Tagesnotizen

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 23.10.2009, 13:15

Ein trüber Nebel hüllt den Morgen ein. Ich taste mich durchs Treppenhaus mit einem Hohlgefühl in der Brust. Mehrere Katzen lauern auf den Treppen. Ihre Augen bohren sich in meinen Rücken, während ich ihre klappernden Schälchen aus den Tiefen des Schrankes angle.
Schwankende Bäume vor dem Küchenfenster mit dem allerletzten Laub. Nasse Blätter vor der Türe. Gelblich, braun gefleckt. Längst sind die Kastanien verfault.
Der Tag blutet aus einer sickernden Wunde. Der Kaffee riecht säuerlich. Ich überquere ein dünnes Seil in den Vormittag hinein, ein Fuß rutscht ab und vorübergehend hänge ich im stumpfen Treppenhaus. Hinter meinem Rücken fauchen die Katzen, gurgeln, als wollten sie sich gegenseitig angreifen.
Draußen hört man die Vögel nicht. Immer nur Staubstille unterbrochen von Katzengeschrei.
Ich seile mich ab und lande unsanft auf der braunen, durchgescheuerten Treppe. Wieder bricht der Tag. Eine Hälfte ganz gewöhnlich, Alltag eben und die andere so bedrohlich und rauschend schwarz wie Onyx. Mühsam taste ich mich weiter in kleinen Schritten durch die Stunden. Friedhöfe setzen sich fest in meinem Kopf, offene Gräber, Granit und Kränze. Jede Angst ist eine Angst vor dem Tod. Sehe oft auf die Uhr, doch die Zeit ist eine Falle. Staubstille schon viel zu lange.
Später blitzt die Sonne auf. Mein Auge zuckt. Die Sonne blendet und hält kein Versprechen. Die Grünpflanzen stehen in Schattenecken. Die Katzen nagen sie an, bis sie verkümmern. Stumm der Tag. Will nicht zur Blüte kommen. Lieber geduckt vorüber schleichen. Sich in einen Winkel pressen. Staubstille atmen. Der Tag sträubt sich lange, kleiner Rhythmus nur, als klopfte man mit Knöcheln aufs hohle Holz.

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.10.2009, 15:57

Lieber Fux,

ich mag diese Art von Texten gern. In denen Bilder und Gefühle entstehen, die zugleich eine poetische "Reflexion" erfahren.
Ich finde Deinen gelungen, frage mich nur, ob ich auf einmal "Staubstille" verzichten würde. Wenn, dann auf dieses hier:

Staubstille schon viel zu lange.


Dann würde ich dem letzten einen Artikel gönnen, um einen Rückbezug zum ersten "Staubstille" herzustellen: Die Staubstille atmen.

Für mich nutzt sich der Begriff in diesem kurzen Text sonst zu sehr ab.

Liebe Grüße

leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.10.2009, 16:25

Hi Ben,

schön, mal wieder etwas von dir zu lesen!

Bei deinem Text habe ich ein Problem, die Verortung. Das Treppenhaus. Kommt LI von draußen nach innen durch das Treppenhaus in die Wohnung oder bleibt LI im Treppenhaus. Das geht für mich nicht klar hervor, zumal LI von säuerlich riechenden Kaffee schreibt (also sich wohl in der Wohnung befindet), dann aber wieder im stumpfen Treppenhaus landet. Oder ist das Treppenhaus eine Metapher, vielleicht für Irrwege? Dafür finde ich aber das Treppenhaus zu konkret beschrieben, z.B. mit den darauf lauernden Katzen.
Hier:
Die Grünpflanzen stehen in Schattenecken. Die Katzen nagen sie an, bis sie verkümmern.

stimmt der Bezug nicht ganz. Ich versteh schon, was du meinst, aber die Katzen nagen nicht an den Schattenecken, sondern an den Grünpflanzen, hm?
Ansonsten mag ich deinen Text, dieses Einfangen des Momentes, in dem das LI seine Wahrnehmungen und Gedanken sehr anschaulich beschreibt.

Saludos
Mucki

aram
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Beitragvon aram » 23.10.2009, 17:43

hallo wüstenfuchs,

weiß nicht ob ich schonmal etwas zu einem deiner texte gesagt habe, deshalb erstmal: mir gefällt deine art zu beobachten, zu erzählen/ zu schildern, miniaturen zu schaffen. (wobei die kürze kein kriterium ist, auch längere texte würden so getragen.)

dieser text enthält sätze, bei denen ich 'aussteige' - "ihre augen bohren sich in meinen rücken", ab da lese ich nur noch distanziert weiter, fast als würde ich den text nach 'kitschigen formulierungen' scannen - "der tag blutet aus einer sickernden wunde", "wieder bricht der tag" - da fühle ich mich in einen groschenroman versetzt und verschließe mich dem text insgesamt.

dies nur als feedback, wo und wodurch der text mich als leser verliert, nicht als 'objektive vernichtung' des textes (hallo elsa! - entschuldige, das war damals etwas rüde/un-vermittelnd von mir formuliert), und da er mich verliert, habe ich über anderes nichts nennenswertes mehr zu sagen.

bin trotzdem auf deine texte gespannt, weil sie meist eine spezifische, dichte und doch wie von weit betrachtete atmosphäre schaffen.

beste grüße

Rala

Beitragvon Rala » 24.10.2009, 21:49

Hallo wüstenfuchs,

der Text gefällt mir, so im Ganzen ruft er in mir ein bekanntes Bild, ein bekanntes Gefühl hervor (auch wenn bei mir an solchen Tagen keine Katzen beteiligt sind ...). Bei einigen Details allerdings steige ich aus, bei so Sachen wie "bedrohlich und rauschend schwarz wie Onyx" und "Friedhöfe setzen sich fest in meinem Kopf ...", das finde ich für so einen dumpfen Tag dann eigentlich zu stark. Und der Sache mit dem Treppenhaus kann ich leider nicht so ganz folgen ...
Aber wie gesagt, insgesamt gesehen gefällt mir das.

Liebe Grüße,
Rala

wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 27.10.2009, 15:44

Hallo,

der Text gefällt mir nicht mehr. Die Verortung sehe ich auch als Problem,
auch die Staubfülle ist zu gehäuft.

Ich müsste ihn völlig durch die Mangel drehen, damit er als Hochglanzgroschenroman wieder auftauchen kann,

ich lege ihn erstmal ab,

Viele Grüße
Fux


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