Die Hände frei haben

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Louisa

Beitragvon Louisa » 19.08.2010, 01:45

(Hallo! Ich hoffe der Geschichten-Teil ist jetzt nicht zu lang geworden... ich kann sie bei Bedarf auch noch einmal in Häppchen servieren! Viel Spaß!)


Kleiner Prolog:

Als ich fünf Jahre alt war stand mein großer Bruder oft auf der roten Ledercouch unseres gemeinsamen Zimmers. Er fuchtelte mit einem Plastiksebel umher und aus der Handöffnung seines Pullovers ragte eine Gabel. Ich stand ihm gegenüber auf dem Bett und griff ihn mit einer leeren Smarties-Röhre aus Pappe an. Zwischen uns auf dem Fußboden lag ein Plüsch-Krokodil. Wir spielten Peter Pan und Captain Hook. Es war wohl das einzige Spiel, auf das wir uns je einigen konnten und seitdem fand ich Piraten schön, weil sie wie mein Bruder sind.

-1-

Sarah und ich sitzen auf der Terrasse einer Bar in Charlottenburg. Jeder der Gäste starrt auf einen Breitbildfernseher auf dem die deutsche Fußballmannschaft gerade gegen die englische gewinnt. Ich schaue mir die Männer in der Bar an. Plump sehen sie aus. Diese Berliner Männergesichter! Wie schön doch die Spanier im Urlaub waren mit ihrem süßen Akzent! Oder die Australier mit ihren breiten Kreuzen und verwuschelten Haaren! Plump und öde sehen diese Gesichter hier aus - bis auf eines! Ich beobachte einen Mann mit dunklem Jackett, einem weit aufgeknöpftem weißen Hemd und etwas längeren schwarzen Haaren. Er ist der einzige, der sich in dieser Bar unterhält ohne dabei pausenlos auf den Fernseher zu starren. Ohne meine Blicke von ihm zu lösen tippe ich Sarah apathisch von der Seite an und flüstere in unserem Gewohnheits-Englisch: "Sarah, there is a sexy Person! Sarah? You see this sexy person? Hello?"
"Kannst du mal eine Minute lang still sein! Ich will jetzt das Spiel sehen!"
Ich versuche die Hände des Mannes zu sehen, um herauszufinden, ob er einen Ehering trägt. Das Auffinden dieses kleinen Details erspart einem nämlich viele Unannehmlichkeiten wie ich bereits feststellen musste. Ich spähe neugierig herüber, kann seine Hände aber nicht sehen.
"Sarah, Oh my god! Look at this person!"

Ich traue meinen Augen nicht, denn als der Mann, von dem ich spreche, seine Zigarettenschachtel vom Tisch nimmt und sich eine Zigarette anzündet, sehe ich, dass er an Stelle von zwei Händen zwei Haken hat. Ich flüstere benommen: "Captain Hook!"
"Sarah..." sage ich wieder und beginne zu kichern vor lauter Überraschung.
"Was ist denn los, baby?"
"Der Mann da, der Mann, den ich toll finde, der hat da - der hat so was wie -" ich lache wieder.
"Was ist denn los mit dir?"
"Captain Hook." flüstere ich und halte mir die Hand vor den Mund und starre sie mit großen Augen an.
"Was? Du spinnst wohl wieder!"
"Nein! Da ist ein Mann und eben dachte ich: Der sieht aber toll aus! Aber an Stelle von Händen - hat er solche Haken! Wie Captain Hook! Guck doch mal!"
"Ich glotze da doch nicht hin!"
"Wie Captain Hook!" ich kichere vor mich hin und weiß selbst nicht so genau wie ich das eigentlich bewerten soll.
"Oh mein Gott, du bist total durchgeknallt!"

Der Mann ohne Hände hat von alledem nichts bemerkt. Er hält die glimmende Zigarette zwischen einer seiner Scheren und pustet den Rauch aus. "Wie selbstbewusst der da sitzt." denke ich. Der Mann legt die Zigarette am Aschenbecher ab und nimmt mit beiden Haken sein Weißweinglas, setzt es geschwind an die Lippen und trinkt. Zwischendurch unterhält er sich angeregt mit seinen zwei Begleitern. Sie lachen.
"Wie Captain Hook. Sarah, hast du sowas schon mal gesehen?"
"Talk to my hand!" Sarah lächelt und streckt mir ihre Hand entgegen. Ich spiele eine leichte Empörung.
"Yes! Maybe it´s better to talk with your hand! Maybe your hand is more intelligent than you!"
"Maybe - talk with my hand!"

-2-

Zwei Wochen später sitze ich an der Bar des Golfclubs, in dem Sarah arbeitet. Wir unterhalten uns dort, um unsere Telefonrechnungen zu schonen.
"Und, wie war es auf der Hochzeit?" frage ich und füge wie immer hinzu: "Ich war ja noch nie auf einer Hochzeit! Dabei finde ich Hochzeiten so romantisch! Ich möchte auch einmal heiraten! Der Polterabend, die Feier, die Gäste, die Ringe, das Essen, die Kleider! Toll!"
"Wie ausgerechnet du so etwas toll finden kannst werde ich nie begreifen... Aber vielleicht kann ich dir ja dabei helfen - bei deiner Heirat, haha... Ich habe da nämlich so etwas - gemacht, hihi..."
"Wie bitte?"
"Also, auf der Hochzeit - da war so ein Mann und als ich ihn gesehen habe, da habe ich immer nur gedacht: Mensch, der würde dir gefallen! Der würde dir gefallen! Weißt du, er hatte diesen charaktervollen und doch weichen Gesichtsausdruck, dunkles Haar, blaue Augen! Jedenfalls habe ich eine Flasche Weißwein getrunken, bin zu ihm gegangen und habe ihm gesagt, das ich eine Freundin habe...haha...."
"Was? Wie heißt er denn? Jetzt fängst du schon an zu kuppeln!"
"Gero heißt er. Der ist wirklich toll, Isa! Es gibt da nur einen kleinen - ja, einen kleinen Haken!"
"Er ist verheiratet?"
"Nein."
"Er ist schwul?"
"Nein."
"Er ist wahnsinnig?"
"Ich hoffe nicht, nein - er ist unglaublich souverän, hilfsbereit, sexy - aber er hat keine Hände!"
"Keine Hände?"
"Nein, er hat stattdessen zwei Haken - wie Captain Hook!"
"Hey, hatte er ein bisschen längeres Haar, das knapp über die Ohren ging?"
"Ja!?"
"Hat er geraucht?"
"Ja, kennst du den etwa?"
"Nein, aber den wollte ich dir einmal zeigen! Ich glaube ich habe ihn einmal im Gainsbourg gesehen, aber du hast mir nicht zugehört!"
"Wirklich? Das ist ja total verrückt - ich meine, wenn der das tatsächlich ist!"
"Sarah, wie viele attraktive Männer mit zwei Haken an Stelle von Händen gibt es wohl in dieser Stadt? Ich kenne jetzt nicht besonders viele."
"Das stimmt. Triffst du ihn bitte einmal! Ich wette, dass er dir gefällt! Er geht unglaublich souverän und sexy mit dieser Haken-Geschichte um! Mich hat das am Ende gar nicht mehr gestört! Also, der ist so was von toll... Du musst den unbedingt mal daten! Ja? Machst du das?"
"Wie ist denn das passiert mit seinen Händen, hat er das erzählt?"
"Ja, das war total krass. Der hat mit 16 mit Feuerwerkskörpern experimentiert und das ist wohl schief gegangen."
"Oh...und woher weißt du, dass ich den genauso toll finde wie du?"
"Ja, dafür kann ich nicht die Hand ins Feuer legen."

-3-

Mein Handy piept, ich öffne eine neue SMS:
"Hallo Isabella. Hier ist Gero. Auf einer Hochzeit hat mir Sarah deine Telefonnummer gegeben und gemeint, dass wir uns treffen müssen. Findest du diese Idee gut? Ich ja! Liebe Grüße, Gero."
"Anscheinend kann er SMS-Nachrichten schreiben!" meine ich und bestaune die Nachricht. Die einzelnen Buchstaben und Worte erscheinen mir plötzlich in diesem Zusammenhang wie Wunderwerke der Menschheit. Ich bewundere die Selbstverständlichkeit dieser Worte. Wie selbstverständlich das da alles steht! Wie selbstverständlich! Und wieso antworte ich darauf nicht einfach - wie selbstverständlich?
"Hallo Gero! Ja, das hat mir Sarah auch erzählt. Ich freue mich über deine Nachricht und würde dich gerne treffen. Was hälst du denn von Samstag, im Terzo Mundo am Savignyplatz?" Einen Augenblick später piept mein Handy erneut.
"Super! Sagen wir um 20 Uhr? Bis dann! Gero."
"Super." flüstere ich und füge hinzu: "SMS kann er damit schreiben. Abgefahren."

-4-

Um 19.50 sitze ich am S-Bahnhof und rauche eine Zigarette. Eine leichte Nervosität steigt in mir auf als ich mich beginne zu fragen: "Und wie werde ich ihm gleich die Hand geben? Nehme ich dann einfach diesen Haken in die Hand? Macht man das so?" Ich frage eine feine Freundin. Sie antwortet: "Du gibst doch sowieso nie die Hand!"
Stimmt! Eigentlich gibt man sich zu solch einem Anlass auch nicht die Hand. Vorsichtig stöckle ich in meinem lila Kleid (Sarah: "Zieh das an! Darin sehen deine Titten so schön aus!") - in Richtung des Restaurants.
An einem Holztisch unter einer Markise sitzt ein schöner Mann in den Vierzigern im beigen Leinenanzug und weißem Hemd. Seine Haare sind kürzer als die des Mannes aus meiner Erinnerung und bei diesem ein wenig gegeelt. Da ich mir nicht ganz sicher bin, ob das tatsächlich "Gero" ist, sucht mein Blick nach seinen Händen. Tatsächlich erblicke ich auf der linken Seite einen Stumpf, auf der rechten Seite den bekannten Haken an Stelle von Händen. Ich lächle und rufe: "Hallo!". Der Mann steht auf und will mir den Haken geben, ich umarme ihn und gebe ihm zwei unbeholfene Wangenküsse. "Begrüßung überstanden." denke ich noch etwas verwirrt.
"Möchtest du hier draußen bleiben? Wir können uns auch herein setzen!"
"Oh nein, hier draußen ist es auch sehr schön! Sehr schön! Sitzt du schon lange hier?"
Ich krame in meiner riesigen Handtasche nach den Zigaretten. Als ich sie endlich gefunden habe und eine zum Mund führe fragt der Mann ohne Hände: "Darf ich dir Feuer geben?"
"Oh ja, danke!" murmle ich gedankenlos vor mich hin und beobachte dabei sicherlich mit weit aufgerissenen Augen wie der Haken an Geros rechtem Arm sich leicht öffnet, ein Feuerzeug einklemmt und der Stumpf auf der anderen Seite auf den Auslöser presst. Ich bin vollkommen fasziniert davon, traue mich aber nicht es zu sagen. Mir erscheint das ganze wie ein Kunststück - dabei muss es für ihn ja vollkommen bedeutungslos sein - schließlich gibt er sich seit sicherlich zwanzig Jahren auf diese Art und Weise Feuer.
"Dankeschön!"

-5-

Ein dicklicher Grieche kommt herbei und reicht uns die Speisekarten.
"Was möchtest du denn trinken?" fragt er, nimmt die Seiten der Speisekarte mit seinem Haken und blättert sie durch bis er bei den Weinen angelangt ist.
"Oh, vielleicht einen Rotwein. Magst du keinen Rotwein?"
"Doch, ich bin auf einem Weingut großgeworden. Mein Vater ist Landwirt und Winzer, ich sollte den Betrieb übernehmen, aber du siehst ja - es hat nicht geklappt!" Er lächelt.
"Aber dann kennst du dich aus mit Weinen?"
"Ja."
"Und welchen sollte man trinken? Was hier alles steht: Ein trockener Rotwein mit leichtem Plfaumenbuket, aromatisch-würzigem Lebkuchen-Aroma, ein Hauch von verbrannter Erde mit weichen Tanninstoffen. - Was bedeutet denn das? Ist das gut?"
"Ja, das sind Gerbstoffe - wenn der Wein spät gelesen wird schmecken sie gut! Sie könnten auch Gerbstoffe schreiben, aber das klingt ein bisschen ekelhaft." Ich lächle und bestelle den Tannin-Wein. Als ich kurz darauf einen größeren Schluck nehme frage ich:
"Und du möchtest nichts trinken?"
"Oh, ich weiß noch nicht - später bestimmt! Aber ich habe hier mein Auto stehen - und du weißt ja, wenn mich dann die Polizei erwischt: Behinderter besoffen am Steuer - da ist der Schein sofort weg!"
Wir lachen. Ich räuspere mich und beginne meinem Staunen Worte zu geben:
"Also, ich finde das - sag mal, wieso - wieso hast du - wieso hast du diesen Haken? Es gibt doch bestimmt auch -ähem- andere Prothesen oder so, nicht?" Ich nehme einen weiteren Schluck Rotwein zu mir. Gero lächelt.
"Mein Spitzname ist ja auch Captain Hook!"
Ich weiß nicht, was er hätte noch befreienderes zu mir sagen können und langsam komme ich mir ein wenig behindert vor mit meiner Unsicherheit.
"Nein, ich weiß, es soll solche hübschen Hände geben aus Silikon, aber als ich das das erste Mal ausprobiert habe ist es mir weitaus schwieriger gefallen als diese Kralle hier und außerdem musst du die alle 3 Monate wechseln, weil sie so schnell kaputt gehen. Selbst der Haken hier gibt ja dauernd den Geist auf, aber ich kann ihn über die Schultermuskulatur bedienen, siehst du, hier habe ich so eine Art Weste und damit kann ich das steuern. Auf - und zu. Auf - und zu. Das Ding ist uralt - das kann man hier eigentlich gar nicht mehr kaufen. Ich habe es in Amerika bestellt. Es erinnert mich immer ein bisschen an die eiserne Hand von Götz von Berlichingen, kennst du den? Das war so ein Ritter."
"Ja, von Goethe... Captain Hook gefällt mir besser."

Als mein gebratener Oktopus und seine frittierten Tintenfischringe serviert werden sind wir mit unserer Konversation gerade in Thailand angekommen. Ich habe stolz und übermütig von meinen einzigartigen Insel-Reisen berichtet als wäre ich eine Weltumseglerin, um kurz darauf zu erfahren, dass Gero auf selbigen Inseln 5 Jahre gelebt hat als es dort noch nicht so viele Touristen wie mich gab.
"Und dann haben ich und ein Freund ein altes chinesisches Schiff auf dem Meeresgrund gefunden und es mit Luftkissen nach oben geholt! Es war wirklich wunderschön - mit tollen Schnitzereien! Wie ein kleines Piratenschiff! Damit sind wir dann oft zum Fischen hinaus gesegelt!"
"Sogar ein Piratenschiff hat er." denke ich fasziniert und kaue an meinen Tentakeln.
(Auf einmal sind unsere Teller leer und irgendwie muss er sein Gericht auch gegessen haben, aber es ist mir tatsächlich nicht einmal mehr aufgefallen wie er das eigentlich gemacht hat.)

-6-

"Sarah hat gesagt, du wolltest damals mit Feuerwerkskörpern hantieren? Ich meine als das passiert ist mit deinen Händen!"
"Ja, das ist eine komische Geschichte! Mein Vater hatte eine Schwester, die so gerne Kinder gehabt hätte, aber keine bekommen konnte. Er selbst hatte mich und meine zwei Geschwister. Jedenfalls hat er dann entschieden, dass sie mich ja der Tante abgeben könnten - da war ich noch sehr klein. Mit dieser Tante habe ich mich aber nie gut verstanden, weshalb sie mich wieder zu meinen Eltern geschickt hat nach ein paar Jahren. Ich kam mir dann nie richtig wertgeschätzt vor in meiner Familie und habe immer versucht mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung von meinem Vater zu erlangen, aber es hat nie richtig geklappt. Eines Tages dachte ich: Vielleicht würde es ihn ja erstaunen, wenn ich selbst große Feuerwerkskörper baue und ein schönes Feuerwerk steigen lassen könnte. Ich bin dann in einen leeren Stall gegangen und habe eine Dose mit Sprengstoff geöffnet, ganz vorsichtig und langsam natürlich - nun, die Vorsicht und die Langsamkeit haben aber nicht geholfen, denn plötzlich sah ich nur noch ein grelles Licht und hörte einen lauten Knall. Dann spürte ich einen heißen Schmerz an den Händen, hörte meine Familie und die Nachbarn herbeieilen... Wenig später lag ich auf einem Tisch in der Küche und auf meine Hände hatte die Nachbarin ein großes weißes Handtuch gelegt. Ich weiß nur, dass ich immer nur gefragt habe: "Habe ich mir die Hände verbrannt? Habe ich mir die Hände verbrannt? Was ist denn mit meinen Händen?" und die Nachbarin hat immer wieder geantwortet: "Ich weiß es nicht, da liegt ein Handtuch drüber. Ich weiß es nicht, da liegt ein Handtuch drüber." und natürlich meinte ich dann zu ihr: "Dann nimm doch das Handtuch weg!" und sie sagte dauernd: "Das kann ich nicht!" - was ich gar nicht verstehen konnte. Dann hörte ich einen Hubschrauber und wurde bewusstlos. Als ich wieder aufwachte lag ich in einem Bett im Krankenhaus und meine Hände waren eingegipst - das heißt, ich habe gespürt, dass der Gips am Ende meiner Arme innen hohl war... Neben dem Bett saß eine Psychologin, die mir das wohl erklären wollte, aber auch die habe ich irgendwann nur noch gefragt: "Wieso ist denn der Gips länger als mein Arm?" Naja, irgendwann ist sie dann mit der Sprache herausgerückt..."
"Mein Gott, das ist ja eine Geschichte... und wie hast du das alles gelernt? Ich meine, kannst du auch irgendetwas nicht tun mit diesem Haken?"
"Ich kann nicht Klavier spielen, nicht fechten und keine Schleife binden."
"Ich kann auch keine Schleife binden. Wirklich nicht." meine ich erfreut.

-7-

„Ich kann leider nichts mehr trinken, du weißt ja, das Auto!“
„Ach, papperlapapp! Das Auto! Es gibt hier wunderbare Bahn-Verbindungen! Wo wohnst du eigentlich?“ frage ich erfreut und nippe an meinem zweiten Glas.
„Also, ich weiß ja nicht-“
„Wein soll ja sehr gesund sein!“
„Du bist ja raffiniert! Ein Glas soll gesund sein! Das ist jetzt das wievielte? Das dritte?“
„Wirkt es so wie mein drittes? Es ist das zweite! Wir können ja auch in eine andere Bar gehen, wo der Wein besser schmeckt! Ja?“
„Haha…na gut, ja.“

-

Es ist 1 Uhr nachts geworden. Wir sitzen in einer Cocktailbar und ich habe in den letzten 5 Stunden alle Fragen zu Geros fehlenden Händen gestellt, die man sich vorstellen kann. Ich betaste neugierig seinen Haken, der auf dem kleinen Bistro-Tisch liegt. Plötzlich öffnet er die zwei Metall-Teile und klemmt meinen Finger leicht ein. Ich quieke vergnügt vor mich hin.
„Dieses Lokal hier ist auch so ein Puff. Guck dir zum Beispiel mal diesen Mann da an.“
„Hast du mich nicht hier zum ersten Mal gesehen?“
„Ja, deshalb weiß ich auch nicht, ob man dir trauen kann! Also, guck doch mal, dieser Mann da hinten!“
Wir drehen uns um und beobachten einen recht gutaussehenden Mann Mitte 40, der mit schnellen Schritten in das Lokal läuft. Ein Bier bestellt, sich genau im Raum umsieht, seine Flasche in einem Zug leert – und wieder verschwindet.
„Hast du das gesehen? Die Männer kommen hier herein, sehen sich nach Frischfleisch um – und dann gehen sie wieder. Findest du das normal?“
Gero lacht. Selbst sein Lachen hat etwas von einem Piraten so rau klingt es.
Er erzählt mir von chinesischer Medizin, thailändischen Gewürzen und beantwortet ab und zu weitere kurz aufkeimende Fragen über die fehlenden Hände („Moment mal, du kannst Motorrad fahren?“).
„Und wie alt schätzt du mich?“
„Mm….ich weiß nicht so genau – 45?“
„Fast! 46!“
„Und wie alt schätzt du mich?“ ich lächle und denke dabei einen meiner gestörtesten Sätze an diesem Abend: „Endlich mal jemand unter 50, den du interessant findest!“
„Na ja… 22?“
„Ja, genau! Das hast du aber toll-
„Ich wusste es schon von Sarah… Die hat mich nämlich zuerst angelogen! Sie hat gesagt du bist 25! Dann habe ich sie noch einmal später darauf angesprochen und da hat sie sich verplappert, haha!“
„22, 25 – Hauptsache gut aussehend!“ ich kichere vor mich hin und sehe einen älteren Bekannten mit Glatze ins Lokal schlendern. Es ist einer jener „Medien-Profis“, die bei diversen Fernsehsendern und Galas immer ganz cool aussehen oder andere Menschen neben sich cool aussehen lassen.
„Hallo Steve!“ rufe ich dem Mann, der eigentlich Stephan heißt, entgegen. Er tritt an unseren Tisch heran und begrüßt mich in seiner lakonischen trüben Tonlage.
„Und wen hast du da mitgebra-“ Gero reicht ihm den Haken. Vollkommen verstört und panisch nimmt Steve den Haken in die Hand, keucht: „Entschuldigung“ und verschwindet auf der Toilette. Ich lache.
„Siehst du, so ist das!“ meint Gero.
„Das ist doch lustig! Das war nämlich so ein Typ – der denkt auch er ist der allergrößte – aber es reicht schon ein kleiner Haken, damit er sein Gesicht verliert! Wunderbar! Hast du jemals auch etwas Schlimmes damit erlebt? Hat dich schon einmal jemand angegriffen?“
„Mm…nein, eigentlich nicht – Ich glaube ich bin auch nicht der Typ dafür – aber einmal war ich mit einem Freund in einem Restaurant zum Mittagessen und neben uns saß ein älteres Ehepaar. Plötzlich ruft die Frau zu mir herüber: Entschuldigung! Entschuldigung, könnten sie nicht vielleicht mit –ähm- diesem Ding da – woanders essen gehen?“
„Was? Das ist ja total irre! Ich sage ja immer: Das ganze Land ist noch voller Nazis!“
„Haha, ja – na ja, jedenfalls bin ich dann aufgestanden, zu ihrem Mann gegangen und habe gesagt: Entschuldigung, könnten sie vielleicht auf dieses – ähm – Ding da – besser aufpassen?“ Ich lächle vergnügt.
„Tja, und dann haben die uns eine Flasche Wein geschenkt!“
„Toll! Trotzdem sind manche Menschen furchtbar! Wie kommt man überhaupt auf die Idee so was zu sagen? Ich verstehe die Menschen nicht.“
„Darauf können wir ja anstoßen! Das ist übrigens ein ganz ordentlicher Merlot, den du da trinkst!“
Gero hält den Stil des Weinglases zwischen den zwei Hakenteilen und stößt mit mir an.

-8-

„Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, haha, da habe ich deinen Ehering gesucht! Weißt du, du hattest die – du hattest den Haken unterm Tisch!“
„Und, hast du einen gefunden?“
„Nein, aber vielleicht ist er woanders versteckt!“
Wir lachen und schlendern in Richtung S-Bahnhof. Gero hat seinen Arm um mich gelegt. Ich streichle gedankenverloren über seinen Rücken. Als wir auf die Bahn warten lehne ich mich an den Fahrscheinautomaten während Gero einen halben Meter von mir entfernt steht und mir die Entstehungsgeschichte der Bibel erzählt.
„… und deshalb sind viele Dinge aus der ägyptischen Mythologie auch für das alte Testament von großer Bedeutung – Tja, Isabella, wir können uns ja vielleicht noch einmal treffen oder, was denkst du?“
Ohne irgendeinen konkreten Gedanken zu verfolgen gehe ich rasch einen Schritt auf Gero zu und küsse ihn voller Leidenschaft. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt nicht wer von uns beiden überraschter von dieser unverhofften Geste ist. Als wir uns wieder voneinander lösen meint er: „Okay…“
„Ja, wir können uns ja noch einmal treffen, wollte ich damit sagen. Oh, da kommt die S-Bahn!“
Während wir auf einer hinteren Bank in der Bahn sitzen und knutschen höre ich ab und zu Sarahs Stimme in meinem Kopf sagen: „Denn denke daran, wenn ein Körperteil nicht mehr zu gebrauchen ist, werden die anderen ganz besonders ausgebildet sein!“
Wie Recht Sarah einmal wieder hatte! Als die Bahn am Zoo hält, steigt Gero aus und winkt mir von draußen mit dem Haken zu. Ich sehe auf der Anzeigetafel, dass der Zug noch fünf Minuten warten muss und bekunde meine Erkenntnis mit den Händen. Gero steigt wieder ein.
„Das waren wirklich schöne fünf Minuten!“ flüstert er ein bisschen schüchtern wie ein Schuljunge.
„Ja. Wir können ja einmal baden gehen, wenn die Sonne scheint!“


-9-

Es ist 10 Uhr morgens. Seit zwei Stunden probiere ich nun verschiedene Bikinis, Kleider und Lippenstifte aus bis es an der Tür pocht. Ich bin schon wieder vollkommen fasziniert davon, dass sich ein Anklopfen ohne Hände anders anhört und öffne die Tür.

Als wir vor Geros Wagen stehen öffnet er mir die Tür, was mich beinahe zum Lachen bringt, weil ich erstens sicherlich seit 5 Jahren keinen Mann mehr getroffen habe, der mir eine Wagentür geöffnet hat und zweitens noch nie einen, der das mit einem Haken tut.
Als er den Schlüssel langsam umdreht ertönt ein alter deutscher Schlager im Radio. Das ist tatsächlich der erste Moment in dem ich ernsthaft schockiert bin.
„Oh! Ist das dein Lieblingssender?“ frage ich vorsichtig.
„Haha! Nein! Das ist zufällig angegangen!“
„Zufällig…“
„Ja! Ich höre das gar nicht gerne!“
„Ja, ich merke schon: Santa Maria, Insel, die aus Träumen geboren, ich hab meine Sinne verloren, in dem Fieber, das wie Feuer brennt, Santa Maria, lalala…. Haha! Santa Maria, nachts an deinen schneeweißen Stränden, hielt ich ihre Jugend in den Händen, Glück für das man keine Worte kennt… - das hörst du dir an! Ich fasse es nicht!“
„Das ist eine zufällige Wiedergabe! Das ist ein Radiosender! Bitte, dann hören wir jetzt etwas anders. Also, hier ist ein Klassik-Sender. Ist das besser?“
„Santa Maria, lalala….“
Wir fahren hinaus an den Hochhäusern vorbei nach Kaulsdorf und hören ein Geigenkonzert. Es ist diese herrlich zwanghafte Stimmung eines ersten Rendezvous, bei dem beide unglaublich romantisch und harmonisch auftreten wollen.
„Ist das noch weit bis zu deinem See?“
„Ich sage dir dann bescheid wenn wir an der polnischen Grenze sind.“
„Ja, klar! Und wie muss ich jetzt fahren?“
„Immer geradeaus und nach den Feldern links!“
„Das ist gesperrt!“
„Oh! Dann weiß ich es nicht.“
„Kannst du mir mal die Karte geben, da hinten?“
Ich krame nach der Landkarte und entfalte sie ratlos. Während ich unseren Stadtteil suche biegen wir in eine Straße ein und landen auf einem Fabrikgelände.
„Ich glaube nicht, dass wir hier richtig sind.“
„Nein. Hast du den See gefunden?“
„Ich suche noch den Stadtteil. Wie heißt unsere Straße noch mal?“
„Gib das mal her.“

Nach zehn Minuten befinden wir uns auf dem vermeintlich richtigen Weg. Bei der zweiten Straßensperrung schlägt Gero auf das Radio und meint: „Ich kann die Geigen nicht mehr hören!“
„Ja, vielen Dank! Ich kann sie auch nicht mehr ertragen! Wir haben es gleich geschafft! Da ist schon der Kressenweg!“

Wir parken.

„Ich habe einen Nudelsalat gemacht.“
„Oh, wie schön! Ich habe sogar eine Decke vergessen! Hast du eine Decke?“
„Ja.“
Gero öffnet den Kofferraum und drückt mir drei Taschen in die Hände. Er selbst nimmt sich einen Rucksack und eine Kühlbox. Als er einen Sonnenschirm hervorholen will stoppe ich ihn.
„Meine Güte! Was du da alles eingepackt hast! Das ist ja richtig spannend! Aber einen Sonnenschirm brauchen wir doch nicht! Wir wollen da doch nicht zelten!“
„Na gut!“

Die letzten Wolken lösen sich auf und es wird der letzte heiße, blaue Sommertag des Jahres. Es kommt mir vor als wäre alles perfekt. Als würde ich in einer Filmkulisse sitzen. Um den breiten graublauen, glitzernden See haben sich nur wenige Menschen verirrt. Schöne weißlich grüne zarte Bäume, deren Namen ich immer wissen möchte, scharen sich um das Ufer. Wir sitzen auf einer großen blauen Decke und Gero reicht mir einen gelben Plastikbecher.
„Du hast gesagt gelb sei deine Lieblingsfarbe.“ Er lächelt mich stolz an.
„Sehr aufmerksam!“ ich gebe ihm einen Kuss und schenke den Rosé aus der Kühlbox ein.
„Möchtest du Musik hören? Ich habe so eine kleine Anlage!“
„Hast du auch irgendetwas nicht?“ ich lächle vergnügt.
„Also, da ist drauf Jazz, Klassik, Thailändische Musik, Marlene Dietrich, Rockmusik… was möchtest du?“
„Marlene Dietrich!“
„Das ist also nicht zu alt?“
„Nein, das ist klassisch.“
Nach zwei Gläsern des Weines und einer Zigarette nimmt Gero seine Hakenprothese ab und wir wandern aufgeheizt ins Wasser. Als er bis zur Brust im Wasser steht, schreit ein kleines Mädchen: „Mama, Mama! Guck mal! Der Mann hat keine Hände! Mama! Guck mal!“
Gero winkt ihr mit beiden Stümpfen zu und lacht. Ich lache mit und schwimme zu ihm herüber.

„Was hast du da für eine kleine Kette?“ frage ich ihn und halte mich im tiefern Gewässer an seinen Schultern fest. Um seinen Hals baumelt eine kleine Schildkröte aus Stein.
„Das ist so ein besonderer Stein. Hat mir jemand in Thailand geschenkt. Ich habe noch so eine Kette mit vielen Steinen dieser Art, aber ich finde das sieht ein bisschen schwul aus.“
„Ich finde die Schildkröte süß.“
„Ich finde dich süß.“
Wir turteln vor uns hin und wandern schließlich wieder zur blauen Decke. Ich staune über die heimlich glotztenden Badegäste. Mich starren die Leute ja schon manchmal an, aber das würde mich bestimmt wahnsinnig machen, denke ich. Als ob er eine Weltberühmtheit wäre stieren die Menschen herüber.
„Wie die Leute alle glotzten! Das ist ja Wahnsinn! Merkst du das überhaupt noch?“
„Ja, klar – aber meistens beruhigen sie sich wieder, wenn ich sie anlächle – Es gibt aber auch schwerere Fälle… da ist Hopfen und Malz verloren. Möchtest du jetzt einen Nudelsalat?“
„Ja, bitte!“
Ich beobachte wie er bunte Servietten, Besteck und Pappteller mit den Unterarmen einklemmt und hervorzaubert. Ich denke an meinen letzten Freund, der es in einem Jahr nach wochenlangen Diskussionen fertiggebracht hat mir ein trockenes Brötchen zum Frühstück zu geben und mich auf die Kalorienanzahl hinzuweisen (…)
Dabei fällt mir auf, das all meine bisherigen Freunde scheinbar weitaus behinderter waren als dieser hier - nur geistig.
„Vielen Dank! Oh, was ist das denn für ein schöner Salat! Das sieht aus wie in einem Kochbuch!“
Der Salat besteht aus Kirschtomaten, Algen, Garnelen, Ananas, schwarzem Sesam, verschiedenen Kräutern, roten Zwiebeln, Möhren, Nudeln und einer Knoblauch-Curcumasoße. Ich gewöhne mich langsam an meine anhaltende Faszination.
„Wenn man den Salat patentieren würde und in Massen produzieren würde – dann würdest du reich damit werden!“
„Um Gottes Willen!“
„Man müsste ihm nur so einen pfiffigen Namen geben! So etwas Flippiges!“
„Nudelpirat.“
„Ja! Das ist es doch! Reich würdest du werden!“
„Ich werde das sowieso nie wieder genau so machen wie heute – Dafür braucht es den richtigen Tag und das richtige Fingerspitzengefühl.“
Ich schaue leicht irritiert zu ihm herüber und meine:
„Oh, schade… und was ist das, schwarzer Sesam?“
„Ja, es gibt ja diesen hellen Sesam und den schwarzen – der ist dunkler.“
„Ach! Das ist ja interessant! Der schwarze Sesam ist dunkler!“ Ich grinse, Gero lacht und beißt mich sanft in den Hals. Wir beschäftigen uns wieder mit unseren Zungen. Geros Apparat spielt Marlene Dietrichs „Leben ohne Liebe – kannst du nicht“.
Währenddessen hat natürlich niemand aufgehört uns zu beobachten – ganz unauffällig versteht sich.
Ein junges Pärchen ist darunter, die es noch am liebsten anstellen. Als sie Gero sahen rissen sie beide die Augen auf und stießen sich an. Als sie sahen wie er den Nudelsalat aß sahen sie nur noch staunend aus und als wir schließlich turtelten erschienen sie mir selbst ganz erleichtert und fröhlich und wendeten sich schließlich ab. So scheint mir nun die ganze Welt, der blaue Himmel, die Musik, der See, das kreischende Kind, der Nudelsalat und der Pirat – alles erscheint mir sehr fröhlich.

Die Sonne ist untergegangen. Beständig fährt Gero sich durchs Haar und versucht seine Frisur zu richten.
„Hast du ein Problem mit deinen Haaren?“
„Sie fallen ins Gesicht!“
„Ich finde das gut.“
„Mich stört es, haha!“
„Ist eigentlich meine Schminke verlaufen, wo wir schon bei solchen Themen sind?“
„Du warst geschminkt?“
Leicht beleidigt richte ich mich auf.
„Ja.“
„Ooh! Das war aber ganz dezent! Nein, nichts ist verlaufen!“
„Das war doch nicht dezent! Das hat man meterweit, kilometerweit hat man das gesehen! Die Wimperntusche, der Kajal, das Puder, der Lidschatten, der Lippenstift! Alles war dabei!“
„Sieht alles immer noch goldig aus!“

Wir unterhalten uns über Kochrezepte und Kriminalromane.
„Und dann gibt es so ein Pärchen aus Schweden, die gemeinsam Geschichten geschrieben haben. Kennst-“
Es knallt, sodass alle Enten quietschen und hoch flattern.
„Huch! Was war denn das?“ Es knallt noch einmal und ich zucke zusammen.
„Ich glaube…da jagt jemand Enten! Aber um diese Zeit? Das ist auch ein bisschen verrückt – da baden ja noch Menschen!“
Es knallt noch einmal, diesmal aber in einem dumpferen Tonfall. Ein blauer Dunst legt sich über das Wasser.
„Und was war das jetzt? Ich habe das Gefühl wir sind im Krieg!“
Während es abwechselnd knallt und schallt ertönt „Lilly Marlene“ von Marlene Dietrich aus Geros kleinem Apparat.
Vor der Kaserne, vor dem großen Tor, steht ´ne Laterne – und steht sie noch davor. Dort wollen wir uns wiedersehen – bei der Laterne wollen wir stehen – wie einst Lilly Marlene…wie einst Lilly Marlene…
„Also jetzt komme ich mir wirklich vor wie im Krieg!“ Es knallt wieder.
„Ich glaube die anderen fischen da mit Sprengstoff.“
Beim Wort Sprengstoff erschrecke ich ein bisschen und frage mich, ob er wohl Angst vor Sprengstoff hat seitdem dieser Unfall passierte, traue mich aber nicht zu fragen.
„Also, das ist eine super Möglichkeit um sich einen Privatstrand zu verschaffen!“
„Ja, genau! Demnächst fliegen die hier noch mit solchen Düsenjets herüber und werfen ein paar Bomben! Dann rennen hier nur noch die Soldaten entlang und verscheuchen uns!“
„Ja, so wird es sein! Wollen wir zu mir nach Hause fahren?“
„Gut!“

Wir packen unsere Utensilien zusammen und wandern zum Wagen.

-10-

Als wir im Wagen sitzen fährt Gero sich erneut mit dem Haken durchs Haar und kontrolliert seine Frisur im Spiegel. Nach einer Weile bemerke ich trocken: "Es ist alles in Ordnung." Wieder lachen wir.
„Hast du eigentlich etwas zu trinken bei dir?“
„Leitungswasser zählt wohl nicht dazu?“
„Nein, daran habe ich eher nicht gedacht. Fahren wir noch in einen Supermarkt?“
„Ja! Es gibt so ein großes Einkaufszentrum, der Supermarkt da drin ist riesig!“
Wir stehen vor einer Drehtür und wissen nicht ob der Spalt für uns zwei noch ausreicht.
„Husch, husch!“ ruft Gero und zieht mich in die offene Luke an der Drehtür vorbei, ich fühle mich so vergnügt, das ich mich gar nicht mehr erinnern kann wann ich das letzte Mal so vergnügt war ohne einen bitteren Beigeschmack dabei zu empfinden.
„Gibt es hier einen Weinhandel?“
„Nein, wir sind hier im Osten. Da gibt es keine Weinhandel!“
„Doch! Bestimmt! Wir gucken mal auf den Wegweiser.“
„Also, ich möchte anmerken, das ich bestimmt jeden Tag durch dieses Einkaufszentrum gehe und noch nie habe ich einen Weinhandel gesehen.“
„Da steht: Weinkurladen – 5. Stock!“
„Im 5. Stock war ich noch nie.“ Gebe ich kleinlaut zu.
Wir nehmen den Fahrstuhl in den fünften Stock. Dort angekommen erblicken wir allerdings nur leere Büroräume.
„Kann es sein, dass ein Wein-KUR-laden etwas anderes ist als ein Weinladen?“
„Das ist möglich! Wo sind wir eigentlich hier?“
„Das sieht gar nicht mehr aus wie das Einkaufszentrum! Fahren wir lieber in den zweiten Stock zum Supermarkt!“
„Na, gut!“

Andächtig stehen wir vor dem riesigen Weinregal.
„Ich wähle die Flaschen meistens nach der Schönheit ihres Etiketts und ihrer Form aus!“
„Nein! Das ist ja unmöglich! Und das trinkst du dann?“
„Wenn die Flasche schön aussieht schmeckt meistens auch der Wein!“
„Also, ich schätze dein Prinzip, aber ich möchte doch lieber bei meinem bleiben.“
„Diese Flasche da sieht schön aus.“
„Ja – nehmen wir trotzdem diesen hier? Und möchtest du etwas essen? Wie wäre es mit Käse? Oder einem Baguette? Möchtest du einen Nachtisch?“

„Liebe Kunden, wir bedanken uns für ihren Einkauf. Der Supermarkt schließt in wenigen Minuten. Wir bitten sie, sich zur Kasse zu begeben.“

„Oh! Dann müssen wir uns beeilen!“
Gero nimmt die Flasche mit seinem Haken und geleitet mich zum Käse, zum Tiramisu, zu verschiedenen Brötchen und Anti-Pasti-Spezialitäten. Ich habe das Gefühl als würden wir an den bunten Regalen vorbei fliegen.
„So! Brauchen wir noch etwas?“ Ich lächle vor mich hin, da ich mich frage, ob es wohl etwas verrückt klingen würde, wenn ich nach dem Frühstück frage – schließlich beherrsche ich mich und schüttle den Kopf.

Es dauert lange bis Gero die passenden Münzen mit dem Haken aus dem Portemonnaie geholt hat, aber ich habe ein unendliches Zeitgefühl. Nur diese Ungeduld der anderen Menschen nervt mich wieder.

-11-

Bei mir auf dem Sofa sitzen wir vor einem hübsch gedeckten Tisch. Ich habe es fertig gebracht mein eigenes Glas vor fröhlicher Aufregung fallen zu lassen. Als wir mit dem neuen anstoßen meine ich: „Ist dir schon mal aufgefallen, das ich heute zwei Dinge fallen gelassen, eine Sache zerschlagen und mehrer Dinge entgleiten lassen habe? Ich habe das Gefühl ich mache mit meinen Händen mehr Fehler als du ohne! Das ist entweder ein gutes Zeichen für dich oder ein schlechtes für mich!“
„Eher ein gutes für mich, hoffe ich!“
Als ich weiteren Wein einschenken will stoppt Gero mich.
„Das Auto!“
„Oh! Aber…also… na ja…“ – Ich bin doch sehr überrascht, da in meiner Welt eine Weinflasche, ein Abend und ein Sofa eine Übernachtung beinhalten.
„…also, du kannst doch auch hier… übernachten!?“
„Ja… aber ich denke, es ist so wertvoll – dann sollten wir es auch langsam angehen.“
Ich freue mich sehr und versuche meine extrem coole Haltung wieder mit dem Satz aufzubauen: „Also – ich habe ja auch nur von ‚übernachten’ gesprochen.“
„Ach so! Natürlich.“
Ich schleiche mich an ihn an und wir knutschen sicherlich eine Stunde lang bis Gero plötzlich sagt: „Du bist wirklich sehr, also – ich finde alles sehr schön mit dir, wie du mit mir sprichst – du bist so – gütig!“
„Was? Ich bin nicht gütig, ich bin verknallt!“

Und dahin war es mit der Coolness! Dachte ich und winkte bald darauf mit beiden Händen dem Auto nach.



(Fortsetzung folgt :smile: ...)

Sam

Beitragvon Sam » 22.08.2010, 15:18

Hallo Louisa,

dem Text liegt zwar eine ganz lustige Idee zugrunde, aber das ganze Geplapper scheint doch nur dahin zu führen, dem Leser seine dringendste (und wahrscheinlich einzige) Frage zu beantworten: Wie geschickt ist Captain Hook mit seinen Haken, wenn er mit der Erzählerin in die Kiste steigt? Mehr ist da nicht, und damit für einen so langen Text viel zu wenig.

Gruß

Sam

Nifl
Beiträge: 3915
Registriert: 28.07.2006
Geschlecht:

Beitragvon Nifl » 22.08.2010, 15:55

Huhu Louisa,

ich frage mich, wer diesen Text lesen mag? Wen interessiert das? Hast du eine Leserschaft im Auge?
Ich gehöre definitiv nicht dazu und musste mich von Anfang bis zum Ende quälen.

Für mich ist das Tagebuchgeplänkel. Sprachlich leider diesmal auch nicht loui'sahn'isch kreativ und originell, sondern schlicht und kladdehaft wirkend.

Zweimal kam sowas wie Interesse/Spannung auf. Und zwar zum einen bei der Szene mit der Volksmusik, da glitzerte was. Da wurde die Figur tausendmal spannender als die hundertste Wiederholung wie toll er doch dieses oder jenes mit den Prothesen (die ich mir im Übrigen nicht vorstellen kann... was denn nun Hook-Haken oder Greifer oder wie? Darf man mit zwei Prothesen Auto fahren?) meistere.
Zum zweiten die Geräusche am Badesee, da hast du Spannung aufgebaut (ganz narrativ klassisch), nicht zu früh verraten usw. ... wobei mir die Auflösung zweifelhaft erscheint.

Auch interessant zu lesen, wie sich die Erzählerin entwickelt. Am Anfang verhält sie sich wie die schlimmste Gafferin (mit Freundin anstupsen und rüberzeigen usw.) und später verurteilt sie eben diese.

Das war es aber auch schon an Positivem. Sonst kommt mir der Text vor wie eine Wanderzirkusvorstellung vergangener Zeiten: "Seht her liebe Leut, eine Frau mit zwei Köpfen, ein Zwerg und ein Mann ohne Hände! Das gibt es nur bei uns zu sehen..."

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 22.08.2010, 16:22

liebe lou,

musste über sams kommentar schmunzeln - obwohl ich nicht mitreden kann; ich hatte nur den prolog gelesen - seine art, insbesondere der satz "Es war wohl das einzige Spiel, auf das wir uns je einigen konnten(...)" u. hier das wort "wohl" erweckte bei mir den eindruck von selbstbezogenheit, d.h. tendenziell mehr selbst-erklärung als an einen leser gerichtet; da hab ich aufgehört.

alles liebe,
aram

Louisa

Beitragvon Louisa » 22.08.2010, 17:13

oh, ok... ich glaube ich habe einfach einen ganz anderen Geschmack als ihr, was meine eigenen Texte angeht :smile: ... Was ihr nicht mögt finde ich meistens ganz toll und umgekehrt gefällt mir meist gar nicht, was ihr gut findet :smile:

Schade, dass es euch nicht interessiert hat. Ich kann dazu jetzt auch nicht so viel sagen... ich dachte die Geschichte ist etwas Fröhliches, Leichtes, Sommerliches, Verliebtes und natürlich auch ein schönes Beispiel für die Stärke eines Menschen, der sich ja auch wie viele andere einfach seinem Unglück ergeben könnte - und dennoch so viel Erfindungsreichtum und Stolz beweist.

Ich schreibe noch weiter an dieser Geschichte - ich dachte vielleicht könnte es noch mehr Abenteuer geben... das sollte einfach nur ein süßer Anfang sein.

Wer das lesen soll? Keine Ahnung - ich dachte es macht fröhlich. Habe ich mich geirrt. Ist ja nicht so schlimm... Ich lese es immer noch gerne :smile:

Das ein Tagebuch-Charakter einer Geschichte nicht gut tut streite ich einfach mal ab. Es kommt ja nur darauf an, ob das, was man seinem Tagebuch erzählt spannend und unterhaltsam ist - wenn ihr damit meint, dass die Gespräche und die Beobachtungen hier zu platt, selbstbezogen und öde sind - nun, das ist schade für mich, weil ich das gar nicht im Sinn hatte... Aber ich kann es gerade nicht besser machen, glaube ich.

Danke trotzdem für die Rückmeldungen!
l

Benutzeravatar
Zefira
Beiträge: 5728
Registriert: 24.08.2006

Beitragvon Zefira » 22.08.2010, 22:21

Liebe Lou,
ich finde die Geschichte zwar nicht gerade spannend - wie schon bemerkt wurde, enthält sie viel Geplänkel -, aber durchaus unterhaltsam und habe sie gerne gelesen.
Nur geht es auch mir trotzdem so - je länger sich dieses Geplänkel hinzieht, und das ist jetzt schon recht lange, umso größer wird meine Erwartung. Irgendwas muss einfach passieren, was das ganze Geschehen in ein völlig anderes Licht rückt. Sonst bin auch ich unzufrieden :pfeifen:
Den Begriff "Haken" würde ich, wie Nifl schon bemerkte, noch mal überdenken. In Wirklichkeit handelt es sich doch wohl eher um Zangen oder Krebsscheren. Vielleicht solltest Du den Herrn in Captain Crab umtaufen ...?

Es dauert lange bis Gero die passenden Münzen mit dem Haken aus dem Portemonnaie geholt hat, aber ich habe ein unendliches Zeitgefühl. Nur diese Ungeduld der anderen Menschen nervt mich wieder.


Da hast Du das Faktum Verliebtheit sehr schön auf den Punkt gebracht ...

lieben Gruß von Zefira

/edit: Noch etwas:

„Ja… aber ich denke, es ist so wertvoll – dann sollten wir es auch langsam angehen.“


Ehrlich gesagt würde ich auf solche Aussprüche gern verzichten. Ich habe keine Ahnung, ob im reallife jemals jemand so etwas sagt (in meiner wilden Jugend wäre es undenkbar gewesen), rein literarisch macht es einfach die Szene kaputt, weil es dem Schwebenden der Beziehung plötzlich ein Fundament unterschiebt, das ich als Leserin einfach nicht wissen will.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Louisa

Beitragvon Louisa » 23.08.2010, 09:26

danke, zefira,

ja, ich lasse mir noch einen Höhepunkt + Spannungsbogen einfallen und baue das ein!

Das ihr euch alle so an diesem Satz stört ist mir ja ein absolutes Rätsel :smile: .... ich sollte vielleicht auch einmal ein bisschen von meinen autobiographischen Texten wegrücken und wieder mehr spinnen :smile: ....

Danke!
l


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 15 Gäste