Friedwaldbewegt

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 22.01.2014, 13:11

Sind Sie auch friedwaldbewegt? Ich bin es seit einiger Zeit, und es geht mir gut damit. Denn eine immer wieder beiseite geschobene Überlegung wurde durch einen ebenso kühnen wie grünen Entschluss fröhlich beiseite gefegt: Wohin einmal mit meiner Asche? Dass ich verbrannt werden möchte, ist mir schon seit längerem klar. Zu beängstigend sind die Nachrichten, dass erdbestattete Leichen nicht mehr verrotten, sondern mangels Sauerstoff verledern. Nein, als verlederte Mumie möchte ich nicht nach dem Ende meiner Ruhe- und Liegezeit heraufgeholt werden. Wohin denn dann mit mir? Nein, verbrannt werden auf jeden Fall, auch auf die Gefahr hin, dass dann meine Asche mit der eines anderen sich ein wenig mischt – man kennt das ja: „Kann Beimengungen von Nüssen enthalten“ ... Aber wohin mit der Asche? Auf einen dieser immer leerer werdenden Friedhöfe, die sich so langsam in Ödhöfe verwandeln? Als Alternative erschien mir lange Zeit die Seebestattung. Aber dann machte ich eine mit, wurde sehr seekrank und beschloss, meinen Hinterbliebenen diese Prüfung zu ersparen. Warum die Urne nicht einfach unter einem Baum im Wald versenken? Davon durfte ich bisher nur träumen, denn man glaube bitte nicht, man dürfe die Asche eines Menschen irgendwo bestatten! Aber sie aufs Bücherregal – neben meine Lieblingsautoren! – stellen ist auch geschmack- wenn nicht gar ruchlos! Wo bleibt die Pietät? Für all dies hat die Friedwaldbewegung nun die Lösung gefunden. Googeln Sie mal, wieviele Friedwälder es in Deutschland schon gibt! Wieviele Ruheforste! Gedenkparks! Memory-Gardens! Der Zeitgeist zeigt auf Grün, und grün will ich bestattet sein: Unter einem, nein, unter meinem Baum, den ich mir jetzt schon ausgesucht und mit einem blauen Band umwunden habe im Friedwald Kummerup: „Frühling lässt sein blaues Band ...“ Ja, ist es denn nicht eine herzbezwingende Perspektive, dort seine letzt Ruhe zu finden? Man könnte fast an eine grüne Wiederauferstehung zu glauben beginnen: Wird denn der Baum die Kräfte für sein Laub nicht auch aus meiner Asche saugen? Und heben sich seine Äste im Herbst, vom Gewicht der Blätter befreit, nicht himmelwärts? Freilich: Auch Bäume sind sterblich. Und nicht nur das. Sie sind verletzbar. Kürzlich stattete ich dem Friedwald Kummerup einen Besuch ab, um mich am Anblick meines Baumes zu erbauen. Aber er lag in Stücke zersägt am Boden – ein Opfer von Christian, dem Sturm, der Ende Oktober wütete. Werde ich nun einen neuen Baum bekommen? Oder soll ich es gar als Zeichen nehmen, dass der Himmel meine Friedwaldbestattung nicht will? Wohin mit mir? Heimatlos, heimatlos!
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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birke
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Beitragvon birke » 24.01.2014, 18:25

Quoth hat geschrieben:Amanita sprach neulich von der Balance, die sie in einem Gedicht sucht - die suche ich auch in so einem Text - zwischen Liebe und leisem Spott.

also, das, finde ich, ist dir dann durchaus gelungen.
und eigentlich freu ich mich, dass es keine "scharfe satire" sein soll. :smile:

lg, birke
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 25.01.2014, 19:20

Lieber Quoth,

eine Überraschung, dich hier mal wieder zu lesen und eine Freude ist das!

Die Bestattung im Friedwald - ein Thema, über das ich mir auch schon oft Gedanken gemacht habe. In deinen Kommentaren arbeitest du gut heraus, dass es sich hierbei offenbar um einen neuen Trend handelt. Denn selbst hier im katholischen Emsland sind die Bäume im vor einigen Jahren von der Stadt ausgewiesenen Friedwald sehr schnell vergeben gewesen. Und, völlig unerwartet: Die Bäume im "wilden" hinteren Teil des Waldes mit feuchten Tümpeln und viel Geranke waren zuerst weg - nicht etwa die in dem aufgeräumten vorderen Teil, in dem pflichtschuldig ein großes Holzkreuz prangte. Und noch eine interessante Beobachtung: Der Trend zur Cliquenbestattung! Ja, tatsächlich teilen sich Mitglieder einer Nachbarschaft, eines Kegelclubs, einer Clique, die seit Jahren Sylvester zusammen begeht, einen Baum, denn im Kreis jedes Baumes werden 6 Plätze vergeben und man möchte ja nicht mit wildfremder Asche vereint werden, oder?

Diese Entwicklung ist es auf jeden Fall wert, literarisch behandelt zu werden. Bei deinem Text geht es mir allerdings ähnlich wie meinen Vorrednern, die Überlegungen bleiben recht allgemein, um nicht zu sagen gutbürgerlich, es fehlt eine wirklich Pointierung, ein Abgleiten ins Absurde, ins Makabre, um den Text für mich literarisch interessant zu machen. Aufgemerkt habe ich beim Schluss - der Sturm hat den Baum gefällt, was nun? Hier könnte es jetzt interessant werden, ein Zeitzoom auf die Jahrhunderte, auf alte Friedhöfe deren schiefe Steine noch stehen, mumifizierte Bäume (und Leichen) in Mooren usw.. Oder auch eine fiktive "Versicherung gegen das Umfallen eines Bestattungsbaumes" könnte gegen Ende des Textes ins Spiel kommen.

Vielleicht ist dir das Thema zu nah, um es derart zu bearbeiten? Andererseits ist deine scharfe Zunge doch bekannt - vielleicht gelingt dir ja noch die Loslösung von der eigenen (hoffentlich noch in weiterer Ferne liegenden) Betroffenheit. Das wäre durchaus lohnenswert.

Herzliche Grüße aus der moorigen Gegend der Wachsleichen

fenestra

Quoth
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Beitragvon Quoth » 26.01.2014, 09:12

Hallo fenestra, ja, lange nicht gesehen und gelesen. Freue mich auch, Dich hier zu treffen. Wenn ich lese, was Du alles über diese neue Bestattungsform weißt, wärest Du eigentlich prädestiniert, selbst etwas mit dem satirischen Biss zu schreiben, den Du bei mir vermisst. Vielleicht hat meine Zunge an Schärfe verloren. Vielleicht würde ich lieber gern ein Strickhäschen in meinen Friedwald und auf meinen Baum setzen! Diese Idee ist ja sowas von lieb ... Gut, aber ich will versuchen, mal wieder was zu schreiben, was Dir gefällt. An Deinem Lob war mir immer viel gelegen! Und wenn Du was schreibst, werde ich bestimmt nicht nur zwinkern! Gruß von der Küste ins Moor. Quoth

Danke, Birke, dass Du das so siehst!
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