Schwarzes Licht

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 01.11.2008, 11:04

Der Wind weht Sterne herbei und spaltet mein Haar. Ich suche die Begegnung mit diesen ANDEREN Menschen, den Menschen, die Nachtgesichter tragen.
Ich kenne ihre Geschichten und ihre Ausreden.
Tagsüber bauen sie ebenso wie die Schläfer der Nacht ihre Paläste und sind Könige, doch in der Dunkelheit beginnt IHR wirkliches Spiel.

Wenn sie sich das Salz zuspielen setzen sie ihre Larven auf, dann runzelt sich keine Stirn mehr an den Tischen auf denen sich Jetons stapeln. Im leisen Surren der Kugel schuldenfrei zu werden, ihre Hoffnung die sich in Karten blauäugig spiegelt, lässt sie wie Perlen aufgereiht am Strumpfband der Nacht ausharren und doch werden sie erschlagen von einem einzigen Wimpernschlag.

Sie werden wieder kommen, wie jede Nacht, die Jugend grell aufgetragen, während ihnen das zu eng gewordene Mieder die Röte auf die Wangen treibt.
Sie wissen wie viel Schmerz sich hinter einem Lachen versteckt.
Die Schönheit erklärt man nicht, man empfindet sie (Peter Rosegger).

Niko

Beitragvon Niko » 01.11.2008, 11:20

Im leisen Surren der Kugel schuldenfrei zu werden, ihre Hoffnung die sich in Karten blauäugig spiegelt, lässt sie wie Perlen aufgereiht am Strumpfband der Nacht ausharren und doch werden sie erschlagen von einem einzigen Wimpernschlag.

Sie werden wieder kommen, wie jede Nacht, die Jugend grell aufgetragen,

für mich der absolut stärkste passus, alma-marie!
beim ersten satz frage ich mich, ob er sein muss. wie ich überhaupt den einstieg als nicht vollends gelungen ansehe. gemessen an dem zitierten fällt es ab. spannungsmäßig ist das ok, aber ich finde, das wäre stilistisch noch verfeinerbar. auch den schlusssatz fände ich anders formuliert eingepasster. vielleicht langt schon ein verbindendes "und" anstelle eines neuen satzes.
ändert aber nichts daran, dass ich den text insgesamt sehr gelungen finde. eine gute millieu-studie!
lieben gruß: Niko
Nachtrag: dies hier.......

"Ich kenne ihre Geschichten und ihre Ausreden. Ich suche sie. Menschen, die Nachtgesichter tragen, die tagsüber ebenso wie die Schläfer der Nacht ihre Paläste bauen und Könige sind. Doch in der Dunkelheit beginnt ihr wirkliches Spiel."

fände ich FÜR MICH als einstieg gelungener.
nur so als anregung und vorstellung für dich von dem, was ich meine.
Zuletzt geändert von Niko am 01.11.2008, 11:27, insgesamt 1-mal geändert.

Oldy

Beitragvon Oldy » 01.11.2008, 11:25

Hallo,

gefällt mir außerordentlich gut. Ich würde nur den ersten Satz ganz weglassen, der erklärt sich im Text von selbst.
Die Nachtgesichter (das Wort an sich, es ist sehr treffend) würde ich woanders einbauen, vielleicht ganz am Ende. Vielleicht...

Die Nachtgesichter werden wieder kommen, wie jede Nacht, die Jugend grell aufgetragen, während ihnen das zu eng gewordene Mieder die Röte auf die Wangen treibt.

lg
Uwe

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 01.11.2008, 22:57

Alma,

ich schließe mich wieder dem Lob an - deine Texte lesen sich wirklich fein. Ich mag den Mut zur Kürze, zum feinen "Spotlight"

Allerdings würde ich unbedingt die "ANDEREn" etc. nicht so visuell hervorheben - den Fokus bemerkt man durch deinen Rhythmus und deine Umsetzung des Themas doch auch so (und das sollte man auch), so wirkt es etwas übermarkiert.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Yorick

Beitragvon Yorick » 02.11.2008, 23:18

Wie wirkt der Text auf mich? Voll draufgehalten, dick geschminkt, nichts ausgelassen. Kreaturen der Nacht. Larven. Spieler. Fett aufgetragen. Action Painting. Strumpfband der Nacht. Schattenwesen vs. Schläfer. Krass überzeichnet mit gängigen Bildern.

Das Spiel? Es geht mit Sicherheit nicht um Geld. Leidenschaften. Sehnsüchte. Verborgene Obzessionen, die durch die Verborgenheit an scheinbarer Tiefe gewinnen sollen. Das ganze Spiel also ein Spiel um Eitelkeiten, um der unbefriedigten Sehnsucht einen sakralen Schimmer zu verleihen. Eine nächtliche Wiedergeburt jenseits des erstickten Lebenswunsches im Sonnenlicht, in theaterdonnernder Gefährlichkeit und selbstgefälliger Verleugnung.

Und weil alles so fett dargestellt ist, alles maßlos plakativ daher kommt, wirkt es so unecht, aufgesetzt und pervertiert wie die Figuren im Text selbst. Die dunkle Seite der Leidenschaft in müffeldem Tüll. Falsche Träume als schale Maskerade.

Ein gewagtes Textexperiment. Mehr für den Kopf als für das Herz. Bösartig.
So könnte es funktionieren.

Grüße,
Y.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 03.11.2008, 00:13

Hallo Alma Marie,

dieses "böse Licht", das du auf die Nachtgesichter wirfst, finde ich gelungen. Es entlarvt, entblößt, sticht mitten in die Wunden. Eine düstere und beklemmende Studie. Auch den Titel finde ich sehr gut gewählt.
Saludos
Mucki

Sam

Beitragvon Sam » 03.11.2008, 10:25

Der Text läßt mich an Kubriks "Eyes wide shut" denken und damit auch an Schnitzlers Traumnovelle – auch wenn es nur eine Assoziation ist, die einen weiten Weg hinter sich hat.

Für mich ist es auf alle Fälle ein Traumtext. Schon der erste Satz, und eigentlich auch der Titel, weisen darauf hin. Wenn es denn eine „Milieustudie“ ist, wie Niko meint, dann eine vom inneren Milieu des Träumenden.

Die Menschen der Nacht, die ANDEREN, die Nachtgesichter tragen, sind nichts anderes, als im Traum bildgewordene Splitter des ICH. Und in jedem dieser Splitter spiegeln sich die Ängste, die Sehnsüchte und - die Schuldgefühle.
Und jenes Spiel, das sie maskiert spielen, ist keines, um etwas zu gewinnen, sondern um etwas loszuwerden. Und zwar ihre Schuld. Das ist nicht nur ein ein ummögliches, sondern auch ein sehr fragiles Unterfangen, denn schon ein Wimpernschlag des Träumenden (das Aufwachen) kann das Spiel beenden und sie dazu zwingen, in der nächsten Nacht von vorne zu beginnen.
Dem Ganzen zugrunde liegt der, mehr oder weniger in jedem vorhandene, Wunsch nach Jugend. Die Gründe dafür können sehr vielffältig sein. Hier erscheint es mir, die Ursache ist darin zu suchen, dass der Träumende sich wünscht, die Zeit zurückzudrehen, um gewisse Dinge ungeschehen zu machen, sich anders zu entscheiden, anders zu handeln, um dem Leben einen anderen, besseren, schuldenfreieren Verlauf zu geben.

Eine weitere Ebene wird durch die Erzählperspektive angedeutet, die ja nicht nur eine rein betrachtende ist, sondern auch eine ansatzweise analytische. Jene zwei Sätze...

Ich kenne ihre Geschichten und ihre Ausreden.

und
Sie wissen wie viel Schmerz sich hinter einem Lachen versteckt.


..lassen einen Erzähler erkennen, der sich der Traumhaftigkeit der Bilder bewusst ist, der ihren Bezug zu sich selber zu verstehen sucht. Vielleicht mehr noch - schon erkannt hat. Warum sollte er sonst die Begegnung suchen, wie es im zweiten Satz heißt? Aus dem unsinnigen, unmöglichen und verzweifelten Versuch heraus, die Zeit zurückzudrehen? Das gelingt ja nur im Traum. Aber als ob dieser um jene Unmöglichkeit wüsste, erfüllt er den Wunsch auf perfide Weise in einer Mischung aus schmerzvollen Erkennen und furchteinflößend lächelnder Maskerade. In einem Spiel, das nicht zu gewinnen ist und dafür immer wieder gespielt werden muss.


Liebe Grüße

Sam

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 26.09.2010, 18:34

Späten Dank an Euch. Ich freue mich über diese große Resonanz. Obwohl mein Text mit Metaphern gespickt ist, stehe ich sozusagen nackt da. Die Kommentare beweisen mir, daß mir kaum ein Geheimnis mehr blieb.
@Yorick
Ja, diese grelle Überzeichnung, darauf kam es mir an. Deshalb auch diese Hervorhebung der ANDEREN, die andere Seite eines Menschen, die Maßlose.
Der Text mußte deshalb auch kurz sein, denn längere Texte in diesem Stil verlieren meiner Meinung nach ihre Kraft.

Herzlich grüßt alle

Alma Marie
Die Schönheit erklärt man nicht, man empfindet sie (Peter Rosegger).


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