Ein Spaziergang

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klimperer

Beitragvon Klimperer » 04.03.2013, 17:14

Anstatt zu den Fischen und dann zu den Hasen, schiebt Emilio Magdas Rollstuhl zu dem Friedhof.
Er hat ihr Hut und Sonnenbrille aufgesetzt. Sie reagiert sehr empfindlich auf das Sommerlicht.
Der weiche Hut ist hellblau, Emilio weiß nicht genau, wo vorne und hinten ist. Er selbst trägt keinen Hut, er glaubt, er habe einen zu großen Kopf und kein Hut, keine Mütze würde ihm stehen. Das ist eines seiner Lebensprobleme. Er beneidet und bewundert Menschen, die einen Hut oder eine Mütze tragen können.
Wenn er vor dem Krieg in diesem Land gelebt hätte, hätte er wohl einen Hut getragen, einen Hut tragen müssen.
Ein großer, leerer Kopf.
Magda beschwert sich über die Beschaffenheit des Bürgersteigs, Emilio versucht, langsamer, vorsichtiger zu fahren. Nach zehn Minuten sind sie an der stark befahrenen Kreuzung, dort drückt er einen Schalter, damit die Ampel grünes Licht gibt. Auf der anderen Seite biegen sie nach links ab, vorbei an einem großen Blumengeschäft. Magda will wissen, wer in der letzten Zeit gestorben ist, Emilio liest ihr die Namen vor, die das Blumengeschäft in einem Kasten hinter Glas bekannt gibt. Nein, kein Name sagt ihr was.
Gleich sind sie am Eingang des Friedhofs, Emilio öffnet die eiserne Tür und schiebt den Rollstuhl hinein, macht die Tür hinter sich wieder zu.
Das Fahren auf dem Kies ist mühsam, Emilio hat Angst, der Rollstuhl könnte kaputt gehen. Dann wären er und Magda alleine da, mit einer Panne. Zum Glück hat er sein Handy bei sich. Sie fahren an Gräbern von Zigeunern vorbei, voll mit Blumen und kleinen Engeln und mit den Fotos der Verstorbenen.
Kurz danach, erreichen sie die Stelle, wo Ernst begraben liegt, die Urne mit seiner Asche. Es sind kleine Gräber, sieben in einer Reihe. Emilio kämpft sich mit dem Rollstuhl durch die zu engen Reihen.
Die Rosen sind nicht mehr schön, sagt Magda. Emilio holt sie heraus und bringt sie zum Blumenmüll. Anschließend leert er den Behälter, das Wasser könnte kaputt gehen. Er erinnert sich an das Blumenwasser im Friedhof von Guayaquil, die Warnung vor dem Dengue Fieber, vor dem Tod …
In einer anderen Reihe steht ein älterer Mann alleine vor einem Grab, Emilio versucht, den Namen am Grabstein zu lesen.
Ernst, Magdas Mann, liegt neben einem Herrn, der im selben Jahr starb. Seine Frau ist jetzt im selben Altenheim wie Magda. Sie sitzen jeden Tag zusammen an einem runden Tisch.
Emilio pflückt eine weiße Blüte vom Nachbargrab und steckt sie in seine Hosentasche.
Als sie kurz vor dem Ausgang stehen, sagt Magda, dass sie auch das Grab ihrer Schwester besuchen will. Sie dirigiert, vage. Am Ende finden sie das Grab nicht. Der Grabstein soll die Form einer Pyramide haben.
Vorbei am großen Grab eines Italieners, auch mit Foto auf dem er eine schicke Brille trägt. Er lächelt. Emilio liest den Namen, und den Spruch auf der Marmorplatte:
AMARTE E STATO FACILE, DIMENTICARTE IMPOSSIBILE
Dich zu lieben war einfach, dich zu vergessen unmöglich.
Was liest du da? fragt Magda.
Hier liegt ein Italiener, antwortet Emilio.
Das muss der Italiener vom Eissalon sein, sagt Magda.
Zuletzt geändert von Klimperer am 14.03.2013, 14:15, insgesamt 4-mal geändert.

Benutzeravatar
Hetti
Beiträge: 485
Registriert: 31.03.2011
Geschlecht:

Beitragvon Hetti » 06.03.2013, 20:47

Hallo Klimperer,

ich war sehr erfreut, einen Prosatext vorzufinden, als ich deinen Threat öffnete.

Jede Zeile, jeder Satz erzählt etwas. Ein ruhiger, gleichmäßiger Erzählton ist dir da gelungen. Ich habe den Text mehrmals gelesen (im Büro, nach wochenlanger irrer Schufterei nehme ich mir hier Freiheiten heraus!!!).

Viele Fragen sind offen. Aber das ist gerade interessant. In welchem Land hält Emilio sich denn auf? Wo benötigte man Kopfbedeckungen auf großen Köpfen? Nach welchem Krieg? Manchmal bin ich so ahnungslos. Wenigstens kann ich Guayaquil verorten. Was ist mit der Schwester, deren Grabplatz so selten aufgesucht wird? In welchem Verhältnis stehen Emilio und sein Schützling? Oder ist sie seine Dienstherrin? Vor allem aber, warum steckt Emilio die weiße Blume in die Hosentasche? Heimlich? Wer ist Magda? – Gab es ein Ereignis, dass ihr Mann und der Mann der Mitbewohnerin im gleichen Jahr gestorben sind?

„Emilio lehrt den Behälter, das Wasser könnte kaputt gehen“ das gefällt mir. Ich weiß so wenig von dir, mir fehlt der Kontext zu der Geschichte. Das ist schade. Heißt aber nicht, dass du mir Rede und Antwort stehen sollst.

Du schreibst sehr reizvoll. Gespickt mit einigen netten orthografische Ungenauigkeiten, ich weiß gar nicht, ob das Absicht ist. Aufgefallen sind mir z. B. Sommer Licht, das gefällt mir sehr gut, richtig wäre allerdings Sommerlicht. Oder ...“plügt“..ist womöglich falsch geschrieben? Üblicher Weise pflückt man Blumen, jedenfalls hierzulande.

Sehr gerne gelesen. Bin noch nicht fertig.

Viele Grüße
Dede

Benutzeravatar
Hetti
Beiträge: 485
Registriert: 31.03.2011
Geschlecht:

Beitragvon Hetti » 06.03.2013, 22:05

leert leert leert den Behälter (red face), LG

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 07.03.2013, 20:03

Lieber Klimperer,

auch ich mag deinen Schreibstil, vor allem ist er schön, weil er keinen Druck hat, dadurch wird jede Einzelheit zu der Art Einfachheit, die von Menschen erzählen kann wie von Vögeln. Als bräuchte man bloß sagen, dass sie in Bäumen sitzen und würde alles damit sprechen. Ich mag das sehr. Wie du die Protagonisten zusammenführst , ihre Gedanken und ihre Geschichten ist nahezu unschuldig.

Die Kommafehler und Vertipper (dazu zähle ich aufgrund der Art der anderen Fehler auch das Sommer Licht) finde ich eher nachteilig für den Text, kann dem keinen Eigenreiz abgewinnen. Aber wahrscheinlich ist dir das letztlich nicht wichtig genug und, nun ja, das ist eben ein Klimperer :-)


liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 08.03.2013, 09:58

Hallo Hetti,

vielen Dank für deine Rückmeldung und für das Interesse, dass du meiner kleinen Geschichte entgegen bringst.

Vielen Dank vor allen Dingen für deine Hinweise auf die Fehler, die ich gemacht habe, ich werde sie gleich beheben.

Vielleicht wirkt die Erzählung so mysteriös, weil sie ein Kapitelchen von einem Roman ist, den ich im Begriff bin zu schreiben. Nichts Großartiges, es ist eher eine Art Tagebuch.

Ich kann dir verraten, warum Emilio diese Blüte pflückt: er will sie der Nachbarin von Magda im Altenheim bringen ...

Viele liebe Grüße,

Carlos

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 08.03.2013, 10:07

Liebe Lisa,

doch doch, es ist mir unheimlich wichtig, ich bin wirklich sehr Dankbar für jede Korrektur. Ich gehöre zu den Menschen, die gerne fragen und sich erkundigen.

Vielen Dank für deine lobende Worte. Es gefällt mir, wie du meinen Schreibstil siehst. Ich würde dazu sagen, es ist auch im Stil des naiven, was eine noch vorhandene Eigenschaft meines Charakters ist.

Viele liebe Grüße,

Carlos


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 7 Gäste