Metamorphose

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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Elsa
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Beitragvon Elsa » 04.04.2009, 12:15

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Bin ich wirklich soweit entfernt von Rudis Idealvorstellungen? Ich befühle meine Brüste. So klein wie Mäusefäuste. Bis vor kurzem gefiel mir die androgyne Figur, mit der ich durchs Leben gehe. Auch allen anderen. Die Mädels beneiden mich nicht nur darum, alles essen zu können. Bewundernd seufzen sie: „Du könntest jede Mode mitmachen, dünn wie du bist!“ Nur tiefe Dekolletes kann ich nicht tragen; wer braucht die schon.

Seine Vorgänger in Sachen Liebe mochten mich, genauso wie ich bin. Rudi ist mein erster Künstler. Bildhauer. Vielleicht ist es bei ihm anders. Berufsbedingt. Auch ich habe überdurchschnittliche Ansprüche, aber die betreffen meinen Beruf als Innenarchitektin. Einrichtung und Aufbau von Räumen.
Der überlebensgroße Offsetdruck an Rudis Schlafzimmerwand deprimiert mich. Gestern Abend, als er mich in seine Wohnung einlud, traf mich fast der Schlag bei dem Anblick. Es dauerte eine Weile, bis ich durch Rudis unermüdliche Bemühungen in Fahrt kam und wir doch noch eine leidenschaftliche Nacht verbrachten.
Ich räkle mich im Bett, während Rudi in der Küche das Frühstück zubereitet. Nachdem wir uns auf der Party ineinander verknallten, trafen wir uns dreimal zum Kaffeetrinken. Ich beiße mir auf die Lippen, die ich durchaus für gut gelungen halte.
Angelina Jolies knospender Erdbeermund schmollt auf mich herab. Der pure Hohn in ihren glänzenden Seehundaugen über den hohen Backenknochen krallt sich in mein Gemüt.
„Frühstück, meine Königin der Nacht“, sagt Rudi. Strahlt und stellt das Tablett aufs Bett, legt sich zu mir. Er buttert einen Toast und füttert mich zärtlich.
Zwischen zwei Bissen frage ich nebenbei: „Du schwärmst für Angelina Jolie?“
„Oh ja, ein großartiger Körper.“ Er spuckt Krümel vor Begeisterung. „Sie hat die ideale Figur; Rodin hätte seine Freude gehabt.“
Ich verschränke meine Arme über den Mäusefäusten. Wer ist schon Rodin? Der Nabel des guten Geschmacks?
Rudi zeigt mit einem Butterfinger auf Angelinas Becken. „Siehst du die perfekte Rundung der Hüften? Unglaublich, nicht wahr?“ Er leckt die Butter ab, während ich die Guthaben auf meinen Sparbüchern im Kopf zusammenzähle.

Im Laufe der nächsten Wochen kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Rudis Interesse an mir nachlässt. Oft ertappe ich ihn dabei, wie er in Angelinas Anblick versinkt, minutenlang unansprechbar ist. Er fertigt schwungvolle Bleistiftzeichnungen an, die sie in verschiedenen Posen zeigen. Bald darauf sperrt er sich Tage und halbe Nächte im Atelier ein.
„Ich brauche absolute Konzentration, wenn ich einen Stein behaue“, sagt er. Sein Blick ist wild, die Haare stehen ihm zu Berge, er riecht nach Schweiß und Wahnsinn.

Kurzum, es muss etwas geschehen! Ich liebe ihn und denke nicht daran, ihn an Angelina abzutreten!
Beim Mittagessen, das er zwischen den Bergen von Skizzen hinunterschlingt, sage ich: „Liebling, ich werde den ganzen nächsten Monat geschäftlich unterwegs sein, du weißt schon, unser Architekturbüro. Ich habe die Aufsicht für den Innenausbau eines Hotels übernommen. In Telfs.“ Ich verstecke mein Gesicht, das rot anläuft, immer wenn ich lüge, hinter einer von Rudis Zeichnungen. Überflüssig, er starrt unverwandt auf Angelinas Hintern. Immerhin hat er mich gehört, denn er murmelt: „Ist gut. Ich liebe dich, vergiss das nicht.“

Es tut fürchterlich weh und ich bin mittellos. Sparbücher abgeräumt, der Jahresurlaub aufgebraucht. Vorsichtig taste ich über die Verbände auf meinem Gesicht, höre die salbungsvollen Worte des Chirurgen: „Alles wird gut!“
Drei Wochen später sind die Blutergüsse abgeklungen. Seehundblick und schwellender Erdbeermund inklusive Mittelscheitel auf der Unterlippe, ganz nach Vorbild, strahlen mich aus dem Spiegel an, den der Doktor mir entgegen hält. Ich trete die Kompressionshose von den Füßen, tätschle meinen wohl gerundeten Silikonpopo. Rufe sofort Rudi an, dass ich morgen zurückkomme.
„Wunderbar, Königin meiner Nächte; ich werde dich mit Haut und Haar auffressen“, verkündet er, „ich habe endlich die neue Skulptur vollendet!“

Ich sperre auf; kein Rudi da. Öffne die Tür zum Atelier. In der Mitte steht die zwei Meter große Angelina. In Marmor gehauen.
„Ha! Du jagst mir keinen Schrecken ein“, triumphiere ich, „mein Hüftschlenker ist vom Feinsten.“
Auf dem Küchentisch klebt ein Post-it: Bin beim Auftraggeber der Skulptur, Knete kassieren. Kuss, bis dann.

Ich gehe ins Schlafzimmer, um meine Sachen auszupacken. Mein eingeschnitztes Jolie-Lächeln verzerrt sich zum lautlosen Schrei. Von der Wand grinst mich überlebensgroß Cameron Diaz mit ihrem Katzengesicht an.
Mir schwinden die Sinne.


by ELsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 04.04.2009, 12:41

Liebe Elsie,

ich mag diese Geschichte so gern! Und jedes Mal, wenn ich sie las und jetzt wieder lese, denke ich: nein, tu es nicht, du blöde Kuh, tu es nicht! *lach*
Der Schönheitswahn, ja, treibt so manche Frau in die falsche Richtung.
Und obwohl man das Ende ahnt, stört mich das gar nicht. Es gehört auserzählt.
Klasse!

Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 04.04.2009, 13:02

Liebe Mucki,

Das freut mich! Ich hab sie ein bisschen überarbeitet. Ich finde auch, sie gehört bis zum Ende "ausgeschlachtet".

Danke dir!

Lieben Gruß
ELsie
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Sam

Beitragvon Sam » 07.04.2009, 13:35

Liebe Elsa...

...jetzt hab ich es ein paar Mal gelesen, in der Hoffnung, meine Meinung würde sich noch ändern. Ist leider nicht passiert...

Sicher, es ist witzig, man schmunzelt. Aber es verbleibt alles auf einem (verzeih bitte, aber ein anderer Vergleich kommt mir gerade nicht) Frauenzeitschriftsniveau. Das sage ich vor allem deshalb, weil es sich so glatt liest, beinahe gemütlich. Nein, nicht gemütlich - sondern zu gut gelaunt. Fast der gleiche Stil, in dem schon vor dreissig Jahren Ephraim Kishon über seine hüpfende Waschmaschine geschrieben hat.

Mir fehlt da definitiv die sprachliche Schärfe. Und eine Erzählperspektive, die nicht an einen Sketch erinnert. Bei dem Schlusssatz: "Mir schwinden die Sinne" sehe ich eine Frau vor mir, die theatralisch sich an die Stirn greifend zu Boden sinkt. Das Publikum lacht, weil ihm mal wieder jemand vorgeführt wurde.

So jedenfalls ist mein Eindruck. Aber ich wünsche dir noch viele Leser, die das ganz anders sehen.


Liebe Grüße

Sam

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 07.04.2009, 13:42

Lieber Sam,

es ist keine Geschichte, die literarischen Anspruch hat, du hast schon recht, "Frauenzeitschrift", genau. Das ist ja das Publikum für die Idiotie der Schönheitsoperationen.

Aber danke dir, dass du es dennoch gelesen hast und dich dazu meldest!

Lieben Gruß
Elsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.04.2009, 14:47

Ich finde es ganz angenehm, ab und zu auch mal leichte Kost zu lesen, sich bequem zurückzulehnen und sich einfach nur unterhalten lassen, ohne - durch Metaphern oder kryptische Formulierungen, etc. - ins Stocken zu geraten und zu grübeln "Was will der Autor damit ausdrücken?"
Zudem finde ich deinen Erzählstil hier, Elsie, sehr amüsant und du legst mit deiner Story einen Finger in die Wunde vieler Frauen, die eben gerade diesem Schönheitswahn in die Falle geraten.

Saludos
Mucki

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 07.04.2009, 21:13

Liebe Elsa,

ich habe mit dem kommentieren angefangen, weil mich gleich zu Beginn das Bild mit den Mäusefäusten begeistert hat - ganz fein und anschaulich und der übertragene Sinn ist zu 100% präsent, toll...als ich aber zum Ende kam, muss ich gestehen, dass ich den Kommentar fast nicht schreiben wollte, weil ich auf einmal fürchtete, du würdest ihn als Retourkutsche zum Aikafaden auffassen können, weil der erst kurz zurückliegt, das ist aber nicht so, ich hoffe, das kommt glauwürdig rüber.

Ich kann nämlich mit der Umsetzung des Endes leider überhaupt nichts anfangen. Das hängt damit zusammen, dass ich es für so überklar/kräftig, ja ich weiß gar nicht wie (herrscht eine zu grelle fiktive Beleuchtung?) halte, wie du das Thema behandelst, dass ich nicht glaube, dass der Text glaubhaft transportieren kann, was er angreifen will. Wo bitte soll das so "oberflächlich", schnell so ablaufen? Mir erscheint das zu plakativ...gerade wenn man auf der richtigen Seite kämpft, verlangt es mir nach Feingefühl..ich schrieb das schon irgendwo...eine linke, alternative BILD wäre immer noch eine BILD ...weißt du? Und humorvoll kann ich das auch nicht lesen - wenn der Text richtig böse wäre, das wäre eine Möglichkeit, die handlung so zu erzählen, wie sie jetzt steht, aber so denkt man, du möchtest das Schlimme dieses Themas wirklich auf diese Erzählweise ernsthaft transportieren.

Zudem erscheint mir die Protagonistin selbstbewusst und tendentiell ironisisierend - für mich nicht der Typus, der sich, wenn er liebt, unters Messer legt.

Wiederum gut finde ich, dass ich zuerst an anderen Stellen meckern wollte (zum Beispiel, warum Rudi die Protagonistin überhaupt aussucht, wenn er doch nen anderen typus so mag oder dass er sie "Königin meiner Nächte" nennt), die Störungen im Text also bemerkt habe, aber nicht durch sie das Ende voraus geahnt habe.

Ich hoffe, das kommt nicht falsch an.

liebe Grüße,
Lisa

PS: Bist du eigentlich die Autorin im Salon, bei der ich am kontinuierlichsten so gut wie keine Tippfehler finde? Ich glaube ja...
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 07.04.2009, 23:41

Liebe Lisa,

zuerst zum PS: Wahrscheinlich :-)

Dann zum Kommentar: Da hast du sicher recht. Es ist durchaus plakativ, war eigentlich auch so gemeint.
Es kommt auch nicht falsch an bei mir, keine Sorge.
Ich müsste mich total reinknien, um aus dem leichthin geschriebenen und noch dazu als Vorlesegeschichte, jetzt was Ernsthaftes zu machen. Ich glaube nicht, dass mir das gelingen würde.
Jetzt wenigstens nicht.

Ich hoffe, DU bist mir nicht bös deswegen, weil du dir Mühe mit dem Komm. gemacht hast.

Lieben Gruß
Elsa
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 08.04.2009, 12:22

Liebe Elsa,

ne, natürlich nicht! Wenn man weiß, dass das geben/Nehmen stimmt, ist doch alles zum Glück fern von Prinizipien zu gestalten!!

liebe Grüße,
Lisa

Ps: ich habe gestern gesehen, dass ich noch gar nichts zu Helene geschrieben habe, meine Güte, das habe ich durch die Lange zeit deiner Abweseneit ganz vergessen. Das kommt noch. Erinnerst du mich gegegenenfalls nochmal per PN? Das ist mir wichtig!
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Beitragvon Elsa » 08.04.2009, 13:36

Liebe Lisa,

Das freut mich!

Zum PS: Ja, bitte!

Lieben Gruß
ELsa
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.04.2009, 01:35

Liebe Elsie,
um aus dem leichthin geschriebenen und noch dazu als Vorlesegeschichte

ja, ich kann mir das gut bei einer Lesung vorstellen. Da sind Stellen drin, die du wunderbar theatralisch lesen kannst, wie auch den Schluss. Der löst auf jeden Fall einen Lacher beim Publikum aus. ;-)

:a025:
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 09.04.2009, 17:21

Liebe Mucki,

genau! :-)

Lieben Gruß
ELsie
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