Fünfhundert

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RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 05.01.2011, 00:10

Fünfhundert

Vierhundertneunundneunzig Wörter noch. Alabaster. Dem Tod, der sich in mir eine Hütte baut. Perforationsstreifen. Lange Wörter, gebogene, Leistenwörter für die Kuppel, die ist aus Glas.

Weide. Docht. Stiel. Gedrungene, dichte Wörter für die Fugen. Nicht dass Regen eindränge.
Doch die Hütte des Todes ist trocken. Eine feine Hütte, langsam baut er, mit Geduld und liebevoller Hand, jede Dorne knipst er den Wörtern ab. Sie wächst – wächst in mich hinein.

Heizungsrippen. Ribbentrop, Brickendrop, die tägliche Morgendiplomatie, aber die Nasszelle ist defekt. Es kommen Spinnfäden statt Wasser, so ein Leben läuft nicht mehr ab. Ach, wie hat man sich verbogen. Wernigerode. Doch jetzt kommt der Tod mit den geraden Wörtern. Die richten auf, Brüder, zur Sonne, zur Freiheit. Grade muss es sein. Nicht dass sie einstürze.

Kubik. Doch die Hütten des Todes stürzen nicht ein.

Kanu. Katarakt. Frei fliegen die Gedanken, übermütig wie junge Amseln, nur oben sind schon die Fensterscheiben, die sehen sie nicht; und liegen, betäubt, jämmerlich auf der Herzterrasse und zappeln. „Hast du der Gaspara Stampa genügend gedacht?“. Aber ja doch, wohl habe ich, immerfort im Kreise, da liegt sie, mit gebrochenen Flügeln, das arme Vögelchen.

Die Nächte sind nun nach innen gestülpt. Radialsymmetrisch. Der Mond leuchtet aus den Eingeweiden sein blaues Röntgenlicht. Vielleicht, vielleicht, doch das gehört sich nicht, sowas sagt man nicht, ist auch die Sonne innen hohl? Ihr Heliumkleid nur ein Umhang, ein falsches Katzenfell? Thyrisolalanin.

Organelle. Kannst du ihn hören? Unten fuhrwerkt er rum, da hat er eine Schallung gebaut, gewaltig groß, fürs Fundament. Wir sehen schon, dass er gießen will, der Baustahl liegt, gründlich hat er vorgesorgt. So ist es, wenn der Tod Hütten baut, der baut von oben nach unten. Überdenk das mal, du da! Mich meint er, ausrechnen soll ich. Palimpsest.

Er aber, der Beelzebub, er macht inzwischen ein lustiges Feuer aus den Dornen, wenn es brennt wird es kalt, unsereinem, und er sitzt drin und spielt Käuzchen, hu-huu, aus der hohlen Hand. Wellental. Drei hin, vier im Sinn, wie ging es noch schnell? Aber mitten in der Rechnung kommt der Mischer rückwärts angefahren und das heißt, weit vor der Zeit, zur Seite treten.




Rechtschreibkorrekturen, danke Quoth!
Zuletzt geändert von RäuberKneißl am 11.01.2011, 21:33, insgesamt 2-mal geändert.

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 11.01.2011, 22:27

Hallo Quoth,

das Baustahl ist die bayerische Variante gewesen, ist korrigiert.
Die Worte bleiben, befürchte ich, deiner Argumentation nach 'sehr entbehrlich', auch wenn sie nicht fett sind. Ich war mit 'normalem' Druck gestartet, dann hatte ich kursiv, was ich noch irritierender fand; gemäß dem alten Händlermotto "if you're in trouble: double" landete ich beim Fettdruck.
Dass die Wörter und der Verlust der menschlichen Fähigkeit, ihnen Bedeutung zu geben, Thema ist, wird im Text schon von Anfang an mitgeteilt ("Gedrungene, dichte Wörter für die Fugen." usw.), sie werden zu Baustoffen, die Lücken, Fugen schließen, sie werden missbraucht als Dicht- und Füllmaterial. Ich hoffe nicht, den Eindruck erweckt zu haben, ich würde Deutungsversuche belächeln, das liegt mir fern.
Bei "Ausrechnen" hatte ich die Statik vor Augen, bis unten ist aus dem anfänglichen filigranen Glasdach (die Diagnose), die sich als Scheibe vor die Zukunft stellt, über den Umgang mit dem kranken Körper (die "Morgendiplomatie"), die regelmäßige, strikte Therapie als den geraden "Wänden" mit den darin verborgenen Einsamkeiten, ein verzweigtes Riesenfundament geworden, das Finalstadium, ein Bau wider alle Rationalität.
Also nicht die Zahl der Wörter.
Schlingensiefs 'So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!' war nicht Vorlage, aber vielleicht könnte das Buch das 'Verständnis' erleichtern, wenn man die Abläufe nicht aus dem eigenen Umfeld kennt, lesenswert ist es natürlich für sich, nicht um meines Versuchs willen.
Schöne Grüße
Franz


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