GedankenGang

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Eule
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Beitragvon Eule » 24.10.2011, 01:04

GedankenGang

Seit einigen Jahren lebte er in einer Zeitblase, die schon öfters fast geplatzt wäre. Er konnte seinen Körper nur noch als schmerzhaftes Ziehen empfinden, die Gedanken als Punkte, Licht-, Farb- , Stoß- und Schreckpunkte. Würden die Schwankungen größer, die Luft weniger, die Ränder zu sehr gedehnt, wäre es vorbei, dann käme eine starke, massive Veränderung, wußte er. Vielleicht könnte er danach nur noch in einer Grundfarbe leben, ohne Worte, abgeschnitten von den anderen Menschenblasen, denen er noch gelegentlich begegnete, ohne Lachen, ohne Geruch.
Es wäre rasend laut, ein Einschlag, ein Umfallen, dann würde es Nacht, oder die Zeit würde sich verlangsamen, der Herzschlag flattern, die Atmung verflachen. Ob er unterschrieben hatte oder nicht, war ihm einerlei, er wußte nicht einmal den Namen des Ortes, an dem er lebte, oder die der Nachbarn. Er hatte es so gewollt, dachte er, es geschah mit einer unerbittlichen Folgerichtigkeit, an diesem Ort, den er suchte seit seiner Geburt, seit all den sinnlosen Versuchen, Fuß zu fassen, Freunde zu finden, eine Ausbildung zu beenden. Immer fehlte etwas, brach er ungeschriebene Regeln, schaffte noch nicht einmal das Grundlegendste. Er war ein Versager, ein Monster, aber er hatte es geschafft, er hatte ihn gefunden, hier wartete nun endlich sein Bruder, er war nach Hause gekommen, dachte er, hier auf der harten Pritsche mit den Armriemen.
Zuletzt geändert von Eule am 25.10.2011, 23:57, insgesamt 2-mal geändert.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Gerda

Beitragvon Gerda » 24.10.2011, 10:15

Liebe Eule,
ein poetischer Text, der mir fast zu schön erscheint um eine doch auch im Innersten grauenvolle Situatuion ziemlich konkret zu beschreiben. Aber vielleicht ist das von dir so gewollt, dass die Leser das Grauen überkommen soll. Wenn das der Fall sein sollte, so ist es dir, bei mir gelungen.
Interessanterweise kann ich mir nach mehrmaligem Lesen vorstellen, dass dein Protagoinist so empfindet, nachdem ich meine anfängliche "Abwehr"haltung überwunden hatte.
Eine Kleinigkeit: das Wort "wäre" im 2. Halbsatz Satz. Folgerichtig wäre im dritten Halbsatz hinter "konnte" ein "er" einzufügen. Besser fände ich es und weniger verwirrend, hinter "wäre" einen Punkt zu setzen und einen neuen Satz mit "Er konnte ..." zu beginnen.

Liebe Grüße
Gerda

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Eule
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Beitragvon Eule » 25.10.2011, 22:19

Hallo Gerda, danke für Deine Zeilen und den Korrekturvorschlag. Habe ihn gerne eingebaut. Der Text ist noch ein wenig sperrig, hängt etwas in der Schwebe, kann sich nicht ganz für Einzelheiten entscheiden.
Ein Klang zum Sprachspiel.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 02.11.2011, 14:37

Hallo Eule,

gewählt habe ich den Text ja schon ... hm, viel sagen kann ich dazu nicht, außer dass er mir genau in dieser poetischen Sperrigkeit gefällt, weil mir scheint, dass er dadurch etwas aufmacht, auf- und anrührt.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)


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