frühling

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 04.11.2007, 20:55

 

frühling


wer hält ihn auf für mich, wenn ich loslasse
zerbricht die welt
in gestohlener zeit : das leben fällt
ins wort
alles ist entscheidend
also fälle ich (man beachte die punkte)

ich, ich, ich und werde immer kleiner
oder es verhält sich umgekehrt, aber die wände wachsen nicht im winter
und diese fenster, immer diese fenster, sie haben keine flügel


du liest in weißen löchern, als wären es briefe
die ich in sternenschubladen verstecke
wer sie öffnet, birgt die nacht
und ohne frage kann man nur im dunkeln lieben

aber diese tage, sie reihen sich
kettendenker sind süchtig nach kausalitäten
überraschungen werden vor die tür geschickt
der blick schließt ab, ich trage keine kosenamen
auf den punkt gebracht, bedeutet es alles

ich wünschte, obwohl man das nicht darf, man könnte diesen punkt teilen
denn er wiegt so schwer im nest, dass die grünen äste schon in erde schreiben


der rauch steigt senkrecht
wir ziehen buchstaben, noch
immer zittern meine hände, die nie das lösungswort ergeben
sammle, sammle trotzdem weiter, eichhörnchenmentalität
und nichts bewegt die luft im sommer

ich stelle mich unter die schuld
herbst und braun platzt sie aus wasserboilern, in verlassenen häusern
kocht die sorge unter dem gefrierpunkt, konserviert bedenken


die papageien fliegen nicht fort, mundaufzuchten
konditionierte leibwächter, die niemals den kopf in die federn stecken
mit ihrem elefantenschrumpfgehirn plappern sie unentwegt
als wäre die welt je heil gewesen
und natürliche grenzen illusion

egal wie fest ich meine augen schließe, sie hören den frühling trapsen


 


(Lisa, ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. ;-) )


edit: aus "versteckt" wurde "verstecke" und ein "turbulenzenlos" wurde gestrichen. Danke Lisa!
Zuletzt geändert von Ylvi am 09.03.2009, 14:00, insgesamt 1-mal geändert.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 06.11.2007, 14:33

Liebe smile,

ganz seltsam: ich las den Text und dachte: das erinnert mich an irgendwas, von dem ich mehr als weiß. Und dann las ich unten drunter den Zwinkerer an mich (oder ist es die erhobene Augenbraue? ,-)) und las nochmal, um irgendetwas Konkretes zu finden, hab ich aber gar nicht, ohne dass das Gefühl weggegangen ist.

Das nimmt dann auch die Komposition auf - die Mehrstimmigkeit (kursiv, nicht-kursiv markiert)

Du siehst mich also verwirrt.

Was aber gar nicht wichtig ist - denn ich kann ja auch verwirrt auf den Text eingehen! (und so ein großer Unterschied zu sonst :pfeifen:) ----- genug! ,-)


Allllllso:

Was ich ganz fein an dem Text finde, sind die Worte, wie sich untereinander brechen und beziehen - du brichst Phrasen auf und lässt dadurch etwas Schweben, das ist ein Genuss, vor allem auch dann in der Mischung der Bilder, ein Boiler und die Sterne, die Schuld und weiße Löcher im Papier, es stimmt zusammen, ohne zu erklären. Und so verhällt es sich für mich auch, wenn man etwas über etwas zu sagen versucht, was im Grunde schmerzt, wenn man es anguckt, dass man nicht mehr davon sprechen kann bzw. mag - es muss gehalten werden - anders geht es nicht. Und es muss eine Mischung aus Phantasmen (eigenen) und ganz realen Tatsachen bis zu gegenständen sein, was sich dann vermischt (wie ein Dschungel im Schlafzimmer oder andersherum:

http://www.ibiblio.org/wm/paint/auth/ro ... .dream.jpg

(wobei das Bild letztlich nur eine Seite zeigt, aber wenn es neben einem Boiler an der Wand hängt...)

Was ich übrigens klug finde, ist die Wahl des Punktes als Unteilbares: Denn er wiegt dopplet schwer: Zum einen nimmt das lyr. Ich diesen Punkt als ganz existent an und sagt, dass man ihn nicht teilen kann. Aber in einem zweiten gibt es Punkte ja gar nicht, also ganz real: was in zweiter Instanz für mich auf psychisch-liebender-innerer-sprachlicher Ebene bedeutet, dass dieser Punkt tatsächlich nicht teilbar ist mit einem Du, aber aus anderen Gründen als das lyr. ich vermutet (das weiß es aber nie und wird nie ein ich wissen, egal wie klug es ist - und darum bleibt man auf eine Weise immer allein oder ohne Worte (nur mit leeren).


Das einzige Wort, das mich ästhetisch stört ist "turbulenzenlos" - man könnte lange nach einer Alternative suchen, aber ich glaube, man kann es am besten einfach streichen. Und das "versteckt" als elliptisch-lyrische Verkürzung (ums "habe") würde ich zu einem "verstecke" machen - ich glaube, das ist nichzt nur lyrischer, sondern bezüglich des Horizontes (der ja in einem Andauern besteht) "wahrer".

Ich habe den Text sehr genossen, ich finde wirklich, dass du seit du hier wieder aufgetaucht bist vor inzwischen schon sehr langer Zeit, du wirklich ganz verschiedene und interessante Texte eingestellt hast...


Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 06.11.2007, 21:13

Hallo Lisa,

das ist ja fein, dass ich dich mal verwirren konnte. ;-)
Die erhobene Augenbraue hatte ich beim schreiben. Für dich war schon das Zwinkern gedacht. Irgendjemand hat mich ermutigt, doch auch mal etwas mehr in diese Richtung zu versuchen. :pfeifen:
Danke für das Bild und deinen Kommentar, der selbst sagt, versteht auf eine sehr besondere Art und genau die wundgedachten Punkte aufgreift.

Das einzige Wort, das mich ästhetisch stört ist "turbulenzenlos" - man könnte lange nach einer Alternative suchen, aber ich glaube, man kann es am besten einfach streichen.

Hier ist wohl der Spieltrieb mit mir durchgegangen. Es war einfach so schön, dass der Lenz sich in dieses Wort geschlichen hat. Ich habe das Wort aber selbst auch kritisch beäugt. Konnte mich nur nicht recht trennen. Aber klanglich brauche ich an dieser Stelle etwas, sonst verliere ich hier den Rhythmus, oder?

Und das "versteckt" als elliptisch-lyrische Verkürzung (ums "habe") würde ich zu einem "verstecke" machen - ich glaube, das ist nichzt nur lyrischer, sondern bezüglich des Horizontes (der ja in einem Andauern besteht) "wahrer".

Es ist gut, dass sich hier nur ein Buchstabe verändert, denn ich habe bestimmt hundert Mal hin und hergewechselt. Ist es wirklich wahrer?
Ich denke über beide Stellen noch ein wenig nach. Danke!

Liebe Grüße smile

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 09.03.2009, 13:57

Hallo Lisa,

so, genug nachgedacht, manchmal brauche ich halt ein wenig länger um einsichtig zu werden. :pfeifen: Ich denke, du hattest mit beiden Einwänden recht und ändere das jetzt ab.

Liebe Grüße
smile

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 09.03.2009, 20:22

*lach* und jetzt hast du mich für einen Moment wieder verwirrt, weil ich mich da stehen sah, aber dachte, den text habe ich doch nicht in den letzten Tagen gelesen?

Ich freu mich über solche Archivatemstöße immer sehr...

liebe Grüße,
Lisa
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wüstenfuchs

Beitragvon wüstenfuchs » 11.03.2009, 12:54

subjektiver Leseeindruck,

ich kann nicht durchhalten, strauchle wie ein Blinder und finde die Sprache ein wenig hochgestochen.

Ich falle raus, verliere mich beim Lesen in den Einzelheiten, finde den Kontext irgendwie nicht,

werde morgen wieder einen Leseversuch machen...

Viele Grüße
Fux

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 11.03.2009, 18:50

Danke für deine Rückmeldung Ben/Fux, das finde ich interessant. Was du mit „hochgestochen“ meinst, weiß ich nicht so recht, ich kann das so pauschal nicht an etwas festmachen, aber es ist zumindest von mir im Text nicht angelegt, kann natürlich trotzdem sein, dass es so ankommt. Vielleicht kann man diesem Text tatsächlich nur subjektiv nah sein und seine Bewegung spüren oder ihn objektiv befremdet und irritiert anschauen. Das ist vermutlich ein grundsätzliches Problem solch offener Texte, dass es wohl entscheidend ist, ob man sich in den Wortbildern auskennt, wiederfindet, sie wiedererkennt und wie viele Wegweiser der Autor aufstellen muss, damit es auch denen, denen es fremd erscheint, die sich darin nicht auskennen, etwas über ihren Horizont hinaus sagen kann. Ich frage mich das auch immer wieder, wenn ich Texte anderer Autoren lese und versuche sie für mich lesbar zu machen, wobei es oft gerade die auf den ersten Blick undurchsichtigen, fremden, oder „schrägen“ sind, die mich dann über eine längere Zeit begleiten und beschäftigen.
Dieser Text hier ist vermutlich sehr egoistisch, weil er sich wenig um den Leser kümmert, aber mir persönlich immer wieder Freude bereitet, wenn ich auf ihn zurückkomme und über ihn nachdenke. :-)
Ich freue mich aber, dass du dem Text morgen noch eine Chance gibst.

liebe Grüße
smile

Mucki
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Beitragvon Mucki » 11.03.2009, 23:50

Hallo smile,

dies ist für mich ein "Erfühl-Text". Ich lasse es auf mich wirken, verstehe manche Zusammenhänge nicht, aber das spielt irgendwie gar keine Rolle. Ich nehme mir Raum, befreie mich von der konkreten Suche und dann schwappt da eine Menge auf mich über. Das ist faszinierend. Ich spüre viel Sehnsucht und Ohnmacht des LI. Das hier sind Perlen für mich:
aber diese tage, sie reihen sich
kettendenker sind süchtig nach kausalitäten

ich wünschte, obwohl man das nicht darf, man könnte diesen punkt teilen
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ich stelle mich unter die schuld
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kocht die sorge unter dem gefrierpunkt, konserviert bedenken


Saludos
Mucki


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