Fluchtpunkt

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 23.05.2012, 00:34

Fluchtpunkt


»Ich habe ein Geschenk für dich«, sagte Dora am Telefon, »heute beim Versand bestellt. Vielleicht kommt es morgen schon an.«
Was dann kam, war ein dicker Brief mit einer Besitzurkunde für ein Grundstück – ausgestellt von der Lunar Embassy in Kalifornien. Ein Grundstück auf dem Mond. Dem Brief war eine topographische Mondkarte beigelegt. Ein winziges Viereck war markiert: Sein Grundstück auf dem Mond.
Dora kam erst ein paar Tage später nach Hause. Am Abend gingen sie zusammen auf den Balkon, und Dora zeigte in den Nachthimmel. »Siehst du den dunklen Fleck links neben dem großen Schatten? Da muss es ungefähr sein. Wir könnten einen Bungalow bauen mit Garten und Mondzwiebeln ziehen. Vielleicht kommt der Mann im Mond zu Besuch …«
Er schaute sie von der Seite an. Nach acht Jahren Ehe war ihr Gesicht noch immer glatt und zart wie das eines jungen Mädchens. »Und wie war dein Besuch?«, fragte er. »Wie geht es deiner Mutter?«
Sie hob die Schultern. »Immer dasselbe. Sie sagt, dass sie sich freut, wenn ich da bin, aber dann kritisiert sie ständig an mir herum. Diesmal habe ich zu allem Unglück den Staubsauger kaputt gemacht.« Sie lachte kopfschüttelnd. »Mama hätte mich beinahe rausgeschmissen.«


Wenn er nach Hause kam, steckte er oft zunächst den falschen Schlüssel ins Schloss. Es waren nur drei Schlüssel am Ring, trotzdem kam ihm stets als erstes ein falscher in die Finger.
Den Mantel an den Haken, die Aktentasche auf einen Stuhl. Auf den Fensterbänken hatte Dora Blumentöpfe aufgestellt, dazwischen lagen Muscheln, bunte Steine und allerlei Krimskrams. Alles war blank poliert und glänzte. Er schaute hinaus und erkannte den blassen Dreiviertelmond am Himmel, obwohl es noch taghell war.

Seufzend nahm er seine Papiere aus der Aktentasche und breitete sie auf dem Tisch aus. Er griff nach dem Kugelschreiber und konzentrierte sich auf seinen Artikel über ein astronomisches Lehrmodell, der schnellstens fertig geschrieben werden musste. »Überträgt man das Sonnensystem auf die Verhältnisse unseres Modells«, schrieb er, »so stellen wir uns die Sonne als Ball von 1,39 Meter Durchmesser vor ...«
Nicht jeder hatte einen Zweitwohnsitz auf dem Mond. Dora dachte schon längst nicht mehr daran; jetzt hatte sie begonnen, Socken für ihn zu stricken. Er hatte keine Lust, ihr einzugestehen, dass er Wollsocken hasste. Die Besitzurkunde hatte er sorgfältig bei seinen persönlichen Unterlagen abgeheftet. Manchmal bekam Dora Anfälle von Putzwut und warf wichtige Dinge weg. Deshalb hatte er den Aktenordner mit schwarzem Filzstift markiert. »Achtung! Dies alles wird noch GEBRAUCHT!«


Er war beim Merkur angelangt. »Nur 58 Meter Luftlinie von dem Sonnenmodell entfernt kreiselt der winzige Merkur in 88 Tagen um die Sonne ...« Ein Schlüssel drehte sich im Schloss – Dora fand immer sofort den richtigen – und einen Augenblick später rief ihre helle sanfte Stimme: »Bist du da? Ich habe etwas für dich!«
Wie immer. Er legte den Kugelschreiber hin. »Ich bin hier. Wie war dein Tag?«
Schwungvoll kam sie ins Zimmer und brachte einen Schwall frischer Luft mit. »Hier, sieh mal.« Noch in Mantel und Schal ließ sie zwei kleine Kugeln vor ihn auf den Tisch hinrollen. »Die hab ich aus dem neuen Laden, du weißt doch, dem mit den Salzsteinlampen im Schaufenster.«
»Und was ist das?«
»Es ist vulkanisches Gestein. Du musst in jede Hand eine Kugel nehmen und versuchen zu erfühlen, welche Kugel in welche Hand gehört. Es gibt immer eine linke und eine rechte Kugel, das kann man genau spüren, wenn man sich konzentriert. Versuch es mal.«
Er nahm die beiden Brocken auf und schloss die Hände zu Fäusten, während sie hastig anfügte: »Und, entschuldige, ich habe die Theaterkarten vergessen. War schon halb auf dem Heimweg, als es mir wieder einfiel. Aber die können wir ja auch morgen an der Abendkasse abholen, oder?«
»Sicher.« Das bedeutete, dass sie eine Dreiviertelstunde eher losfahren und an der Theaterkasse Schlange stehen mussten. Weil sie es verschusselt hatte, einen Umweg von fünf Minuten über das Kartenbüro zu machen. Er versuchte, sich auf die Kugeln zu konzentrieren, und verglich das Gefühl in der linken Hand mit dem in der rechten.
Dora warf einen Blick auf seinen Artikel. »Immer noch Astronomie? Möchtest du ein Stück Bienenstich? Ich habe welchen mitgebracht.« Sie verschwand in der Küche.
Er betastete die Gesteinsbrocken mit geschlossenen Augen. Sie fühlten sich völlig gleich an. »Du, hast du den Brief an die Redaktion in Kassel eingeworfen?«, rief er.
Stille. Er schlug die Augen auf. Da stand sie in der Küchentür und sah ihn erschrocken an. »Welchen Brief?«
»Den an die Redaktion. Mit dem Artikel über die Venus.« Er spürte, wie sein Rückgrat sich versteifte.
Sie hob die Hand an ihr Kinn. »O Gott, das habe ich vergessen. Tut mir Leid. Oh, das tut mir echt Leid.«
»Herrgott, Dora.« Seine Fäuste ballten sich fester. »Das war eine Terminsache!«
»Warum schickst du es nicht jetzt hin, per Mail?«
»Weil die keine Einsendungen per Mail wollen. Sie wollen Ausdrucke mit der ganz normalen Post. Und morgen ist Ablieferungstermin. Das ist kein Wochenblättchen, Dora, es ist die größte Astronomiezeitschrift in Europa! Es ist die dritte Folge meiner Artikelserie, du weißt doch, wie wichtig das ist!«
In ihre Augen traten Tränen. »Es tut mir furchtbar Leid, ich hab es einfach vergessen. Soll ich noch einmal losgehen?«
»Heute werden die Briefkästen nicht mehr geleert! Es ist gleich acht!«
»Willst du nicht doch ein Stück Bienenstich?«
Er wurde laut: »Ich will KEINEN Bienenstich!«
Dora zog sich mit gesenktem Kopf in die Küche zurück. Er saß reglos am Tisch, die Fäuste noch immer mit aller Kraft um die Zwillingssteine geballt. Mit einemmal knackte es, eine der Kugeln ging zu Bruch. Die Außenschicht war dünn wie Eierschalen und feiner Sand rieselte heraus.
Entmutigt wischte er die Hand an der Hose ab.
Über dem Tisch baumelte ein Traumfänger und bewegte sich sachte hin und her. Er war aus Wolle auf einen Drahtring gewebt und mit Federn und Perlen geschmückt. Dora hatte ihn selbst gemacht.
Jetzt wirtschaftete sie in der Küche herum und räumte ihre Einkäufe in den Kühlschrank. Er schloss die Augen und stellte sich ihr Gesicht vor: Sie hatte dunkle Augen, eine runde Stirn wie ein Kind, und ihre Augenbrauen waren so weich wie Mottenflügel.
So eilig, wie er behauptet hatte, war der Brief gar nicht. Auf einen Tag kam es nicht an. Aber warum verschusselte sie immer alles?
»Ich passe nicht in diese Welt«, bemerkte sie manchmal mit verlegenem Lachen, »mein Kopf ist in den Wolken.« Sogar beim Kochen machte sie alberne Fehler, über die sie gemeinsam Witze machten: Halbrohe Kartoffeln galten als »medium« und was versalzen war, nannten sie einfach »bretonisch«.


Er hörte die Wohnungstür klappen. Wahrscheinlich ging sie nun doch noch zum Briefkasten – aus Angst, den Brief morgen wieder zu vergessen.
Leise öffnete er die Küchentür. Dora hatte auf dem Tisch einen Kuchenteller für ihn bereitgestellt, mit einem großen Stück Sahnekuchen darauf. Neben dem Teller warteten die Kuchengabel und eine blaue Papierserviette, die zu einer Blüte gefaltet war. Gedankenverloren nahm er sie in die Hand und zog sie auseinander. Ein paar winzige Sterne aus Goldpapier rieselten über den Tisch. Auf der Serviette leuchtete ein Lippenstiftkuss.
»O Dora«, sagte er leise. »Dora, Dora, Dora.« Er legte die Serviette auf den Tisch und öffnete das Küchenfenster. Ein kühler Abendhauch wehte herein. Sein Blick suchte die beinahe volle Mondscheibe, den großen Schatten auf der Oberfläche, den dunklen Fleck links daneben. Minutenlang schaute er reglos hinauf. Dann hörte er ihren Schlüssel in der Wohnungstür. Er schloss das Fenster und nahm die Kuchengabel in die Hand.


©Anna Rinn-Schad
Zuletzt geändert von Zefira am 25.05.2012, 22:14, insgesamt 1-mal geändert.
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.05.2012, 13:26

Huhu Zefi,

wieder eine wunderbare Geschichte von dir! Auf sehr subtile und liebevolle Weise beschreibst du, bzw. deckst du auf, wer von den beiden hier eigentlich der Träumer ist. Nicht Dora, er ist der Träumer! Als sie ihm das Grundstück auf dem Mond schenkt und du - natürlich bewusst - keine Reaktion von ihm beschreibst, er hingegen ausweicht und fragt, wie ihr Besuch bei ihrer Mutter war, denkt man, dass er so abgeklärt sei. Aber Pustekuchen! Dieses Grundstück auf dem Mond wird für ihn das Wichtigste überhaupt und es begleitet ihn die ganze Zeit. Dora knackt ihn auf, so wie die "Außenschicht, die dünn wie eine Eierschale ist" (feine Analogie hier!).
Er findet von drei Schlüsseln nicht den richtigen, sie hingegen immer.
Eine kleine Ungenauigkeit hier:
Zefira hat geschrieben:Mit einemmal knackte es, die Kugel ging zu Bruch.

Er hat ja zwei Kugeln in den Händen.

Gerade weil Dora seine weiche Schale zu knacken in der Lage ist, liebt er sie.
Sehr feine Geschichte, die ich mit Genuss gelesen habe.

Liebe Grüße
Gabi

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.05.2012, 22:13

Liebe Gabriella,
danke für Deine Meinung! Als ich die Geschichte begann, hatte ich ursprünglich eine wesentlich plakativere Beziehung im Sinn, nämlich eine Ehe, die nur deshalb weiterbestehen kann, weil der Mann aus Liebe die Schwächen seiner Frau toleriert. Ich weiß nicht, warum ich die Geschichte so begonnen habe; auf jeden Fall ist es nichts geworden. Denn wenn Dora wirklich so dämlich ist, wie er das empfindet, wäre er ja selbst schuld, wenn er ihr einen derart wichtigen Brief anvertraut.
Du hast völlig Recht: Sie sieht bei all ihrer Schusseligkeit die Dinge klarer als er. Die Ehe hält überhaupt nur wegen der beiderseitigen Nachsichtigkeit zusammen, die aus der Liebe entspringt. Ich glaube, dass es viele solche Beziehungen gibt, in denen der gemeinsame Platz außerhalb der Realität liegt – so wie hier das Grundstück auf dem Mond. Dieser Platz existiert zwar nur in der Phantasie, aber gerade das macht ihn unangreifbar.
Den Namen Dora habe ich übrigens aus Dickens’ „David Copperfield“. Dora ist Copperfields erste Frau, die er über alles liebt und gegen eine Menge äußerer Widerstände geheiratet hat. Sie schafft es, ihren kleinen Haushalt täglich in eine totales Chaos zu verwandeln. Zum Glück für Copperfield und den Leser stirbt sie früh – ich weiß nicht, was sonst auf lange Sicht aus dieser Ehe geworden wäre.
Den Satz mit der Kugel habe ich geändert, vielen Dank!

Grüße von Zefira
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.05.2012, 11:20

Hi Zefi,
Zefira hat geschrieben:Als ich die Geschichte begann, hatte ich ursprünglich eine wesentlich plakativere Beziehung im Sinn, nämlich eine Ehe, die nur deshalb weiterbestehen kann, weil der Mann aus Liebe die Schwächen seiner Frau toleriert. Ich weiß nicht, warum ich die Geschichte so begonnen habe; auf jeden Fall ist es nichts geworden.

das wäre ziemlich langweilig geworden.
So aber ist die Geschichte wesentlich tiefgründiger und dadurch gerade so interessant geworden.
Dora ist chaotisch, sicher, aber in ihrer Lebensart wesentlich gerader gestrickt als er, der eigentlich zwischen den "Welten" hin- und hergerissen ist, seinen Platz noch sucht, während Dora ihren Platz gefunden hat.
Und gerade das macht den Reiz deiner Geschichte aus.

Liebe Grüße
Gabi

eve
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Beitragvon eve » 26.05.2012, 12:26

ganz genau so empfinde ich das auch! gratulation!

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 26.05.2012, 21:11

Hallo Zefira,

ich war beim Lesen sehr angetan vom Fluß der Erzählung, stockte allerdings an der Personen-Charakteristik etwas. In seinem Bild hätte ich erwartet, dass er, etwas pedantisch, genau über seine drei Schlüssel Bescheid weiß und sie immer den falschen erwischt - das ist dir vielleicht zu schematisch gewesen? Auch fand ich das Zerbrechen der Kugeln durch ihn etwas schnell abgehandelt - dass er da so leichthin drüberweggeht scheint mir nicht stimmig.
Eine sprachliche Kleinigkeit: die Beschreibung der Kugeln als 'Brocken' fand ich leicht störend für mein Bild der Objekte. Und insgesamt ist sie mir noch etwas zu 'straight' runtererzählt, ich finde, die könnte sprachlich und inhaltlich gut noch etwas Pep vertragen ... (ich würde sie vermutlich nicht als deine erkennen - das ist bei vielen anderen Geschichten von dir anders).
Schöne Grüße
Franz

Yorick

Beitragvon Yorick » 30.05.2012, 16:41

Hallo Zefira,

gerne gelesen.
Texte haben ja viele Ebenen und Sichtweisen auf denen sie funktionieren, gesehen werden können. Hier finde ich die Ebene spannend, auf der sich die beiden aneinander abarbeiten, sich ihre Unzulänglichkeiten um die Ohren hauen. Ihre Enttäuschung.

Fluchtpunkt Mond. Sehnsucht nach der romatischen Liebe, doch die Realität ist weit davon entfernt.
Man könnte es auch so sehen: sie will ihren Mann auf den Mond schießen. Kauft ihm dort ein Grundstück. Weit weg (von ihr). Aber da man ja in einer symbiose lebt, muss sie natürlich in ihrer Vorstellung mit. Dann wenigstens soll doch ein anderer Mann zu Besuch kommen, ein "Hausfreund": der Mann im Mond. Mhm, klar.

"Nach acht Jahren Ehe war ihr Gesicht noch immer glatt und zart wie das eines jungen Mädchens."

Dieser Satz gibt einen ganz guten Einblick in sein Gefühlsleben. Denn der Blick ist ja auf die Ehespanne gerichtet, und nicht auf ihr Alter. In seiner Vorstellung müssten sich die acht Jahre Ehe also in ihr Gesicht eingegraben haben? So anstrengend fühlt es sich an.

Dazu:

»Mama hätte mich beinahe rausgeschmissen.«

Sie ist ein kleines Mädchen geblieben, innerlich wohnt sich noch zu Hause. Sie benimmt sich wie ein Kind, spielt mit ihrer Ungeschicktheit. Hat Angst vor ihrem Mann, der sich wie Papa anfühlt. Und der diese Rolle offensichtlich gerne annimmt.

Dabei provoziert sie zugleich. Der wichtige Brief? Einfach mal "vergessen". Die Theaterkarten? Ups, wie "ärgerlich". Eigentlich macht sie ihm das Leben zur Hölle (sogar das Essen ist versalzen). Und wie provokant ist es eigentlich, bei dem wichtigen Brief mit diesem blöden Bienenstich (der Stachel im Fleisch) zu kommen!
Und dann wieder das kleine Mädchen: Lippenstift und Kussmund. Ich bau Mist und du musst mich trotzdem lieb haben. Sie ist eine kleine Göre, die ihn ärgert.

Und er möchte das so. Knöchern, hölzern, humorbefreit. Du hast es schon gesagt: wenn er weiß, dass sie so schusselig ist, warum gibt er ihr dann die Sache und macht es nicht selbst? Genau. Weil er auf sie wütend werden *will*. Um daaaan seine Nachsicht in das Gewand von Güte zu kleiden und das Gefühl zu haben: ah, so muss sich Liebe anfühlen.
Und dabei zerquetscht er zwei Eier in seiner Hand. Schönes Bild!
Brav sitzt er am Ende am Tisch, die Gabel in der Hand, wie ein dressierter Hund. Wuff.

Die beiden leben ja schon auf dem Mond. In einer Welt, die Wüst und leer ist und ohne Luft zum atmen. Und jetzt der Blick an den Himmel: dort ist die Erde. So wird der blaue Planet zum Fluchtpunkt, zum Paradies, das Hier & Jetzt ist eigentlich der Traum. Und nicht der staubige Stein im Weltraum, der ihm durch die Finger rinnt.

Sehr schöne Bilder!

Gruß,
Yorick.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 02.06.2012, 00:56

Hallo Franz,
dass die Geschichte vielleicht etwas zu sehr 1:1 erzählt ist, empfinde ich selbst so, habe aber in diesem Fall keinen anderen Weg gefunden - vielleicht wegen der Perspektive? Dass er Probleme mit den Schlüsseln hat, ist dagegen für mich Teil seiner Persönlichkeit. Er ist nicht wirklich zu Hause. Es ist in erster Linie ihr Zuhause, nicht seines; deshalb schaut er auch als erstes aus dem Fenster, wenn er heimkommt.

Hallo Yorick,
eine Bekannte aus meiner Schreibgruppe hat mich dafür gelobt, dass ich eine innige, freundliche Liebesgeschichte erzählt hätte. Ursprünglich war auch genau das meine Absicht. Dass die beiden einander triezen, wo sie nur können, ist für mich kein direkter Widerspruch. Wie ich oben schon schrieb, haben sie ihre Liebe auf einen Punkt außerhalb der Realität verlagert. (Dass sie ihn auf den Mond schießen will, würde ich aber nicht interpretieren.) In der Realität selbst spulen sie das ab, was ein Schweizer Familientherapeut einmal "Kollusion" genannt hat: es ist eine Folge eingeübter Mechanismen, ich erst dies, dann du das, dann wieder ich dies und immer so weiter bis zum Ritual der Versöhnung.

Danke für eure Gedanken!

Grüße von Zefira
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Gerda

Beitragvon Gerda » 02.06.2012, 11:11

Liebe Zefira,

ich habe zunächst deine Geschichte gelesen, die mir sehr gefallen hat. (Die Kommentare erst danach),
Sie lässt den Blick auf eine Beziehung zu, die von Unzulänglichkeiten irgendwie zusammen gehalten wird.
Möglich das diese, wenn Partner liebevoll mit den Schwächen des jeweils anderen umgehen, ein lebendigerer Zusammenhalt sind, als angestrebter Perfektionismus.
Komisch, was den Namen Dora anging, stutze ich, ist er doch wenig zeitgemäß. Er schien mir zur jung anmutenden Frau nicht zu passen. Vielleicht gibt es irgend einen Kniff, durchblicken zu lassen, weshalb deine Protagonistin gerade diesen Namen trägt. Aber es ist natürlich nicht einfach, dieses so einzubauen, dass der Leser, der weiß, dass Chrles Dickesn erste Frau gemeint sein könnte, sich nicht mit der Nase drauf gestoßen fühlt.
Ich wusste es nicht, finde diese Verbindung aber sehr interessant.
Es gibt das Sprichwort, dass jemand hinter dem Mond lebt. Die beiden Protag. schauen aber auf jene der Erde zugewandte Seite des Trabanten. Du schreibst, dass sie schon längst auf dem Mond leben ... ich finde ihre Unzulänglichkeiten sehr irdisch. ;-)
Details deiner Geschichte wurden bereits sehr gelobt und diesem Lob kann ich mich gern anschließen.

Liebe Grüße
Gerda

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 21.03.2013, 11:57

Hallo Zefira,

"Traumfänger", ein Wort, das in deiner Erzählung vorkommt, ein wunderbares Wort, könnte auch deren Titel sein, wenn "Fluchtpunkt" (nicht nur perspektivisch) so treffend ausgewählt worden wäre.
Der Fluchtpunkt, an dem sich die Beiden treffen, der ist doch das Grundstück auf dem Mond?
"Wenn er nach Hause kam, steckte er oft zunächst den falschen Schlüssel ins Schloss."
"Ein Schlüssel drehte sich im Schloss -Dora fand immer sofort den richtigen."
Intuitiv handelt sie richtiger als der Wissenschaftler.

Keinen Fehler, sondern vielleicht die umgekehrte Reihenfolge in dem Satz: "Den Mantel an den Haken, die Aktentasche auf einen Stuhl."

Eine sehr subtile, fast magische Erzählung. Ich musste sie zweimal lesen, um mich zu vergewissern, dass es kein Traum war.

LG
Carlos
Zuletzt geändert von Klimperer am 21.03.2013, 18:39, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Zefira » 21.03.2013, 12:37

Hallo Carlos,
vielen Dank, Du bist immens fleißig beim Ausgraben alter Texte. (Gabriella hat schon mal die Seltsamkeit mancher Tüpfelchen-Stimmen angesprochen - ich muss sie mal fragen, ob ich Dir dafür eine Tüpfelchenstimme geben darf ;o))
Was den Titel betrifft, hast Du Recht. Ich dachte dabei an einen Punkt, an den beide gemeinsam fliehen können. Aber auch an die technische Bedeutung des Wortes Fluchtpunkt. Er bezeichnet ja auch einen Punkt in perspektivischen Zeichnungen, der oft weit außerhalb dessen liegt, was die Zeichnung eigentlich darstellt. (Siehe hier,, nur als ein Beispiel.)
"Der Mantel an den Haken, die Aktentasche auf den Stuhl" - das ist schon so richtig. Der Garderobenhaken ist ja normalerweise im Wohnungsflur; der Stuhl, auf den er die Tasche stellt, ist dagegen im Wohn- oder Arbeitszimmer; wo er halt die Aktentasche anschließend zu Arbeiten braucht.

Danke nochmal und Grüße,
Zefira
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