Jäger des verlornen Schatzes

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Peter

Beitragvon Peter » 26.02.2010, 02:50

Jäger des verlornen Schatzes
Ein Gedanke zur (deutschen) Verlagskultur



Im schönen und grünen Irland leben die Leprechauns, kleine trollartige Wesen, meist mehr oder weniger griesgrämig, deren innigste und vorzüglichste Eigenschaft es ist, ihre Goldtöpfe zu hüten. Man kann rätseln, woher dieses uralte Gold stammt, darf aber davon ausgehen, dass es vom Seelenhandel herrührt, der übrigens weniger ausgestorben ist, als man allgemein annimmt. In ihrer Haupt- oder eher Nebenbeschäftigung, neben dem Hüten der Goldtöpfe, verfertigen die Leprechauns feine Lederschuhe für Elfen – was sich aber als ein Handwerk erwies, das sich immer weniger lohnte, da sich im Lauf der letzten Jahrhunderte kaum noch Elfen nach Irland verirrten oder sogar vorsätzlich ausblieben (Es geht das Gerücht, dass es den Elfen in Irland zu kalt wurde.)

Arme Leprechauns! So ironisch das klingen mag, da man doch keinen Leprechaun sieht, der nicht vor Goldstaub leuchten würde, mag dieser Beleidszuruf doch berechtigt sein, denn wie es dem Teufel geht, der mit seinem Reichtum nichts anzufangen weiß und ihn daher an Schnüre bindet, und die Schnüre an Holzstangen, um damit aus Langeweile oder Frust die Menschenschafe zu verführen, mag es auch den Leprechauns gehen: Sie sind reich, aber ihre Gier ist zu groß, um etwas mit ihrem Reichtum anzufangen, und daher sie ebenso hungrig, müde und frustriert an ihren Goldtöpfen sitzen. Noch mal: Arme Leprechauns!

In diesem Jahr feiert der Suhrkamp-Verlag seinen 60ten Geburtstag! Der Suhrkamp-Verlag ist ein inzwischen von Ulla Berkéwicz geführtes Unternehmen, das mehrere Verlage umschließt, und im letzten Jahr mit Fahnen und Trompeten zum Anbeginn neuer Verlagszeit in das schöne Berlin zog. In der Berliner Morgenpost war Folgendes zu lesen: „Trotz klirrender Kälte war die Stimmung im Festzelt gelöst. Ulla Berkéwicz dankte den Autoren für ihre Solidarität und Unterstützung, und sagte: „Ich glaube, dass Berlin, die Stadt der Autoren, jetzt auch wieder gute Chancen hat, Stadt der Verlage zu werden.“ Hauptsitz wird das frühere Finanzamt an der Pappelallee in Prenzlauer Berg.“

Wir wollen diesem Unternehmen alles Gute wünschen! Noch erinnern wir uns an einen der Urväter deutscher Literaturlandschaft: an Siegfried Unseld, und an die Zeiten eines Verlages, dessen Publikationen auch abseits des Feuilletons eine große Wirkung erzeugten. Wir erinnern uns an 40 Jahre Regenbogen, an 48 Spektralfarben, an Ideenreichtum und Tanz - möge er unvergessen bleiben! Und mit ihm auch der ehrliche Leprechaun Siegfried Unseld, der sich sein Goldtöpfchen noch redlich verdiente und diejenigen Lügen straft, die da behaupten, dass der Seelenhandel Ursprung der Goldtöpfe sei – in gewissen Ausnahmen ist es auch das Handwerk, die Schuhverfertigung für die Elfen, was den Reichtum schafft. Uwe Johnson, Wolfgang Koeppen würden dem zustimmen.

Unter den Leprechauns soll es zu manchen Zeiten auch solche gegeben haben, die sich großzügig zeigten. Es ist nachzulesen, dass sie den Menschen Wünsche erfüllten oder etwas von ihrem Gold abgaben. Welcher Autor hat davon noch nicht gehört! Und es mag sicherlich angebracht sein, Siegfried Unseld zu diesen seltenen Leprechauns zu zählen.

Wie viel tausend Jahre wohl inzwischen vergangen sind! Anhand der Erzählungen über die Leprechauns kann es einem schwindlig werden. Zur anfänglichen Zeit gab es den noch großen Austausch. Für das gesamte Märchenreich wurden von den Leprechauns die Schuhe verfertigt. Was das wohl für ein dichtgefüllter Rhythmus aus Schuhen war! Man muss sich ja vorstellen, dass zu dieser anfänglichen Zeit alles seine Schuhe besaß; jedes Märchen und Kleinstmärchen; Säle und Zimmer voller Märchengestalt besaßen ihre Schuhe. Da kam der Storch ebenso wie der Fuchs ebenso wie die Maid und das Einhorn in Lederschuhen daher. Was das für ein Trapsen gewesen sein muss in der Luft! Und die Winde? Warm! Natürlich! Ach, was für ein Vergnügen muss das gewesen sein, in einer Stube zu hocken bei warmem Feuerschein und rings das Schmauchen des Leders zu hören, das so vieles an Sagen in sich barg! Arme Leprechauns! Arme Menschen! Schade um diese vergangene Zeit . . .

Es lässt den Gedanken offen, warum sie verging. Wurde es den Märchen zu kalt, wie es den Elfen, dem Gerücht nach, zu kalt wurde? Oder gab es immer weniger ehrliche Leprechauns wie unseren Siegfried Unseld? Nahm die Gier überhand? Wahrscheinlich war es, wie es mit allen Dingen ist: Sie gehen einfach so zu Ende. Schuld ist niemand, als nur die Vergängnis selbst. Deshalb möchte ich den Gedanken, den ich dazu habe, auch nicht allzu sehr in den Vordergrund stellen – obwohl er mir, so seltsam er auch klingen mag, doch berechtigt erscheint.

Alles ging zu Ende, weil niemand mehr zuhörte – mir mag das einleuchten. Das Licht erlosch, so war’s dann vorbei. Die Leprechauns suchten noch. Aber kaum dass sich der eine oder andere Fuß finden wollte, der schön einzuformen gewesen wäre. Kälter wurde es im Märchenland. Da kam der Seelenhandel auf. Dafür, dass Siegfried Unseld, dieser Theorie nach, in dieser letzten Zeit handelte, muss man ihn noch höher stellen. Trotzdem musste auch er mit Seelen handeln. (Aus welch anderer Idee besteht z.B. ein Werk wie das von Peter Handke – aus Sprache?)

Aber lassen wir das. Es hat uns ja in dunkler Zeit geholfen, hier und da wenigstens von einer Seele zu lesen, wenn auch nirgends mehr von Sprache. – Versuchen wir uns eher an dem Gedanken, wie es gewesen wäre, wenn das Zuhören geblieben, oder noch mehr: sich erweitert hätte, vielleicht in dem Sinn, dass nun aus all dieser Überlieferung, wörtlich!, nun auch so etwas wie ein Fortschritt geworden wäre, wörtlich! Denn aller Handel hatte doch letztlich immer diese Wirkung, dass aus ihm Kultur, Erweiterung von Bewusstsein, sprich Zivilisation entstand. Man nehme zum Beispiel andere Handelsformen, fleißige Händler wie die der Hansa, und den Gedanken, dass es allein der Stockfisch war, auf den sich eine Zeit europäischer Kultur, die auch noch unsere Zeit ist, stützte. Der Stockfisch als die Krücke hoher Zivilisation! Warum wurde es nicht das Märchen? Tatsache ist: das Märchen wurde es nicht. Arme Leprechauns! Arme Menschen! Schade!
Zuletzt geändert von Peter am 26.02.2010, 08:56, insgesamt 2-mal geändert.

Sam

Beitragvon Sam » 26.02.2010, 05:36

Hallo Peter,

gelungener Nekrolog auf einen Verlag, der wie kein anderer das literarische Leben in der Bundesrepublik geprägt hat. Und auf einen Verleger, der zwar auch kein Heiliger, aber eben ein ganz besonderer war. Vor allem, was seinen Umgang mit schwierigen Autoren betraf (sehr interessant z.B. der Ende letzten Jahres erschienene Briefwechsel Unseld-T.Bernhard).

Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße

Sam

Peter

Beitragvon Peter » 26.02.2010, 08:07

Hallo Sam,

hab vielen Dank fürs Lesen!

Mit lieben Grüßen,
Peter

Max

Beitragvon Max » 28.02.2010, 16:47

Lieber Peter,

als ich zunächst von Deinen Leprechauns las, dachte ich erst, die Geschichte sei weit hergeholt. Nun aber, da ich sie zweimal gelesen habe, gefällt sie mir immer besser.
Was sie für mich als Parabel umso wertvoller macht, ist ihre vielfältige Einsetzbarkeit. Ersetzt man den dritten Absatz über den neuen Standort des Suhrkamp Verlags in der Pappelallee (das wusste ich gar nicht - vor 14 Jahren habe ich noch dort um die Ecke gewohnt, wäre ich mal nicht fort gezogen ;-) ) durch eine andere Notiz, die die Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft beetrifft, so ließe sich diie gleiche Geschichte der Leprechauns auch mit einer Deutungsebene für den Nutzen von Wissenschaft, die Idee der Universitäten und vieles mehr erzählen - wir leben in einer Gesellschaft von fahrenden Händlern und haben deren Blick auf die Realität angenommen. Das ist vor allem deshalb tragisch, weil der Händler das Merkantile als religion anpreist und auch diese Religion ein erstes Gebot hat: Du kannst keine anderen Götter haben.

Ich würde mir wünschen, dass dieser Text seinen weg in "Die zeit" oder ähnliche Organe findet, damit ihn mehr Menschen lesen können als hier.

Liebe Grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 28.02.2010, 18:17

PS: Natürlich hätten in anderen Kulturbetrieben die ehrlicheren Leprechauns nicht so einen Leprechaunigen Namen wie Siegfried Unseld ... :-)

Peter

Beitragvon Peter » 01.03.2010, 10:17

Werter Max!

Die einholende Geste ist in dem Text wahrscheinlich doch ziemlich groß, jedenfalls grüble ich auch selbst momentan ein wenig, woher und wohin ich das alles denken wollte. Den Impuls gab ein Artikel über den Suhrkamp-Verlag + die Sage über die Leprechauns, dass der Ort ihrer Goldtöpfe der am Ende des Regenbogens sei. Das schien mir dann treffend für die neue Zielgerichtetheit des SV-Verlages. Das ganze schließt sich aber wohl eher ziemlich luftig. Aber im schönen Sinn tritt daraus jene Über- oder Ersetzbarkeit heraus, also das Gedankenspiel, das du ansprichst.

Dank dir fürs Lesen!

Mit lieben Grüßen,
Peter


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