeit nicht, ich würde sie, für mich, eher als Fegefuer bezeichnen.

Alles, was du erwähnst, war da reichlich vorhanden. Ich will aber keine Anklage führen. Mich interessiert in erster Linie etwas literarisch zu retten, kleine Episoden, Belanglose Dinge ...

Liebe Grüße

Klimperer

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 28.04.2014, 16:53

lieber klimperer carlos, hier noch kleine anmerkungen:

- ich fände es besser/verständlicher, wenn es statt "der mich abgelöst hatte" hieße "der mich vertreten hatte".
- 5 schriebe man üblicherweise/ 'regelkonform' aus - aber wenn es dein stil ist, das nicht zu tun, ist es m.e. völlig ok - mir persönlich gefällt es in seiner knappheit sogar; so ein bisschen schlendrian passt schon.-)
- "von dem bürgersteig" > üblicherweise "vom" - mich stört es hier aber auch nicht; zudem ist der ich-erzähler ja vermutlich kein muttersprachler - er sagt auch "zu der nächsten ablösung" und nicht "zur", also ist das vermutlich sein stil - und nur um stil geht es, die grammatik ist ja korrekt.

(widmete mich dem text bzgl. solcher kleinigkeiten gerne erneut, denn ich muss jedes mal wieder lachen, wenn ich den zweiten teil lese.)

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 28.04.2014, 20:32

Hallo Aram!

Ich bin dir sehr dankbar für deine Bemerkungen: Ich habe den Text entsprechend verbessert.

Dabei fiel mir auf, dass anstatt "eine Anekdote seines Lebens" "eine Anekdote aus seinem Leben besser wäre.

Das mit dem Ausdruck: "Er hatte mich abgelöst", das kann ich unmöglich ändern, denn das haben wir immer gesagt, wir wurden für die Mittagspause abgelöst. Wir warteten sehnsüchtig auf die Ablösung ...

Liebe Grüße

Carlos


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste