Der Wind

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Peter

Beitragvon Peter » 26.02.2009, 12:59

Der Wind


Gestern Nacht im selben Wind den Bau gelesen von Kafka.
Das neue Licht an der Seite, das den Schatten an die Decke wirft.
Dort das Selbst, mit den übergeschlagenen Beinen; der Kopf, der sich bis zur Tür verlagert, und das Buch ein Springsel aus dem Knie.
Ich las, las, immer mehr von Idee umgeben. Bilder, während der Wind das Laub durch die Straße trieb, an den Türen zog;
las, immer erfasster von der Schrift, sodass, als ich einmal Schritte hörte von der Straße und hinaus schaute,
auch die Schrift hinaus sah, pausierte, und ich sie ohne sie wiederfinden zu müssen weiterlas.
Mehr und mehr war der Lauf vor Augen, der Lauf jenes Wesens innerhalb seines Baus,
hervorkommend und fortlaufend wie in einem konkaven Spiegel. Der Hauptplatz, die Nebenplätze, das Lauschen an
und Zergraben der Gänge. Die Moosplatte, die den Eingang versiegelt. Das Kleingeziefer, das Luftadern schafft.
Das Weite, Sonnenlichte des Eingangs, das offene Rund, worin sich das Wesen aufhält in einem Gebüsch,
nur um darauf zu achten, ob der Bau oder dessen Moosplatte wirklich und wahrhaft verborgen bleibt.
Der Wind draußen. Der Wind. Am Nachbarhaus die stählernen Fenster - ein Widerwurf der weißen Straßenlampen;
als hätte der Wind sein Abbild darin. Der Wind in den Hintergärten. Der Wind, als die Hoflampe ansprang, die vielen Schatten.
Als ein Auto kam die Schatten; die Blätter, die Schatten. Es war Stimme, es war Idee. Idee der Geschichte -
Dass es uns nicht auffallen kann. Es fällt uns nicht auf. Es kommt uns nicht nah. Es bleibt uns fern;
dass wir uns hineinlehnen, und uns im Lehnen verschlafen. Der Schlaf unser Wind, der Wind unser Schlaf.
Da staunte ich über den Schatten über mir. So regungslos; mit dem entsprungenen Buch am Knie; mit der Kopffläche über die Decke zur Ecke der Wand - bis hin zur Leiste der schwarzen Tür, worin ferner, dort im anderen Fenster, sich der fast entlaubte Kirschbaum zeigte.
Es fällt uns, es kann uns nicht auffallen, es fällt uns nicht auf. Uns ist das Auffallen (wörtlich?) nicht gegeben. Aber das Abfallen sehr.
Das Gefälle im Wind der uns trägt. Winde die uns tragen ohne uns zu kennen. Bei Ausgängen kein Ausgang. In den Spiegeln kein Spiegel.
Ein Monolog, dachte ich; um das Eine ohne das Eine. Es fällt uns nicht auf. Es fällt uns nicht auf - wie es dem Wesen nicht auffällt.
Es fällt ihm nicht auf, dass es ist. Zwar ist es und ist überall, und weiß sich nicht anders, als dass es ist, und ist doch nicht.
Es ist nicht angesprochen. Zwar führt es keine andere Rede als die, sich anzusprechen, und hebt sich über seine Ansprache heraus,
aber wird nirgends wiedergespiegelt; - und ist doch nichts anderes als ein Spiegeln. Winde, die daher ziehen, spiegeln,
aber so fern, dass ihr Anlass, doch zu spiegeln, schwindet; als ginge Winziges in ihnen einher, ein winziges Aufleuchten,
wie es in der Nacht war von einem der fernsten Fenster; ein ferner Verweis, um den sich ein Schrecken bildet, den wir nicht durchdringen.
 
 

Max

Beitragvon Max » 26.02.2009, 21:38

Lieber Peter,

das ist gar kein windiger, sondern ein sehr dichter Text, dem ich sehr gerne in seine Verästelungen und Überlegungen gefolgt bin.
Am besten gefallen mir dabei die Gedanken zum "Auffallen" in der Mitte des Textes, aber das Beste, was man vermutlich sagen kann, ist, dass mir gar nicht recht bewusst war, dass ich lese, sondern, dass ich das Gefühl hatte, ich denke.

Liebe Grüße
Max

Peter

Beitragvon Peter » 26.02.2009, 22:02

Lieber Max,

das freut mich. Ich selbst bin mir eher unsicher über den Text, er schien mir, als ich ihn abtippte, doch zusehr abhängig von seinem Erlebnis und also nur "scheinbar getragen". Er entstand ja gleich nach jener Lektüre.

Aber, ja, ich glaube, das will er, in ein Gedachtwerden ziehen; so ja auch irgendwo der Wind.

Dankeschön, mit lieben Grüßen,
Peter

Sam

Beitragvon Sam » 28.02.2009, 11:51

Hallo Peter,

mir gefällt dein Text ebenfalls sehr gut. Er beschreibt ja nicht nur dieses in einen Text hinein - und dann langsam darüber hinausdenken, ohne ihn wirklich zu verlassen, sondern, durch die Art, wie du ihn geschrieben hast, wird er selbst (so wie Max das schon anmerkte) zum Gedankengang.
Schön, wie das Ich als Schatten an der Decke mit dem Buch sozusagen festgenagelt bleibt, während der Wind die Gedanken forttreibt. Offene Gedanken, die nicht nur das Gelesene einbeziehen, sondern auch, was er beobachtet, um schließlich bei sich selbst zu landen, im nicht wirklich bewussten Selbstgespräch.

Ich habe selten einen Text gelesen, der den Lesedenkvorgang so gut - nein, nicht beschreibt, sondern greifbar bzw. während des Lesens mitdenkbar macht.

Liebe Grüße

Sam

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 01.03.2009, 08:49

Hallo Peter,

ich vermute, dass es hilfreich wäre, das von dir gelesene Buch zu kennen. Kenn ich aber nicht. Ich weiß nicht, ob ich mich deswegen so schwer tue, Zugang zu diesem Text zu finden. Könnte aber auch andere Gründe haben.

Zum Beispiel finde ich die steten Wiederholungen überstrapaziert, zu lang und zu bemüht, als kaute man wider.

Es fällt uns, es kann uns nicht auffallen, es fällt uns nicht auf. Uns ist das Auffallen (wörtlich?) nicht gegeben. Aber das Abfallen sehr.

Am Anfang nimmt er mich noch mit auf eine Reise, aber im letzten Drittel verliert der Text sein erzählendes Moment, wird zu einer Auflistung von Gedanken, zu einer Beschreibung, legt mir zu sehr die Worte und Gedanken in den Mund, und obwohl er sich 'offener' Bilder (Nacht, Wind, Spiegel) bedient, wird mein Projektionsraum enger. Was mir bei deinen Texten noch nie passiert ist.

Aber das nur mein ganz persönlicher Eindruck. In Zeiten, in denen mir der Sinn nach Auflösung von Sprache steht, bin ich wohl nicht der geeignete Rezipient.

Beste Grüße,
Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Peter

Beitragvon Peter » 01.03.2009, 17:09

Hallo Sam,

danke für deinen Kommentar; er hat mir den Text noch einmal näher gebracht. Ja, der festgenagelte Schatten, und ein offener Wind, der sozusagen bewegt ohne doch zu bewegen.

Hat mich gefreut, dass es dann doch so aufkommt aus dem Text.


Hallo Tom,

mein Eindruck war/ ist ja ein ähnlicher; mir scheint es dann eine Tonart, die umschwenkt, und in der sich, wie du auch sagst, der Projektionsraum verengt. Nur geht der "Bau", übrigens eine Erzählung von Kafka, eine seiner letzten, ja auch von dieser Verengung aus; ein Wesen/ ein Tier vielleicht, das ein System aus Gängen anlegt unter der Erde. Das greift der Text allmählich auf; diesen Lauf darin, dieses auch Wiederkäuerische jenes Wesens; vielleicht braucht man dann doch an dieser Stelle den Ursprungstext, um diesem Umschwung, diesem Nachsprechen eigentlich dann folgen zu können.

Aber danke fürs Lesen.

Euch liebe Grüße,
Peter


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