Man sollte sich nicht mit Dichtern unterhalten
„Weiches Salz“ – um diese Worte möchte ich ein Gedicht legen. Es sind meine, doch es gelingt nicht; zuvor hörte ich andere, weiße, die zeugten Unvermögen.
Der Dichter las Verse wie „Ich stellte mir Gott als einen Menschen vor, / der alles mit sich machen ließ.“ Und endete: „Das alles bin ich, der Mann mit dem Hasenherz. / Nicht mehr, eher weniger.“ Da hatte er mich. Da musste ich weinen, tief drin. „Ich bin froh, Ihre Lyrik kennenzulernen“, schwärme ich impulsiv, als er in der Pause plötzlich neben mir und meinem Kaffee auftaucht, kriege mich kaum ein vor Dankbarkeit, stammele „… tiefberührend… hätte weinen mögen... Ihre Sprache...!“
Er nickt. Bedankt sich nicht. Lächelt auch nicht. Ich stutze. Von weitem, lesend – der Vortragssaal war groß und ich saß weit hinten – sah er näher aus, menschlicher. Nun wirkt sein Blick stechend – nicht mehr intensiv, sein Gesicht ganz zerklüftet von allerlei Hinterhalt – nicht mehr geheimnisvoll. Schockierend jedoch vor allem: seine Eitelkeit, die ihn vor keiner Banalität zurückscheuen lässt (Hauptsache, jemand hört zu). Ich selbst bin gehemmt, spüre mit jedem Wort, das zögernd aus meinem Mund schlüpft (denn ein Schweigen gegen Dichter ist ein Vorwurf!), wie es geprüft wird, ob es auch intellektuell, gebildet, lyrisch genug sei – und mache mich lächerlich! Diese Selbstprüfung am lebenden Objekt (also: an mir, an meinen Worten) sorgt dafür, dass ich nichts als Seichtigkeiten zustande bringe, ungewollte Anzüglichkeiten, so eingeschüchtert bin ich von meiner eigenen Verehrung für einen schreibenden Verleger. Er dagegen zeigt keine Scheu, berichtet, wie er es von seinesgleichen gelernt hat, ungestört und ohne jede Andeutung eines Augenzwinkerns von sich und seiner Welt, seiner Kindheit, seiner Kultiviertheit (die, wie sich heraus stellt, eher gering ausgeprägt ist, denn sein Reden kann mit seinen papierenen Worte so wenig mithalten, dass ich mich fast fragen muss, von wem er sie wohl abgeschrieben haben mag), und als ich bald, nach kurzer Zeit, mangels anderer "Themen" und mangelndem eigenen "Erfolg" so ungeschickt bin, meine Mutterschaft zu erwähnen, meine Erdung, meinen profanen Weiberzustand, als sei ich verpflichtet, mich für allerlei biografische Versäumnisse zu rechtfertigen (den, dass ich keine Poesie schreibe, den, dass ich keinen Verlag führe, den, dass ich keinen Namen habe etc.), ist es wie ein Schalter, der sich bei ihm umlegt: weg vom vagen selbstdarstellerischen Interesse – hin zu dezidierten Desinteresse.
Nun zwingt er sich, nicht unhöflich zu werden. „Schreiben Sie auch?“ (Seltsame Frage: Tut das nicht jeder? Wenn ich mein Schreibheft nicht irgendwo stecken habe, unterwegs, ist es, als hätte ich mein Portemonnaie vergessen, oder meine Unterhose nicht an: quasi bewegungsnotwendig.) – „Ach, nur so für mich, nicht veröffentlicht“ – „Das ist das Beste, für sich selbst zu schreiben“ – Ja, das sagt sich leicht, denke ich, zunehmend mürrisch, für einen, der eigene Texte bereits honorig veröffentlicht hat und überdies über die Publikation anderer entscheiden kann wie ein König über die Lebenswege seiner Untertanen; du bist doch ein Mistkerl, finde ich nun, mich zugleich sofort prüfend, warum der Mann mir mit einem Mal so unangenehm wird – ist es nur, weil er meiner eigenen Dünnhaut zu huldigen sich weigert? Weil er sich so offensichtlich nicht wirklich für mich oder für irgendetwas außerhalb der eng gezogenen Grenzlinien seiner Selbstgefälligkeit interessiert? Wie kann ein Dichter so bar jeder Wahrnehmung für andere sein? Und was stimmt mit mir nicht, dass ich so gottverdammt bedürftig bin? Der Small talk eines Literaten scheint mir eine ungleich größere Zeitverschwendung zu sein als der unter normalen Leuten; es ist wie Gottes-, nein, sogar Sprachlästerung: eine Todsünde! Dabei hatte ich gehofft, hier, unter den kunstvoll Schreibenden, fände Bedeutung, fände Sprache endlich den ihr zustehenden Raum, und, so Gott will, sogar ich meinen bescheidenen Platz – im Auditorium. Vergiss es, Kindchen.
„Jetzt bin ich alt“, vollendet der Dichter sein rasches Lebensporträt, flüchtig skizziert für die fremde Bewunderin, ihrer bereits überdrüssig. „Ich muss mir etwas zu trinken holen“, sagt er schließlich, wedelt mit dem leeren Glas, und entfernt sich. Er muss sich etwas zu trinken holen? Wenn sich hier jemand gelangweilt hat, dann ja wohl ich! Und zwar mit ihm! Meine stumme Empörung ist echter als jedes Wort, das wir wechselten. Ich registriere, brutal mit mir selbst wie mit ihm, denn es liegt ein Zwang darin: Er hat nicht gefragt, ob ich etwas trinken möchte, weil er ganz offensichtlich die zufällige Bekanntschaft nicht fortführen wollte. Dabei war ich es, die die ganze Zeit unauffällig nach einem Ausweg suchte, nach einem höflichen Ausweichen angesichts der nahenden Enttäuschung – obwohl, zugegeben, ich es war, die ihn zuvor mutwillig um ein Autogramm bat, das er auch bereitwillig in die Anthologie hinein schrieb, die diese gemeinsame Dichterlesung krönte; er warf noch ein paar launige Wolken dazu, strichelte sie mir hin, aufs Papier, mit einem Blick, als erwarte er auch für diese kindischen Oberflächen-Bildchen tiefgründige Anerkennung. Dabei war er es, der sich zuvor demonstrativ gegen Graffitti auf nackten Wänden ausließ – „ich liebe Beton“ – , und mein Lachen darüber nicht verstand, seiner eigenen Albernheit nicht mal gewahr, zu sehr eingenommen von der Tatsache, dass er der große Verleger – und ich ein unwichtiges Ding war, zu dem er sich aus einer Laune heraus herabgelassen, das es zu beeindrucken und zugleich abzuwehren galt, das überdies ganz offensichtlich nichts zu sagen, nichts zu bedeuten hatte und auch nicht haben würde und ihn deshalb nicht mal in voller Pracht zu würdigen in der Lage wäre.
Unvermittelt lande ich auf dem Boden der Tatsachen: Warum lässt er mich da stehen? Der interessiert mich doch nicht mal! Nicht als Mann! Immerhin hatte er das fruchtlose Gespräch begonnen. Verblüfft stelle ich fest, dass ich verletzt bin – wie unnötig: Bin tatsächlich beleidigt, weil ein eitler Gockel mit mir achtlos an meiner trostlosen Schärfe vorbei ein Selbstgespräch führt. Und weiß nicht mal, ob mich die Belanglosigkeit mehr beleidigt oder das beiläufig Gönnerhafte seines Blicks. Und merke verärgert, dass mir nun wieder fast die Tränen kommen, diesmal andere, völlig unlyrisch motivierte. Sollte man über so prosaische Angelegenheiten wie abgewetzte Eitelkeiten ein Gedicht schreiben? (Das reimt sich!)
Jedenfalls sollte man sich nach Lesungen mit Dichtern nicht unterhalten. Es droht unweigerlich der Absturz in ein wortloses, kunstfernes Grau, in die Farblosigkeit der Hasenherzen. Denn ich bin die Frau mit dem Löwenherz – nicht weniger, eher mehr! – (ein Geburtsfehler, denn es findet keinen Ort, oder hat keinen, hatte ihn nie: Den Körper kann man nicht trügen, nur läppisch leugnen – oder töten; mater materia überlebt jedes Wort).
„Was da Mensch heißt, stopft Risse mit Worten“, schreibt ein größerer Dichter als jener beschriebene, verehrte. Dieser ist Yang Lian, mit dem ich mich nicht unterhalten habe,zum Glück; er liest das vor, und seine chinesisch gesprochenen Worte klingen zugleich bedeutsamer und leerer als jede mir verständliche Sprache. (Lyrik ist kein Talk, keine Unterhaltung. Sondern Satz. Gesetz. In jedem Buchstaben unausweichlich.) Ich lese es hinterher nach, übersetzt, wie zum Trost, lasse den Klang erinnert an mir vorbeirauschen, halte die Risse mit den Worten zu, doch auch das gelingt nicht.
Mein weiches Salz suche ich weiter.
Man sollte sich nicht mit Dichtern unterhalten
Huhu!
Es geht wahrscheinlich am meisten um mich - das geht am Text vorbei - und da ich in meinen - wie soll man sagen - Kampf-Reden
weder dich noch mich im Besonderen angesprochen habe - meine ich wohl auch alle damit, mich, dich, alle anderen, die mir gerade eingefallen sind.
Es geht wirklich zu sehr vom Text weg - das tut mir leid - ich wollte vielleicht nur ein Gegenmodel zum Selbstmitleid in einem literarischen Text herzeigen und habe mich zu sehr hineingesteigert.
Ich habe ja nicht dir mangelnden Kampfgeist unterstellt - dem Tonfall in deiner Geschichte allerdings schon!
Aber wie gesagt: Vielleicht habe ich die Geschichte falsch aufgenommen - Ich wollte ja nur sagen, dass man sie verbessern könnte - ob nun mit oder ohne Selbstmitleid - wie gesagt - auch das kann man schön erzählen.
Ich finde es bedauerlich von mir selbst, dass ich hier so einen Vortrag halten musste, aber ich kann mich dann nicht bremsen
und ich finde es noch bedauerlicher, dass du alles, was ich an Negativem beschrieben habe auf dich beziehst und alles, was ich an Positivem geschrieben habe nicht 
Ich habe keine Ahnung, was du außerhalb des Salons die ganze Zeit tust, Klara - aber ich bin mir sicher, dass es eine ganze respektable Menge ist!
Darum ging es mir gar nicht - Es ging mir um den Tonfall in dieser einen Geschichte und um das, was die Erzählerin hier sagt wie zum BEispiel:
Weil er sich so offensichtlich nicht wirklich für mich oder für irgendetwas außerhalb der eng gezogenen Grenzlinien seiner Selbstgefälligkeit interessiert? Wie kann ein Dichter so bar jeder Wahrnehmung für andere sein? Und was stimmt mit mir nicht, dass ich so gottverdammt bedürftig bin? Der Small talk eines Literaten scheint mir eine ungleich größere Zeitverschwendung zu sein als der unter normalen Leuten; es ist wie Gottes-, nein, sogar Sprachlästerung:
und tweilweise auch diese Passage, wobei ich die auch schon wieder mehr berührend finde:
Warum lässt er mich da stehen? Der interessiert mich doch nicht mal! Nicht als Mann! Immerhin hatte er das fruchtlose Gespräch begonnen. Verblüfft stelle ich fest, dass ich verletzt bin – wie unnötig: Bin tatsächlich beleidigt, weil ein eitler Gockel mit mir achtlos an meiner trostlosen Schärfe vorbei ein Selbstgespräch führt.
- Es ist ja wie gesagt nicht so, dass ich das nicht verstehe - ich fühle mich oft genauso! Aber ich glaube, dass man dieses Gefühl nicht einfach so benennen kann - Auch diesen Fehler mache ich sehr oft!!! Ich glaube, wenn das mein eigener Text wäre - würde ich versuchen dieses Selbstmitleid irgendwie so zu modifzieren, dass es literarische Qualität bekommt - mit Überzeichnung, mit Metaphorik, mit Humor - irgendetwas - oder es streichen...
Ich wollte dich damit nicht angereifen, sondern den Text verbessern!
Und meine Rede geht mehr an die Allgemeinheit, als an dich! Ich wollte dich nicht persönlich angreifen! Hilfe!!!
Ich sage mir diese Rede auch wahrscheinlich gerne selber auf, um nicht vollkommen den Mut zu verlieren. Mir hilft es sehr an solche idealistischen Fantasien zu glauben - und ich wünsche mir genau an so etwas - den plötzlichen Erfolg, die plötzliche Liebe im Alter, die Genesung nach einer unheilbaren Krankheit - ich wünsche mir an solche Dinge tagtäglich zu glauben und ich werde gerne weiterhin solche engstirnigen Reden halten im Wissen darüber, dass es anderen Menschen nicht gelungen ist - und das andere Menschen das aufgegeben haben.... Es gibt auch dafür wieder Gegenbeispiele - und ich hoffe ja nur so ein Gegenbeispiel zu sein.
DAs wollte ich sagen und ich dachte, dass das eher Mut macht oder "die Stimmung hebt" - wie ich bereits schrieb - als das es dich angreift.
Tut mir leid, wenn das so ankam!
Schönen Tag!
l
Es geht wahrscheinlich am meisten um mich - das geht am Text vorbei - und da ich in meinen - wie soll man sagen - Kampf-Reden

Es geht wirklich zu sehr vom Text weg - das tut mir leid - ich wollte vielleicht nur ein Gegenmodel zum Selbstmitleid in einem literarischen Text herzeigen und habe mich zu sehr hineingesteigert.
Ich habe ja nicht dir mangelnden Kampfgeist unterstellt - dem Tonfall in deiner Geschichte allerdings schon!
Aber wie gesagt: Vielleicht habe ich die Geschichte falsch aufgenommen - Ich wollte ja nur sagen, dass man sie verbessern könnte - ob nun mit oder ohne Selbstmitleid - wie gesagt - auch das kann man schön erzählen.
Ich finde es bedauerlich von mir selbst, dass ich hier so einen Vortrag halten musste, aber ich kann mich dann nicht bremsen


Ich habe keine Ahnung, was du außerhalb des Salons die ganze Zeit tust, Klara - aber ich bin mir sicher, dass es eine ganze respektable Menge ist!
Darum ging es mir gar nicht - Es ging mir um den Tonfall in dieser einen Geschichte und um das, was die Erzählerin hier sagt wie zum BEispiel:
Weil er sich so offensichtlich nicht wirklich für mich oder für irgendetwas außerhalb der eng gezogenen Grenzlinien seiner Selbstgefälligkeit interessiert? Wie kann ein Dichter so bar jeder Wahrnehmung für andere sein? Und was stimmt mit mir nicht, dass ich so gottverdammt bedürftig bin? Der Small talk eines Literaten scheint mir eine ungleich größere Zeitverschwendung zu sein als der unter normalen Leuten; es ist wie Gottes-, nein, sogar Sprachlästerung:
und tweilweise auch diese Passage, wobei ich die auch schon wieder mehr berührend finde:
Warum lässt er mich da stehen? Der interessiert mich doch nicht mal! Nicht als Mann! Immerhin hatte er das fruchtlose Gespräch begonnen. Verblüfft stelle ich fest, dass ich verletzt bin – wie unnötig: Bin tatsächlich beleidigt, weil ein eitler Gockel mit mir achtlos an meiner trostlosen Schärfe vorbei ein Selbstgespräch führt.
- Es ist ja wie gesagt nicht so, dass ich das nicht verstehe - ich fühle mich oft genauso! Aber ich glaube, dass man dieses Gefühl nicht einfach so benennen kann - Auch diesen Fehler mache ich sehr oft!!! Ich glaube, wenn das mein eigener Text wäre - würde ich versuchen dieses Selbstmitleid irgendwie so zu modifzieren, dass es literarische Qualität bekommt - mit Überzeichnung, mit Metaphorik, mit Humor - irgendetwas - oder es streichen...
Ich wollte dich damit nicht angereifen, sondern den Text verbessern!
Und meine Rede geht mehr an die Allgemeinheit, als an dich! Ich wollte dich nicht persönlich angreifen! Hilfe!!!
Ich sage mir diese Rede auch wahrscheinlich gerne selber auf, um nicht vollkommen den Mut zu verlieren. Mir hilft es sehr an solche idealistischen Fantasien zu glauben - und ich wünsche mir genau an so etwas - den plötzlichen Erfolg, die plötzliche Liebe im Alter, die Genesung nach einer unheilbaren Krankheit - ich wünsche mir an solche Dinge tagtäglich zu glauben und ich werde gerne weiterhin solche engstirnigen Reden halten im Wissen darüber, dass es anderen Menschen nicht gelungen ist - und das andere Menschen das aufgegeben haben.... Es gibt auch dafür wieder Gegenbeispiele - und ich hoffe ja nur so ein Gegenbeispiel zu sein.
DAs wollte ich sagen und ich dachte, dass das eher Mut macht oder "die Stimmung hebt" - wie ich bereits schrieb - als das es dich angreift.
Tut mir leid, wenn das so ankam!
Schönen Tag!
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