Horgo und Yamnaa

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Yorick

Beitragvon Yorick » 28.09.2012, 15:09

Ich erwache mit dem Kopf auf der Klospülung. Der Schweiß läuft mir über das Gesicht, das Kitzeln der Tropfen hat mich geweckt. Mein Mund ist ausgetrocknet, der Rachen brennt und auf der Wange spüre ich den Abdruck der Spültaste. Es dauert eine Weile bis ich wieder weiß, wo ich bin. Zusammengekauert sitze ich auf dem Klodeckel, die Beine hochgezogen, damit man sie unter der Tür nicht sieht. Meine Knie schmerzen, als ich langsam die Beine strecke und benommen heruntersteige. In der Dunkelheit stoße ich mir den Ellenbogen und beiße auf die Lippen, um nicht zu schreien. Was zum Teufel mache ich hier?
Die Kabinentür habe ich nur angelehnt, damit die rote Besetztanzeige mich nicht verrät. Ich öffne sie einen Spalt und spähe in den Waschraum. Durch das vergitterte Fenster scheint das Mondlicht auf die Fliesen, vom Kanal tönt das Tuckern eines Motors herüber. Sonst ist alles still. Die Hitze des Sommertages hat sich hier in den schlecht belüfteten Räumen aufgestaut, es riecht scharf nach Urin und Pinkelstein.
Mir ist flau im Magen. Ich habe seit dem Nachmittag nichts mehr gegessen und die Hitze, die seit Wochen die Stadt niederdrückt, tut ihr übriges. Ich ziehe mein verschwitztes Hemd aus und halte den Kopf unter den Wasserhahn. Das Wasser aus den alten Leitungen schmeckt nach Eisen, aber es bringt etwas Abkühlung. Mein klebriges Hemd will ich nicht wieder anziehen, ich werfe es über die Schulter und der Gedanke, mit freiem Oberkörper durch das Gebäude zu gehen erregt mich. Behutsam öffne ich die Tür zum Flur. Nichts regt sich. Ist es wirklich so einfach? Sich auf dem Klo zu verstecken und in der Nacht gehört das ganze Museum mir allein? Was ist mit Überwachungskameras? Mit Schall- oder Bewegungsmeldern? Vielleicht habe ich bereits Infrarotschranken durchbrochen, den stillen Alarm ausgelöst und es sind bereits Streifenwagen auf dem Weg hierher? Was sollte ich den Beamten sagen? Das ich zufällig auf dem Klo eingeschlafen bin? Unglaubwürdig. Die Wahrheit? Im besten Fall würde man mich als Verrückt einstufen.
Ich lausche, atme so flach wie möglich. Es bleibt ruhig, das Naturkundemuseum ist eben keine Bank. Dennoch gehe ich auf Zehenspitzen, drücke mich an den Wänden entlang, nutze geschickt die dunklen Nischen, verstecke mich hinter einer Marmorstatue. Caravaggio, der nackte Dieb aus dem Englischen Patienten kommt mir in den Sinn und unwillkürlich reibe ich mir die Daumenballen. Nur das Summen der Hydrometer ist zu hören, und so gebe ich alle Vorsicht auf und betrete wie ein regulärer Besucher den großen Ausstellungssaal.
Was tue ich hier eigentlich? Bin ich wahnsinnig? Ich beging gerade einen Einbruch, und niemand würde mir glauben, dass ich nicht die Absicht habe, etwas zu stehlen. Sondern? Ja, warum war ich eigentlich hier? Der unerträgliche Hitze am Nachmittag wollte ich in den dicken Mauern des Museums entgehen, doch auch hier war es kaum kühler gewesen. Das angekündigte Gewitter wollte sich nicht entladen, stattdessen strömte die schwüle Luft durch die maroden Fenster auch in die Ausstellungsräume. Lustlos schlenderte ich an den Exponaten vorbei, eine Sonderausstellung mit dem Titel „Mystisches Afrika – Kult und Eros“. Mäßig interessiert schaute ich mir die Speerspitzen und fellbespannten trommeln an, bis ich die große Halle betrat, in der ich auch jetzt wieder stehe.
In der Mitte des Raumes stehen die lebensgroßen Statuen von Horgo und Yamnaa, die Verkörperung von Kraft und Fruchtbarkeit, gehauen aus Ebenholz, das seinen süßen, schweren Duft im Raum verströmt. Das Mondlicht fällt durch die großen Oberlichter auf die beiden Götterbilder und hebt jede Kontur hervor, sodass sie wie lebendige Menschen erscheinen. Horgos muskulöser Körper strahlt Entschlossenheit aus, sein aufgerichteter Phallus ragt Yamnaa entgegen, die in einem extatischen Tanz die Arme in die Luft wirft. Sie ist voller Spannkraft, und gleichzeitig eine einzige fließende Bewegung. Magisch zieht mich ihre Erotik an, ich möchte ihre Brüste berühren, ihre vollen Lippen küssen, sie auf meiner Haut spüren.
„Lass den Unsinn“, sagt eine Stimme in mir, aber ich höre nicht auf sie. Langsam öffne ich den Gürtel meiner Hose, schlüpfe aus meinen Sachen bis ich nackt wie Horgo vor ihr stehe. Die Erregung ergreift mich, ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen, so wie vorhin, als ich zum ersten mal sah. Ich muss sie berühren, will meine Arme um sie schlingen, sie erobern. Horgos Kraft scheint in meinen Körper zu fließen, mein Schwanz richtet sich auf, zieht mich vorwärts zur schwarzen Göttin.
Mit den Fingerspitzen berühre ich das dunkle Holz, es fühlt sich warm an, ja beinahe lebendig. Mein Herz schlägt heftig, als ich die Arme um sie lege und meinen Oberkörper gegen ihren drücke. Ein Zittern fährt durch meinen Körper, eine Welle, die von ihr zu mir fließt. Ich drücke mich noch stärker an sie, umgreifen mit meinen Händen ihren rausgestreckten Hintern. Ich drücke mein Becken gegen das ihre, mein Penis berührt ihren Oberschenkel, gleitet zwischen ihre Beine, erspürt den fein gearbeiteten Eingang. Die Feuchtigkeit an meiner Schwanzspitze hat sich auf sie übertragen und nun dringe ich ein kleines Stückchen in sie ein. Es fühlte sich ganz weich an, gerade so, als wäre sie aus Fleisch und Blut. Dann dringe ich ein wenig tiefer ein, dann noch ein Stück.
Ein Gedanke kommt mir in den Sinn, was tue ich hie bloß? Das ist doch albern, eine Holzstatue zu vögeln. In diesem Moment spüre ich ihren Gegendruck. Wie eine saugende Welle, die mich in sie hineinzieht. Aber dann merke ich, dass ich mich nicht mehr bewegen kann, dass ich festhänge. Ich versuche mein Glied aus Yamnaa herauszuziehen, aber je stärker ich ziehe, desto schmerzhafter wird es.
In diesem Moment höre ich ein Geräusch, die Flügeltür vom großen Saal klappert. Ich halte, die Luft an, lausche. Ein Schatten löst sich von der Tür, das Geräusch bloßer Füße, die über Fliesen gehen, direkt auf die Skulpturen zu. Ich bin fast vollständig durch Yamnaa verborgen, kaum zu sehen, während vor mir im Mondlicht eine Frauengestalt sichtbar wird. Sie geht direkt auf Horgo zu, bleibt vor ihm stehen, betrachtet ihn, bemerkt mich gar nicht. Reglos verharre ich in meiner Position, voller Schamgefühle. Hoffentlich entdeckt sie mich nicht.
Mit wenigen Bewegungen streift sie ihr Kleid ab, steht nun ebenfalls nackt vor dem Götterbild. Ein leises Stöhnen entfährt ihr, als ihre Hände Horgos Körper berühren, sie drückt sich an ihn und ich kann sehen, wie sie ihre Hand um seinen Schwanz legt. Ihr Stöhnen wird lauter, sie reibt sich an ihm, umschlingt mit ihren Beinen das Ebenholz und ich sehe, wie sie sich auf seinen Schwanz sinken lässt.
„Vorsicht!“ sage ich in einer Vorausahnung, „tun sie das nicht!“ Die Frau erschrickt, und im selben Moment hört man ein hölzernes Klicken aus Horgos Inneren. Sie will sich von der Figur lösen, doch offensichtlich kann auch sie sich nicht mehr befreien.
„Wer ist da?“ fragt sie mit zitternder Stimme und dreht den Kopf über ihre Schulter in meine Richtung.
„Ein Museumsbesucher“ antworte ich. „In ähnlicher Situation wie sie.“ Einen Augenblick herrscht Schweigen. „Sie hängen auch fest?“ fragt sie schließlich.
„Peinlicherweise“ antworte ich. „Normalerweise tue ich so etwas nicht, es ist nur so dass...“
„Ich denke, da haben wir uns beide nichts vorzuwerfen“ unterbricht sie mich und fügt hinzu: „Und ich dachte schon, dass ich die Einzige bin, die auf solche Gedanken kommt. Tut irgendwie gut, nicht alleine zu sein.“
„Ja“, erwidere ich und versuche mich aus Yamnaas Schoß zu befreien, doch es ist zwecklos. Dabei ist das sonderbare, dass meine Erektion nicht im Mindesten nachlässt.
„Wie kommen wir den jetzt wieder los?“ fragt sie. „So langsam wird es etwas anstrengend.“
„Vielleicht hilft es, an völlig unerotische Dinge zu denken“ schlage ich vor. „Ich habe gelesen, dass der komplette Fischbestand vor der japanischen Küste verstrahlt ist.“
„Meine Großmutter hat Alzheimer“ sagt sie.
„Deutschland hat über zwei Billionen Euro Schulden.“
„Nächsten Monat muss das Auto zum TÜV.“ Ich sehe, dass sie versucht von Horgo loszukommen. „Ich hänge noch am Haken“ seufzt die Frau.
„Mhm, ich stecke auch noch in der Klemme“, grummle ich und höre ihr leises Lachen.
Eine Weile sagen wir nichts, jeder gefangen in seiner Position, in die uns unsere Leidenschaft gebracht hat und die unauflösbar scheint. Es ist immer noch drückend heiß, mein Schweiß zieht in Yamnaas hölzernen Körper ein und ein schwerer, erdiger Duft steigt von ihr auf, der meine Sinne benebelt.
„Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als bis zum Morgen zu warten und uns von den Wärtern befreien zu lassen“ sage ich in die Stille.
„Das wird der peinlichste Moment in meinem Leben“ sage sie. „Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: Frau vögelt Kunstwerk! Sind Männer wirklich so hölzern?“ Wir lachen, und eine tiefe Entspannung breitet sich in mir aus. Und obwohl sich mein Schwanz tatsächlich mit noch etwas mehr Blut gefüllt hat, habe ich plötzlich mehr Bewegungsfreiheit. Sollte es da einen Zusammenhang geben? Ich gehe dem nach, lege meinen Kopf an Yamnaas Schulter, lasse mich noch mehr an ihren Körper sinken. Das erregt mich, und gleichzeitig lässt der unangenehme Zug etwas nach. Offenbar spürt die Fremde gerade etwas ähnliches, sie stöhnt leise, was mich noch mehr erregt.
„Das ist gut“ flüstere ich zu ihr herüber. „Haben sie keine Hemmungen.“
„Ebenso“ erwidert sie, „geben sie mir ruhig das Gefühl, nicht allein zu sein.“ Nun lasse ich auch ein paar Töne zu, zugegeben, eher ein grunzen. Aber es scheint ihr zu gefallen, ich sehe wie sie ihr Becken bewegt, wie sich ihr heller Körper am dunklen Holz reibt. Ich lasse mich noch mehr sinken, genieße Yamnaas Körper, genieße den meinen, lasse meine Stimme aufsteigen, die in dem Saal hallt und sich mit ihrer Stimme vermischt. Und tatsächlich, mehr und mehr kann ich mich bewegen, habe mehr Freiraum.
Ich schließe die Augen, mein ganzer Körper ist in Erregung und ich habe das Gefühl, in Yamnaa einzusinken. Oder sinkt sie in mich ein? Noch nie habe ich mich so lebendig gefühlt, als wäre ich gerade aus einem starren Schlaf erwacht. Die Stimme der fremden Frau wird zu Yamnaas Stimme, sie verschmelzen miteinander. Ich lasse meiner Lust freien Lauf, die Halle ist erfüllt von unserem Keuchen und Stöhnen, der Schweiß läuft mir über den Körper, meine Brust bebt. Im Moment größter Ektase kracht das Gewitter los und entlädt sich prasselnd auf die Scheiben. Die Götterstatuen geben uns frei und erschöpft sinken wir uns auf den Boden in die Arme. Während der Regen draußen wütete, schlafe ich mit dem Gefühl ein, geschützt in einer Hütte inmitten der afrikanischen Steppe zu liegen.
Am nächsten Morgen erwache ich und sehe in die erstaunten Gesichter einer japanischen Reisegruppe. Ich liege noch immer nackt zu Horgo und Yamnaas Füßen, die Frau ist verschwunden. Aber anstatt aufzuspringen und meine Blöße zu bedecken stehe ich langsam auf und reckte mich, was ein Kichern bei den Japanerinnen auslöst. Dann ziehe ich mich langsam an, verabschiede mich mit aneinander gelegten Händen und einer Verbeugung von der Reisegruppe und verlasse unbehelligt das Museum. Die Luft riecht frisch und die Sonne strahlt am blauen Himmel.

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Beitragvon Zefira » 06.10.2012, 13:36

Wenn Du schreiben würdest "Ich erwache mit dem Kopf auf dem Spülkasten", dann wäre das gleich klar. Dann hast Du zwar nicht gleich im ersten Satz das Klo drin, so dass möglicherweise über zwei, drei Sätze die Ungewissheit bleibt, wo sich der Erzähler nun befindet, aber das wird ja schnell aufgelöst.
Ich denke, dann bräuchte es auch keine weitere logistische Aufklärung ;o)

Grüße von Zefira
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(Ikkyu Sojun)

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 14.03.2013, 10:11

Ich glaube nicht, dass jemand, der sich in der Toilette des Museums versteckt, einschlafen kann.

In der dargestellten Situation ist sehr unwahrscheinlich, Erregung zu spüren. Die Angst, jeden Moment entdeckt werden zu können, macht das unmöglich.

Ich dachte, der Autor erwacht dann von einem Traum, aber nein, er hat vorgezogen, sich von einer japanischen Reisegruppe wecken zu lassen.

Da ich ein alter Mann bin, lassen mich solche erotische Beschreibungen absolut kalt.

Die Geschichte finde ich sehr gut, sehr gekonnt geschrieben.

Vielleicht hätte ich sie sogar erotisch gefunden, wenn es nicht zu dem Geschlechtakt gekommen wäre.

Yorick

Beitragvon Yorick » 20.03.2013, 19:23

Hallo Klimperer,

ja, die japanische Reisegruppe bringt noch etwas Hentai-Gruppensex-Feeling in den Text. Nicht so explizit, sondern eher unter der harmlos scheinenden Oberfläche erregten Gekichers und nestelnder Bewegungen am Blusenkragen.
Kleiner Scherz.

Na, gerade der Nervenkitzel die Tabus und Verbote zu überschreiten kann doch ganz schön prickeln im Bauchnabel und darunter. Unmöglich? Im Krieg und im Sex ist alles möglich :)

Erotik als Asymtote hat natürlich auch ihren Reiz - möglicherweise ist das auch eine Frage des Alters. Aber gerade hier in der Gegenüberstellung von Hemmungen und dem symbolhaften, archetypischen soll es eher direkt sein, unmittelbar, saftig.

Wie sagte Woody Allen: Sex ist nur dann schmutzig, wenn er richtig gemacht wird.

Oder: Sex ist die Fortsetzung der Liebe mit anderen Mitteln ;)

Danke für deine Beschäftigung mit dem Text.

Grüße,
Yorick.


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